Freienohl. Trösten mit Maske? Wickeln auf Abstand? Klare Konzepte? Fehlanzeige. Die Erzieherinnen haben nun aufgeschrieben, was sie für ihre Branche fordern.
Ein Jahr Corona-Ausnahmezustand liegt hinter deutschen Kitas. Zwischen Lockdowns, Regel- und eingeschränktem Betrieb war und ist viel Platz für Sorgen von Eltern, Erzieherinnen und Erziehern sowie Kindern. Die Erzieherinnen des Katholischen Kindergartens St. Nikolaus haben ihrem Ärger und ihrer Verunsicherung nun in einem Brief an die Regierung Luft gemacht. Titel des zweiseitigen Dokuments ist „Größere Lobby für ErzieherInnen“.
Frühere Impfung
Dass nahezu parallel zum Versand ihres Briefs ein Vorstoß zur Änderung de Impf-Reihenfolge zugunsten von Personal an Schulen und in Kitas ins Gespräch gekommen ist, freut Martina Szypulewski, Leiterin der St.-Nikolaus-Kita zunächst einmal sehr. Das betont sie ebenso wie den Standpunkt, dass sie und ihre Kolleginnen aus Freienohl keineswegs nur auf hohem Niveau jammern möchten. „Aber auch wir wollten uns, stellvertretend für viele Erzieherinnen und Erzieher, endlich mal Gehör verschaffen“, sagt sie.
Nachdem ein Brief des Kita-Trägers, der Katholischen Kindertageseinrichtungen Hochsauerland-Waldeck, vorausgegangen war, haben sich die 14 Erzieherinnen aus Freienohl dazu entschlossen, aufzuschreiben, was sie seit Monaten im Alltag und vor allem im Umgang mit den Kindern umtreibt, und haben diese Worte an die Landesregierung NRW versendet. „Gerade in Zeiten der Pandemie wurde immer wieder herausgestellt, wie wichtig unser Beruf zum einen für den Bildungsauftrag sowie den Schutz des Kindeswohls, und zum anderen für eine gut funktionierende Wirtschaft ist. Daher unser Erstaunen darüber, wie wenig wir in der Öffentlichkeit wahr- und leider auch ernstgenommen werden“, heißt es in der Einleitung des Schreibens. „Wir werden nie so gehört wie zum Beispiel Lehrer. Dabei haben wir selbst im Pandemie-Betrieb mit getrennten Gruppen riesige Kontaktketten und keinen direkten Schutz“, sagt Martina Szypulewski im Gespräch mit dieser Zeitung.
Tragen von FFP2-Masken nicht vertretbar
Damit spricht sie das Tragen von medizinischen Masken an, das zwar empfohlen würde, jedoch keine Pflicht im Kontakt zu Kindern und kaum umsetzbar ist. „Das Tragen der FFP2-Masken ist aus pädagogischen und organisatorischen Gründen nicht zu vertreten. Weder ist es möglich die Kinder mit einem Mindestabstand von 1,5 Metern zu wickeln, noch ist es vertretbar den Kindern durch das Tragen der Masken wertvolle Sprach- und Sozialerfahrungen zu rauben. Trösten mit Maske? Weder authentisch noch wirksam“, sind sich die Erzieherinnen aus Freienohl einig. Abgesehen davon seien Tragepausen, wie sie eigentlich gesetzlich vorgegeben sind, in ihrem Job schlichtweg nicht umzusetzen.
Verständnis dafür, dass die vollstände Öffnung von Kitas ohne zusätzliche Schutzmaßnahmen und -konzepte trotzdem realisiert wurde, können die Mitarbeiter der St.-Nikolaus-Kita daher kaum aufbringen. Das schüre laut Szypulewski nur weiterhin Unsicherheiten, die schon damit begonnen hätten, dass man in den Wochen des eingeschränkten Betriebs keine klaren Vorgaben hatte, wer nun sein Kind bringen darf und wer eben nicht. Das habe letztlich sogar zu Spannungen unter den Eltern geführt, weil eben nicht jeder Verständnis für denjenigen aufbringen konnte, der sein Kind aus beruflichen oder familiären Gründen doch in die Kita gebracht hat.
Alle Kinder sind willkommen
Bei alle dem solle keinesfalls der Eindruck entstehen, dass die Kinder nicht willkommen sind, das betonen die Freienohler Erzieherinnen auch in ihrem Brief: „Für uns steht der Schutz und das Wohlergehen des Kindes und der Familien immer an erster Stelle. Wir freuen uns über jedes einzelne Kind, dass wir im Kindergarten begrüßen, mit dem wir unsere Zeit verbringen und dem wir ein Stück des Sicherheit spendenden Alltags in der Gemeinschaft zurückgeben können. Wir möchten, dass die Eltern sich bei uns willkommen fühlen und wollen in jedem Fall vermeiden, dass sie ein schlechtes Gewissen bekommen, wenn sie ihre Kinder in die Einrichtungen bringen.“
Daher bleiben ihr Forderungen eindeutig, auch wenn die Priorisierung von Erziehern bei der Corona-Impfung inzwischen auf einem guten Weg ist: Eine klare Strategie soll her, die sowohl den Eltern, als auch den MitarbeiterInnen in den Einrichtungen transparent gemacht wird.
>>> Die Hintergründe
Erzieherinnen und Erzieher sowie Grundschulpersonal sollen von der Priorisierungsgruppe drei auf Gruppe zwei hochgezogen werden.
Gesundheitsminister Spahn begründete diesen Vorstoß damit, dass in diesen Bereichen kein Abstand eingehalten werden kann.
Auch Nordrhein-Westfalens Familienminister Joachim Stamp hat sich dafür ausgesprochen, den AstraZeneca-Impfstoff, der für über 65-Jährige sowieso nicht geeignet sei, für diejenigen einzusetzen, die sich „um unsere Kinder kümmern“.