Meschede. Wie leicht Firmen den Betrug im Internet machen, das wurde jetzt vor dem Mescheder Amtsgericht deutlich. Das Ziel: Sauerländer Lokalpolitiker.

Schuhe, Jacken, Rucksäcke - ein Schmallenberger Lokalpolitiker wunderte sich, was er angeblich bei den Firmen Gina Laura und Reno Schuh-Versand alles im Internet bestellt haben sollte. Erst dachte er an ein Versehen. Bald war ihm klar: Da missbrauchte jemand seine Adresse. Dass ein System dahinter stand, wurde vor dem Amtsgericht Meschede klar. Der junge Kölner, der zur Zeit des Betrugs freiwillig in der Bad Fredeburger Suchtklinik als Patient lebte, hatte ein einträgliches Betrugsmodell entwickelt. So einträglich, dass er auch noch andere Patienten mit ins Boot nahm.

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Der Fall

Im Mai des vergangenen Jahres recherchierte der 27-Jährige im Internet die Adressen von Lokalpolitikern, offenbar waren es zumeist CDU-Politiker - aus Schmallenberg, Winterberg, aus dem Kreis Olpe und Siegen. Auf deren Namen und Anschriften, die im Internet leicht zu finden sind, bestellte er gegen Rechnung innerhalb von wenigen Wochen Waren, lenkte dann die Empfangsadresse auf eine Abholstelle um und holte sie mit einer falschen Vollmacht ab. Wie viele Adressen, wie viele falsche Bestellungen es genau waren, lässt sich nicht sagen. Vor Gericht betonte er allerdings, es gebe keine Vorbehalte gegenüber einer bestimmten Partei. „Ich habe nichts gegen dich persönlich“, versicherte er dem als Zeugen geladenen CDU-Politiker aus Schmallenberg.

Die Spitze eines Eisbergs

Im Prozess wurde angedeutet, dass nur die Spitze eines Eisbergs verhandelt werden konnte. 26 Adressen fand die Polizei mit Partei-Hinweisen, berichtete einer der ermittelnden Beamten, der als Zeuge aussagte. Dazu gab es Chat-Verläufe, die zeigten, dass der Angeklagte sein Modell auch anderen Patienten vermittelte. „Sie klärten da offenbar ab, welcher Kontakt noch in Frage kommen könnte.“

Letztlich jedoch, so der Polizist, sei es nicht leistbar, alle möglichen Betroffenen abzufragen. „Dazu hätten wir eine eigene Ermittlungskommission gebraucht.“ Er berichtete im Prozess noch von zwei Winterberger Politikern. „Die hatten erst gar nicht an Betrug geglaubt, sondern dachten, jemand wolle sie stalken und ihren guten Ruf diskreditieren.“ Damals ging es schon darum, dass der Staatsschutz eingeschaltet werden müsse.

Beamte gehen Angeklagtem auf den Leim

Anfangs konnten die Beamten auch gar nicht glauben, dass der Beschuldigte, der seit seinem 14 Lebensjahr erst Alkohol, dann Cannabis und Kokain konsumierte, „so dumm“ sein konnte, dass er die Vollmachten, mit denen er die Pakete abholte, mit seinem Klarnamen unterschrieb. „Wir dachten, er sei nur ein willfähriges Werkzeug“, berichtete der Beamte. Er glaubte daher dem Angeklagten, der bei der Vernehmung behauptete, zwei Männer aus der Kölner Drogenszene hätten ihn instrumentalisiert. Deren Wohnungen wurden durchsucht. Ohne Ergebnis. „Da sind wir ihm auf den Leim gegangen“, so der Beamte selbstkritisch. Auch diese Falschaussage gab der junge Mann jetzt vor Gericht zu.

Das Zustellzentrum der Post in Schmallenberg. Die bestellten Pakete wurden an Abholstationen umgeleitet.
Das Zustellzentrum der Post in Schmallenberg. Die bestellten Pakete wurden an Abholstationen umgeleitet. © WP | Privat

Urteil und Plädoyers

Dass er insgesamt geständig war, den Fall detailliert schilderte und auch Reue zeigte, hob Staatsanwalt Sebastian Wirwa in seinem Plädoyer hervor. Wirwa gab aber auch zu bedenken, dass es die Firmen Betrügern viel zu leicht machten. Solche Kollateralschäden seien offenbar zu Lasten der Allgemeinheit eingepreist. Und er kritisierte auch, dass Betrug im großen Stil „aus der Blase der Fachklinik“ heraus möglich sei, ohne dass Beamte dort direkt ermitteln könnten, weil auf die ärztliche Schweigepflicht verwiesen werde.

Wirwa forderte mit Blick auf das umfangreiche und einschlägige Vorstrafenregister des Angeklagten eine Haftstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten. Der Verteidiger hätte seinem Mandanten gern die Haft erspart und hoffte auf eine Bewährungsstrafe.

Doch wegen gewerbsmäßigem Betrug, Urkundenfälschung und falscher Verdächtigung verurteilte ihn Richter Dr. Sebastian Siepe zu zwei Jahren und sechs Monaten Haftstrafe. Der junge Mann blieb direkt im Gefängnis, von wo aus er für den Prozess vorgeführt worden war. Siepe: „Ich sehe keine positive Sozialprognose.“

Aufmerksamer Schmallenberger Lokalpolitiker

Der konkrete Fall kam ins Laufen, weil ein aufmerksamer Lokalpolitiker sich zu wehren wusste. 14 Sendungen innerhalb von zwei Wochen wurden auf seinen Namen bestellt, erklärte der Zeuge vor Gericht. „Vier kamen privat an, die restlichen wurden umgeleitet.“ Der Technische Angestellte - er ist genau so alt wie der Betrüger - erhielt erst ein Paket mit Kleidung, die er nicht bestellt hatte. Er dachte an ein Versehen, machte eine Retoure fertig und schickte die Waren zurück. Dann erhielt er über seine DHL-App den Hinweis auf eine weitere Bestellung und kurz darauf, die Benachrichtigung, dass das Paket auf den Abholshop in der Aral-Tankstelle Im Wehrscheid in Schmallenberg umgeleitet sei. Als er sich zur Tankstelle aufmachte, um die vermeintliche Bestellung abzuholen, war das Paket bereits weg.

Ein Mitglied des Schmallenberger Stadtrats bringt den Fall ins Rollen.
Ein Mitglied des Schmallenberger Stadtrats bringt den Fall ins Rollen. © WP | Ute Tolksdorf

Drei weitere Sendungen gingen einen Tag später an den Paketshop Wagener Im Ohle, auch diese waren bereits abgeholt, als der Schmallenberger ankam. Die Mitarbeiterin zeigte eine Vollmacht des Abholers vor, die auf den Namen des Angeklagten ausgestellt und angeblich von dem Schmallenberger unterschrieben war. Damit ging der Politiker zur Polizei und brachte die Ermittlungen ins Rollen.

Ein direkter finanzieller Schaden entstand dem Schmallenberger nicht, da auf Rechnung bestellt worden war und er glaubhaft machen konnte, dass er nicht der Auftraggeber gewesen war. Der Schaden von insgesamt rund 1000 Euro blieb bei den Firmen. „Es hat aber einiges an Energie und Zeit gekostet, die Kommunikation mit den Firmen war aufwändig“, berichtete er vor Gericht. Bis heute bekommt er Werbemails.