Schmallenberg/Meschede. Eine Schmallenbergerin soll über drei Jahre lang Rezepte gefälscht haben. Sie verweist darauf, dass sie von ihrem Arzt sexuell belästigt wurde.
Eigentlich soll der Prozess gegen eine Frau aus Bad Fredeburg schon am Morgen starten: „Die Angeklagte hat angegeben, dass sie an einer Krebserkrankung leidet und deshalb wohl nicht kommen kann“, sagt Richter Dr. Sebastian Siepe. Für eine solche Erkrankung liegen an diesem Vormittag aber keine Beweise vor und so wird die Angeklagte von der Polizei von ihrer Arbeitsstelle abgeholt und dem Richter vorgeführt – mit zwei Stunden Verspätung startet das Verfahren.
Der Frau wird vorgeworfen, dass sie zwischen September 2017 und Juni 2020 112 Rezepte mit der Unterschrift eines Schmallenberger Arztes und dem Stempel einer Apotheke aus Eslohe gefälscht, bei ihrer Krankenkasse eingereicht und um die Erstattung der Kosten gebeten hat. Sie soll die Rezepte in insgesamt 25 Paketen zur Krankenkasse geschickt haben und so mehr als 100.000 Euro von der Krankenkasse zu erhalten. „Ich kann nur sagen, dass das so nicht stimmt“, sagt die Angeklagte zu den Vorwürfen. Sie habe mehrere Erkrankungen, unter anderem schwere Verletzungen an den Beinen, deshalb sei sie seit rund 30 Jahren in Behandlung des Schmallenberger Arztes, dessen Unterschrift sie gefälscht haben soll.
Schmallenbergerin soll von ihrem Arzt sexuell belästigt worden sein
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„Es ist ganz anders. Der Arzt hat mich die letzten fünf Jahre sexuell belästigt. Immer wenn ich gesagt habe, dass ich das nicht möchte, hat er damit gedroht, mich nicht mehr zu behandeln“, so die Angeklagte. Die spezielle Behandlung des Arztes sei für sie aber notwendig, denn kein Arzt in der Umgebung kenne ihre Verletzungen so gut wie er und könne sie in diesem Ausmaß behandeln.
Da sie seine Avancen dann immer wieder abwehrte, bekam der Arzt nach ihrer Darstellung „die Wut“ und rief bei der Krankenkasse an, um zu sagen, dass die Rezepte nicht von ihm seien. Es habe auch einen SMS-Austausch zwischen ihr und dem Mediziner gegeben. Er habe ihr anzügliche Nachrichten geschrieben. Richter Siepe stutzt etwas bezüglich der Vorwürfe und fragte, ob es diese SMS noch gebe: „Ja, die habe ich auf meinem Tablet zu Hause abgespeichert.“ Bei der nächsten Verhandlung soll die Frau diese Beweise vorlegen.
Zu viele Medikamente auf einem Rezept
Nach Darstellung der Angeklagten sei es mit den Rezepten wie folgt abgelaufen: Der Schmallenberger Arzt soll ihr Rezepte ausgestellt haben und damit will sie immer in die Esloher Apotheke gegangen sein, um sich die Medikamente und das Verbandsmaterial nach Hause liefern zu lassen. Bei der jeweils nächsten Arztbehandlung brachte sie dann die Materialien mit in die Praxis. „Er hat mir sogar, nach dem das Verfahren ins Rollen geraten war, gedroht, dass ich alles zugeben soll, sonst würde er mich nicht mehr behandeln“, behauptet die Angeklagte. Der Arzt habe auch den Esloher Apotheker unter Druck gesetzt, damit er gegen sie aussage: „Er scheint so freundlichen zu sein, aber er ist ein Tyrann.“
„Ich bin fassungslos bezüglich der Vorwürfe. Aber geht es in diesem Verfahren nicht eigentlich um die Fälschungen der Rezepte?“, fragte der Schmallenberger Arzt, der als Zeuge anwesend ist. Eine Auswahl der Rezepte wird an die Wand gebeamt, sodass sie sich alle Beteiligten ansehen können. „Ich würde nie so viele Posten auf ein Rezept schreiben. Hier sind es manchmal sogar 13 verschiedene Artikel, ich schreibe höchstens fünf Posten auf eins drauf“, so der Arzt. Außerdem gebe es auf den Rezepten einzelne Medikamente, die ein Arzt in dieser Menge nicht so regelmäßig verschreiben würde: „Die stammen nicht von mir, sowas habe ich nicht ausgestellt.“
Arzt kann sich an anzügliche Textnachrichten nicht erinnern
Auch der Esloher Apotheker wird als Zeuge gehört: „Wir führen seit Jahren eine Kundenkartei, da haben wir dann alle Daten abgespeichert.“ Richter Dr. Siepe sagt, dass das für den nächsten Prozesstag geprüft werde solle. Weiter sagt der Apotheker aus, dass die Posten nur in den seltensten Fällen handschriftlich auf Rezepte geschrieben werden und er sich nicht vorstellen kann, dass diese Rezepte bei seiner Apotheke abgestempelt wurden. Außerdem gebe es Unstimmigkeiten bei der Nummerierung der Medikamente: „Einige Nummern sind falsch notiert, da fehlen Ziffern“, sagt der Esloher Apotheker.
Zurück zum Arzt: Sie hätten sich bei ihren täglichen Behandlungen auch mal privat unterhalten, das sei aber nach all den Jahren ganz normal gewesen. Der Verteidiger der Angeklagten fragt: „Was sagen Sie denn zu den SMS, haben Sie meiner Mandantin eine Nachricht geschrieben, in der Sie ihr sagen, dass sie gestehen soll und Sie sie andernfalls nicht mehr behandeln?“ Der Schmallenberger Arzt zögert kurz und gibt kleinlaut zu: „Das kann sein.“ Die Vertrauensbasis zu der Angeklagten sei einfach weg gewesen. „Haben Sie ihr auch anzügliche Textnachrichten zugeschickt?“ Nach einer erneuten Sprechpause: „Weiß ich nicht mehr.“
Am heutigen Freitag geht es weiter, dann soll noch eine weitere Zeugin vernommen werden, die Arzthelferin in der Praxis ist und weiteres Beweismaterial begutachtet werden.