Meschede. Die Meschederin Nataliya Blome blickt mit Sorge in ihre Heimat die Ukraine und auf Putins Propaganda, die auch in Deutschland wirkt.

Nataliya Blome hat die Nacht nicht geschlafen. Wieder nicht. „Ich stehe komplett unter Schock“, sagt die 69-Jährige. Die Meschederin blickt mit Sorge auf ihr Land die Ukraine, auf ihre Freunde und die Familie und vor allem auf ihre Söhne, ihre Schwiegertöchter und die zwei Enkel.

Nach ihrem letzten Urlaub hat sie ihnen Geld dagelassen. Damit haben sie jetzt das gekauft, was man im Krieg braucht: haltbare Nahrungsmittel, Medikamente. „In den Nächten seit dem russischen Angriff heulen immer wieder die Sirenen, Einschläge sind zu hören, Feuerflammen zu sehen.“ Nataliya Blome hat Freunde und Bekannte in der ganzen Ukraine, in Kiew, in Odessa, in Charkiw. Mit ihnen steht sie über WhatsApp dauerhaft in Kontakt. „Stille! Sirene! Einschläge! Gefechte!“, heißt es dort auf ihre Frage, wo gekämpft wird. Wenn sie solche Nachrichten erhält, gibt sie sie weiter an ihre Kinder. „Sie sitzen im Keller, sie können sich nicht die ganze Zeit im Internet informieren.“

Nataliya Blome aus Meschede. Die 69-Jährige stammt aus der Ukraine und sorgt sich um Kinder und Enkel dort.
Nataliya Blome aus Meschede. Die 69-Jährige stammt aus der Ukraine und sorgt sich um Kinder und Enkel dort. © Privat | Privat

Söhne als Reservisten für die ukrainische Armee

Die jungen Väter sind 42 und 41 Jahre alt. Noch wurden sie nicht gezogen. „Sie stehen in der Reserve. Erst gehen die an die Front, die Kampferfahrung haben und die, die gerade aus dem Wehrdienst kommen“, erzählt sie. Doch sie weiß, auch ihre Söhne würden ihr Land verteidigen. Die blonde Frau, eine ehemalige Sportlehrerin, die heute in der Mariengrundschule als pädagogische Betreuungskraft arbeitet und lange im SSV Sportunterricht gab, hat sich äußerlich im Griff, doch man merkt, wie sehr sie das alles belastet. Oft fehlen ihr die Worte. Seitdem ihr zweiter Mann Josef Blome vor drei Jahren starb, ist sie alleinstehend. „Ich bin völlig fertig“, gibt sie zu.

Sie hat es kommen sehen. Spätestens seit 2014 mit der Annexion der Krim, sei ihr klar gewesen, dass Putin die Ukraine als sein Einflussgebiet betrachtet. Was viele vergessen hätten: „Wir sind seit acht Jahren im Krieg mit Russland. Deshalb wollten wir ja in die EU und in die Nato. Aus Angst vor Russland. Die Ukraine ist eine Demokratie direkt vor Putins Haustür. Hier konnte man den Präsidenten kritisieren, hier gab es eine freie Presse. Das konnte ihm nicht gefallen.“

Putins Desinformationskampagne betrifft auch Deutschland

Problematisch sei Putins Desinformationskampagne, von der auch viele der hier lebenden Russen erfasst seien. „Viele informieren sich ausschließlich über Russia Today und ähnliche Medien. Sie glauben zwar, dass es Krieg gibt, geben aber der Ukraine die Schuld, weil die Ukrainer im Donbass-Gebiet angeblich unschuldige Kinder getötet hätten.“ Nataliya Blome, die ausschließlich deutsche Nachrichten hört, ist verärgert und verzweifelt über so viel Ignoranz. „Deshalb ist es wichtig, dass die EU den Propaganda-Sender verbietet.“

Man merkt ihr an, dass sie trotz aller Sorge auch stolz ist auf ein Land, das geeint hinter seinem Präsidenten Selenskyj steht. Das nicht wie gedacht „vor Russland auf die Knie fällt“. Begeistert ist sie auch von Kiews Bürgermeister, dem ehemaligen Profiboxer Vitali Klitschko: „Auch er hat Fehler, aber es ist einmalig, was er jetzt für die Menschen tut.“

Ihre größte Sorge: „Dass mein Land komplett zerstört wird: Brücken, Straßen, Schulen, Krankenhäuser - all’ das muss irgendwann wieder aufgebaut werden. Die Ukraine braucht die Unterstützung des Westens!“ Und sie ist auch überzeugt: Putin wird, sollte er die Ukraine einnehmen und dort eine Marionetten-Regierung installieren können, nicht an den Grenzen halt machen. „Wenn wir fallen, steht er in Ungarn, Polen, der Slowakei. Gerade droht er schon Finnland und Schweden.“

Autos werden an einer Straßensperre gestoppt, die von Zivilschützern an einer Straße ins Zentrum von Kiew errichtet wurde.
Autos werden an einer Straßensperre gestoppt, die von Zivilschützern an einer Straße ins Zentrum von Kiew errichtet wurde. © dpa | Emilio Morenatti

Flucht aus der Ostukraine ist schwierig

Sie weiß, dass sie nicht helfen kann. Nicht mal zur Flucht kann sie ihren Söhnen raten. „Sie leben 400 Kilometer von Kiew entfernt Richtung Osten. Das wäre viel zu gefährlich. Die Raketen kommen auch aus Weißrussland und niemand weiß, wo sie landen.“ Dazu kämen Fallschirmspringer und Beschuss aus Hubschraubern. Alle paar Kilometer gebe es Straßensperren der ukrainischen Seite. „Das ist wie im Zweiten Weltkrieg.“ Zwar sage Russland, es bombardiere vor allem militärische Ziele und das habe an den ersten Tagen auch gestimmt. Doch vermehrt würden jetzt auch Zivilisten und Kinder getötet. „

Sicher, sagt sie, es wäre schön, wenn Deutschland, wenn Meschede, geflüchteten Ukrainern Hilfe anbiete. Das sei wichtig, betont sie und ergänzt - in Gedanken an ihre Kinder im Keller: „Wer raus ist, hat das Wichtigste geschafft, der kommt weiter und findet Hilfe im Westen, bei Freunden und Verwandten.“

>>>HINTERGRUND
321 russische Staatsbürger und 109 Staatsbürger aus der Ukraine leben im HSK (ohne Stadt Arnsberg).

27 russische Staatsbürger befinden sich im Hochsauerlandkreis im Asylverfahren, drei Asylsuchende stammen aus der Ukraine. Ob nach der Annexion der Krim 2014 Menschen im HSK Asyl beantragt haben, kann der Hochsauerlandkreis nicht beantworten.

Anerkannt sind aktuell 19 russische Staatsangehörige, die das Asylverfahren im HSK durchlaufen haben.