Meschede. Fünf Jahre lang haben die Honsel-Mitarbeiter fünf Stunden pro Woche mehr gearbeitet. Jetzt sagen sie: „Wir gehen auf dem Zahnfleisch.“

Seit 2017 haben die 1500 Honselaner in Meschede und Nuttlar fünf Stunden pro Wochen mehr gearbeitet als der Tarifvertrag es verlangt. Und das unbezahlt, um ihr Unternehmen nach der durchgestandenen Insolvenz wieder fit zu machen. Jetzt läuft der Vertrag aus und der Arbeitgeber will die 40-Stunden-Woche verlängern. Carmen Schwarz, Erste Bevollmächtigte der IG Metall, bereitet sich auf die Verhandlungen vor.

Die Menschen

Fünf Jahre sind genug, heißt es von Seiten der Arbeitnehmer. Damals habe man sich zur Mehrarbeit bereiterklärt, um Honsel nach der Insolvenz wirtschaftlich zu stärken. Jetzt jedoch, so sagen Mitarbeiter, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen wollen, „gehen wir wegen der permanenten Arbeitsbelastung auf dem Zahnfleisch.“ Wer im Schichtdienst arbeitet, hat in den vergangenen fünf Jahren nichts selten die zusätzlichen Wochenstunden am Samstag absolviert. „Da gibt es Kollegen, die hatten über drei Monate kein freies Wochenende“, weiß auch Carmen Schwarz. „Das drückt doch auf die Motivation und letztlich auch auf die Produktivität.“

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Die wirtschaftliche Situation

Der Druckguss habe für nächstes Jahr bereits jetzt 80 Prozent Auslastung, die Kokille liege bei 100 Prozent, wissen Mitarbeiter. „Eigentlich müsste Personal eingestellt werden.“ Carmen Schwarz sieht das etwas differenzierter. „Es gibt Bereiche, in denen ist sehr gut zu tun, aber es gibt auch die anderen.“ Und die Zukunft ist nicht nur rosig. Denn rund 50 Prozent der Produktionsbereiche hängen noch am Verbrenner

Aus dem Unternehmen ist es unmöglich, solche Informationen zu verifizieren. Die Geschäftsführung sitzt in Kanada. Vor Ort erhält die Presse keine Auskunft. Dr. Volker Verch, Geschäftsführer des Unternehmensverbandes Westfalen-Mitte, erläutert die Position als Verhandlungsführer auf der Unternehmerseite. (siehe 3-Fragen Interview).

Intern heißt es, angeblich seien die eingegangenen Aufträge bereits mit der 40-Stunden-Woche durchgerechnet. Läuft der Tarifvertrag also aus, wird es teurer und damit für die Abnehmer der Waren unattraktiver. In einem Brief an die Belegschaft schreibt die Geschäftsführung, es müsse das Ziel sein, wettbewerbsfähig zu bleiben und die bestehenden Arbeitsplätze zu sichern. „In den letzten Jahren haben wir gemeinsam bewiesen, dass wir in Meschede erfolgreich sein können. Darauf können wir alle stolz sein. Die zukünftigen Herausforderungen können wir nur gemeinsam bewältigen.“

Carmen Schwarz ist Geschäftsführerin der IG Metall Arnsberg, Sie verhandelt bei Martinrea Honsel  für die Gewerkschaft.
Carmen Schwarz ist Geschäftsführerin der IG Metall Arnsberg, Sie verhandelt bei Martinrea Honsel für die Gewerkschaft. © Ted Jones/WP | Ted Jones

Die Analyse

Um ein klares Bild für die Verhandlungen zu bekommen, wird ein externer Experte die wirtschaftliche Situation analysieren. „Der Auftrag ist raus“, sagt Carmen Schwarz. „Der Arbeitgeber muss ihn noch akzeptieren und letztlich auch bezahlen.“ Der Experte erhält Zugang zu allen Geschäftsfeldern, spricht mit den Kollegen aus den unterschiedlichen Produktionsbereichen. Natürlich könne der Arbeitgeber mauern, erklärt die Gewerkschafterin. „Aber dann könnten wir nur politisch-moralisch diskutieren. Und das wäre wenig hilfreich.“ Sie aber will das ganze Bild. „Ich kann auch die Entwicklung hin zur E-Mobilität nicht außer Acht lassen, die finanzielle Situation des Unternehmens und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.“ Diese Zeit müsse man sich nehmen.

Der Ablauf

Liegen die Zahlen auf dem Tisch, beginnen die Sondierungsgespräche. Der Blick richte sich da immer auf ein Gesamtpaket, das beispielsweise auch Regelungen zur Altersteilzeit enthalten könne, zur Übernahme von Auszubildenden und zu den Gesamtinvestitionen am Standort. Letztlich gehe es auch darum, ob Arbeitszeitverlängerung überhaupt das richtige Werkzeug sei. „Wir haben als IG-Metall ja nicht umsonst für die 35-Stunden-Woche gekämpft“, sagt Schwarz. „Work-Life-Balance wird für Arbeitnehmer immer wichtiger.“

Zwar hat jetzt das erste Sondierungsgespräch über den zeitlichen Ablauf stattgefunden. Mit inhaltlichen Diskussionen rechnet die IG-Metall-Bevollmächtigte aber nicht vor Januar. Zum Abschluss müssen die Gewerkschaftsmitglieder - nicht etwa alle Beschäftigten - über eine neue Vereinbarung abstimmen. Da der Tarifvertrag schon im Februar ausläuft, ist das alles zeitlich knapp gestrickt. Carmen Schwarz zuckt die Schultern. Seit fünf Jahren sei der Termin bekannt, „aber das Auslaufen eines Tarifvertrages kommt für die meisten Arbeitgeber ähnlich plötzlich wie Weihnachten.“ Sie habe zwar mit dem Gesprächswunsch gerechnet, „aber es ist nicht meine Aufgabe auf den Arbeitgeber zuzugehen.“ Ohne Einigung läuft der Tarifvertrag zum 1. Februar aus, und es gilt wieder die 35-Stunden-Woche. Carmen Schwarz weiß aber auch, die Zukunft des Unternehmens wird nicht in Meschede entschieden, sondern in Kanada.

>>>HINTERGRUND

Martinrea Honsel ist einer der größten Arbeitgeber in Meschede.

Am Standort arbeiten rund 1500 Menschen.

Das Unternehmen fertigt an den Standorten in Deutschland, Spanien, Brasilien, Mexiko und China Komponenten aus Aluminium für Motor, Getriebe, Fahrwerk und Karosserie von Pkw und Nutzfahrzeugen sowie den Maschinenbau und andere Anwendungen.