Meschede/Hochsauerlandkreis. 180.000 Menschen im HSK müssten sich impfen lassen für eine Herdenimmunität, sagt Peter Kleeschulte, Leiter des Kreisgesundheitsamtes.

Das ist der Silberstreif am Horizont: Die Impfungen zum Schutz vor dem Corona-Virus laufen an. Dr. Peter Kleeschulte (63), Leiter des Kreisgesundheitsamtes in Meschede, ordnet sie im Interview ein. Er spricht auch über einen Ausblick 2021, Mutationen und die Situation im HSK.

Wagen Sie doch einen Blick in die Glaskugel: Was wird 2021 mit Corona?

Wir haben jetzt erstmals etwas an der Hand, was uns helfen kann, steuernd einzugreifen – nämlich die Impfungen. Und wir haben nicht nur einen Impfstoff, sondern mehrere – und die in ausreichender Menge. Die Voraussetzungen sind also da, um kausal eingreifen zu können: Das heißt, da ist jetzt ein Weg, um die Pandemie zum Stillstand zu bringen.

Wird sich Corona dadurch in den Griff bekommen lassen?

Davon muss man ja wohl ausgehen! Die Impfung verhindert, dass Menschen erkranken und sie werden gleichzeitig auch noch geschützt – über einen längeren Zeitraum.

Werden Sie sich impfen lassen?

Ja, das werde ich.

"Fragen transparent beantworten"

Wie viele Menschen im Hochsauerlandkreis müssten sich impfen lassen, um für einen ausreichenden Schutz zu sorgen?

Eine Herdenimmunität wäre anzunehmen, wenn 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung Antikörper hätte. Das wären bei uns 180.000 Menschen im HSK.

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Sind Sie zuversichtlich, dass diese Zahl erreicht wird?

Ich gehe davon aus, dass die Impfbereitschaft groß ist.

Haben Sie Verständnis für Impfgegner und Impfskeptiker?

Ich habe vollstes Verständnis dafür, dass man berechtigte Fragen hat, die dann auch transparent beantwortet werden müssen. Jeder hat das Recht, sich Gedanken darüber zu machen, ob es ein mögliches Risiko gibt.

"Impfgegner sind eine Minderheit"

Oder wird daraus eine Grundsatzfrage entbrennen: Impfen generell – ja oder nein?

Ich denke, diese Frage stellt sich nur denen, die zu den Impfskeptikern gehören oder zu den tatsächlichen Gegnern. Einen wirklichen Impfgegner kann man nicht überzeugen.

Haben Sie den Eindruck, dass es viele Impfgegner gibt?

Nein, viele nicht. Das ist eine kleine Minderheit, wenn Sie mich fragen.

Im Rückblick betrachtet: Haben alle Maßnahmen die Effekte gebracht, die man erhofft hat?

Mit dem Lockdown light ab November ist nicht die Effektivität erreicht worden, die man wollte: Die Fallzahlen sind nicht signifikant gesunken. Aber man weiß es ja vorher nicht. Das war ein Versuch, mit bestimmten Maßnahmen die Zahlen nach unten zu beeinflussen. Dies ist nicht so gelungen, wie man sich das vorgestellt hat.

Mutationen sind normal

Hat es Sie erschreckt, als in England Mutationen des Corona-Virus bekannt wurden?

Man muss wissen, dass es völlig normal ist, dass ein solches Virus mutiert – und auch in einer durchaus hohen Frequenz. Da wird es hunderte, vielleicht tausende Mutanten geben. Was beunruhigend klang: Bei der ersten Wahrnehmung dieser Meldung wurde sofort die Mutation mit den steigenden Fallzahlen in Südostengland in Verbindung gebracht.

Ich weiß aber nicht, ob da tatsächlich ein Zusammenhang besteht – vielleicht gab es auch Superspreader-Ereignisse in England. Das müsste man genauer untersuchen. Das gleiche mutierte Virus wurde schon vor Monaten in Belgien festgestellt – aber dort hat sich in den letzten Wochen die Situation deutlich verbessert. Ich rate dazu, nicht in Panik zu verfallen: Man muss das sorgfältig beobachten, bis man die Fakten kennt. Dann schaut man sich die Fakten an, und entscheidet, ob Maßnahmen erforderlich sind – oder man das nur zur Kenntnis nehmen muss.

Im Rückblick: Wie ist der Hochsauerlandkreis 2020 mit der Krise fertig geworden?

Wenn mir das einer zu Beginn des Jahres 2020 gesagt hätte, was so auf uns zukommt, dann hätte ich das für arg übertrieben gehalten – vor allem über den langen Zeitraum! Das beschäftigt uns ja schon seit Mitte Februar: Da hatten wir noch keine Fälle, aber wir haben ein kleines Lagezentrum gebildet, weil Corona näher und näher kam.

Herausfordernd war und ist die Länge der Krise und die Intensität der Arbeit zu ihrer Bewältigung, die krisenhafte Zuspitzung teilweise und die daraus resultierenden Fragen zu Personalressourcen und, und, und... Es war das arbeitsreichste Jahr, das ich bislang im öffentlichen Gesundheitswesen hatte. Die Länge der Krise macht sie so strapaziös für alle. Es kann auch niemand sagen, wie lange diese Beanspruchung anhalten wird.

"Wir hatten nie eine kritische Versorgungslage"

Angesichts der Zahlen der Betroffenen im Hochsauerlandkreis: Ist der HSK glimpflich davon gekommen?

Aus meiner Sicht sind wir relativ gut durch die Zeit gekommen. Man darf diese Zahlen nicht als reine Zahlen sehen: Habe ich zum Beispiel heute eine Inzidenz von 165 und gestern hatte ich eine von 160 – damit ist die Zahl anscheinend deutlich gestiegen. Das ist nicht so: Man muss diese Zahlen einordnen.

Auf welche Zahlen achten Sie besonders? Welche ist kritisch?

Man muss auf das Gesamtwerk der Zahlen schauen. Auf der einen Seite ist dieser Inzidenzwert wichtig, um eine Tendenz zu erkennen. Auf der anderen Seite muss man schauen, wie die Entwicklung im Hochsauerlandkreis mit Blick auf das ganze Bundesland und bezogen auf die ganze Bundesrepublik ist. Da darf es keine Ausreißer geben.

Die Belegung der Intensivstationen und der Krankenhäuser allgemein ist auch ein wesentlicher Faktor. Bisher lagen wir dabei aber, über den Kreis verteilt, immer unter 10 Prozent – also 10 Prozent der Betten auf den Intensivstationen waren mit Covid-19-Patienten belegt. Da muss man nüchtern feststellen: Das ist relativ wenig. Wir hatten also nie eine kritische Versorgungslage, wie sie anderswo gemeldet wird.

Was wird 2021 die größte Herausforderung im Zusammenhang mit Corona werden?

Die größte Herausforderung wird sein, diese Riesenaufgabe der Impfung zu stemmen. Es beginnt mit der großen Zahl der zu Impfenden und der Logistik auf der anderen Seite. Da gibt es viele logistische als auch praktische Herausforderungen, die aber alle zu meistern sind. Aber das Ganze geschieht ja unter Zeitdruck.

Wann gibt es wieder Normalität?

Nein, da wage ich keine Prognose. Da möchte ich mich auch selbst nicht enttäuschen! Eine große Impfbereitschaft ist auf jeden Fall die Voraussetzung dafür.