Meschede. Noch lässt es sich nicht in Zahlen ausdrücken, der Eindruck ist aber eindeutig: Auch bei uns leiden Kinder und Jugendliche in der Krise enorm.
Marion Kastenmeier-Braun ist Oberärztin in der LWL-Ambulanz und Tagesklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Seit Corona ihren Alltag und den ihrer Patientinnen und Patienten begleitet, hat sich vieles verändert: Verschiedenste Ängste und Sorgen rund um das Virus beeinträchtigen gerade diejenigen besonders, die sowieso schon unter psychischen Krankheiten leiden.
Einen Zuwachs an jungen Patienten, die seit Beginn der Pandemie die Ambulanz kontaktieren, beobachtet Marion Kastenmeier-Braun jedoch nicht. „Das muss aber nicht unbedingt heißen, dass nicht mehr Kinder und Jugendliche psychische Probleme haben. Dadurch, dass wochen- und monatelang niemand die Kitas und die Schule besucht hat, fallen zum Beispiel diejenigen durchs Raster, die sonst dort Auffälligkeiten gezeigt haben. Und wenn es aktuell in Familien kriselt, bekommt es ggf. niemand mit“, sagt die Oberärztin. Zwar könnten Lehrkräfte oder Schulsozialarbeiter die Kinder nicht direkt in der Ambulanz anmelden, sehr wohl aber Gespräche mit den Familien suchen und auf diesem Wege initiieren, dass professionelle Hilfe in Anspruch genommen wird.
Schulöffnungen im Fokus
In Bezug auf die lange geschlossenen Schulen ist Marion Kastenmeier-Braun vor allem eines aufgefallen: „Vor Corona waren Schulvermeidung und Schulängste bei unseren Patienten ein zunehmend großes Thema. Das ist jetzt natürlich lange weggefallen. Ich rechne aber damit, dass mit Öffnung der Schulen dieser Problembereich umso mehr wieder in den Fokus unserer Arbeit rücken wird.“
Bei den Kindern und Jugendlichen, die bereits bei ihr in Behandlung sind, hat sie seit Beginn der Corona-Pandemie deutliche Veränderungen feststellen können. „Kinder haben häufig Sorge, dass jemand in ihrer Familie, vor allem z.B. die Großeltern, an Corona erkranken könnte. Und Jugendliche plagen Zukunftsängste.“ Das äußere sich dann zum Beispiel in depressiven Verstimmungszuständen. Dadurch, dass deutlich weniger Austausch mit Gleichaltrigen stattfinde, wiegen auch Spannungen innerhalb des eigenen Familie schwerer.
Ein großer Faktor ist dahingehend weiterhin das Homeschooling, das auch jetzt mit dem Wechselmodell an Schulen noch ein Thema ist, und in vielen Familien zu Konfliktsituationen führe. „Ob und wie das Homeschooling gelingt, hängt von multiplen Faktoren ab. Mütter fühlen sich mit dieser Verantwortung häufig vom Partner allein gelassen und es baut sich auch hier oft ein Spannungsfeld auf“, erklärt die Oberärztin. Das Spannungspotenzial steige zudem, wenn Familien auf kleinem Raum zusammenleben.
Dabei sei es besonders wichtig, den Kindern und Jugendlichen gerade dann ein gutes Vorbild zu sein, wenn Erzieher und Lehrkräfte als solches wegfallen. „Auch wenn das Nervenkostüm dünner wird, man sollte den Kindern auf keinen Fall Panik vorleben oder extremen Leistungsdruck ausüben, das verunsichert sie zusätzlich“, so Marion Kastenmeier-Braun. In der aktuellen Extremsituation rät sie außerdem dazu, bei Streitereien nicht übermäßig zu bestrafen. „Lieber lässt man die Situation einmal mehr so stehen und versucht positiv zu verstärken, wenn es besonders gut gelaufen ist.“
Kein Leistungsdruck in der „Positiv-Zeit“
Um Spannungen zu entgehen sollten sich Familien jetzt ganz bewusst Zeit für schöne Dinge nehmen und zum Beispiel gemeinsam Spielen, backen, kochen oder zusammen rausgehen. „Hauptsache es entsteht in dieser Positiv- Zeit keinerlei Leistungsdruck.“ Helfen könnten zudem feste Strukturen wie gemeinsame Mahlzeiten und geregelte Aufstehzeiten. „Manchmal kommt mir zu Ohren, dass Kinder bis 10 oder 11 Uhr schlafen und erst dann mit dem Homeschooling begonnen wird. Da darf man dann auch nicht mehr viel von den Kindern verlangen“, sagt Kastenmeier-Braun.
Um Kindern und Jugendlichen im Lockdown einen Ausgleich zu schaffen und Kontakte zur Freunden zu ermöglichen, bieten sich auch die sozialen Medien und Nachrichten-Dienste wie WhatsApp an. Altersentsprechend müssten Eltern dann aber klare Regeln aufstellen, damit der Konsum nicht überhandnimmt, weiß die Oberärztin: „Der Austausch mit Gleichaltrigen und das Behaupten in der Gruppe sind zwei ganz wichtige Aspekte, die durch die Corona-Pandemie sonst weitgehend ausfallen.“ Aber ob nun gemeinsam backen oder ein Videochat mit Freunden, wichtig sei es, Kindern und Jugendlichen so viel Normalität und Struktur im Alltag zu geben, wie nur möglich.
- Im Rahmen der Corona-Krise bieten die kinder- und jugendpsychiatrischen Ambulanzen der LWL-Klinik Marsberg in den Versorgungsgebieten Hochsauerlandkreis, Kreis Paderborn und dem Kreis Höxter telefonisch psychotherapeutische Hilfsangebote an.
- Institutsambulanz Marsberg: Tel. 02992 6013152, (Sprechzeiten: montags bis donnerstags von 8 Uhr bis 16Uhr; freitags von 8 Uhr bis 14 Uhr.
- Ambulanz Meschede: Tel. 0291-902230.
- Ambulanz Paderborn: Tel. 05251 682213650.
- Ambulanz Höxter: Tel. 05271 95190.