Meschede/Hochsauerlandkreis. Friedrich Merz ist Kandidat für den Bundesvorsitz der CDU: Hier spricht er über Corona, Auflagen-Verweigerer und den Bundestagswahlkampf 2021.

Die ganze wirtschaftliche Tragweite der Corona-Krise ist noch längst nicht sichtbar geworden, meint Friedrich Merz. Der heimische Kandidat für den Bundesvorsitz der CDU spricht dazu im Interview – und über Urlaub, Auflagen-Verweigerer und Themen für den Bundestagswahlkampf 2021.

Sie waren selbst Corona-positiv getestet worden. Spüren Sie eigentlich Nachwirkungen?


Friedrich Merz: Nein, zum Schluss war es dann nur noch ein lästiger Schnupfen. Der hat drei Tage gedauert, dann war es gut. Ich hatte mich bei einem Berufskollegen von Ihnen angesteckt. Ihn selbst hat es leider richtig erwischt, obwohl er deutlich jünger ist als ich. Das macht die ganze Geschichte ja auch so unheimlich: Es gibt keine klare Symptomatik. Wenn es ein normales Grippevirus wäre, wüssten wir, wie sich das dann im Krankheitsbild äußert. Aber bei Corona? Es gibt einfach kein Gefühl dafür, wer davon wie stark erwischt wird.

Demos in Berlin: „Das ist schon einigermaßen bizarr!“

Wie reagieren Sie heute selbst?

Trotz allem lebe ich kein angsterfülltes Leben: Ich halte die Regeln ein und trage eine Maske. Auf Veranstaltungen halten wir natürlich Abstand zueinander. Und ich werde mich in den nächsten Tagen auch noch einmal auf Antikörper testen lassen.


Haben Sie auch den Eindruck, dass die Deutschen inzwischen nachlässiger in der Krise werden?

Ja, das ist so, und ich kann das auch verstehen: Es nervt ja wirklich irgendwann! Ich musste selber zwei Wochen in Quarantäne: Man kann Kollegen, Freunde und Bekannte nicht treffen, es gibt Videokonferenzen, kaum Meetings, keine vernünftigen Sitzungen. Die Partyszene fehlt mir nicht, die brauche ich auch sonst nicht (lacht)! Ich kann trotzdem gut verstehen, dass bei vielen die Geduld zu Ende ist.


Wenn ich mir aber zuletzt diese Demos in Berlin anschaue, kann ich auch nur mit dem Kopf schütteln: Da laufen Leute mit Reichskriegsflagge und Regenbogenfahne nebeneinander her und sind mehr oder weniger gegen alles. Das ist schon einigermaßen bizarr! Diese Menschen denken offenbar überhaupt nicht an ihre verletzlichen Mitmenschen oder daran, wie wir gemeinsam die Pandemie bewältigen könnten, sie sind total auf sich selbst fixiert.

Mir ist auch noch einmal viel klarer geworden, wie urlaubsfixiert große Teile unserer Gesellschaft sind: Plötzlich überwog überall die Sorge, wie sich Corona auf den persönlichen Urlaub auswirken würde. Dabei hat diese Krise viel schwerwiegendere Auswirkungen, etwa auf die Schulen oder unsere Unternehmen. Darum sollten wir uns mindestens genauso viele Sorgen machen wie um unseren nächsten Urlaub.

„Teile unserer Gesellschaft ein bisschen zu freizeitorientiert“

Es gibt kein Menschenrecht für Urlaub auf Mallorca oder in der Türkei…

Nein, das gibt es natürlich nicht, trotzdem sei jedem der Urlaub herzlich gegönnt. Aber nach meinem Eindruck scheinen doch Teile unserer Gesellschaft ein bisschen zu freizeitorientiert zu sein. Auf der anderen Seite hat Corona aber auch sehr positive gesellschaftliche Entwicklungen ausgelöst. Ich habe das selbst bei uns in der Nachbarschaft gespürt – man unterstützt und hilft sich gern und bereitwillig. Die Corona-Krise zeigt eben beide Seiten unseres menschlichen Miteinanders.


Anfangs haben die Deutschen das doch sehr diszipliniert hingenommen?

Das tut die Mehrheit auch immer noch. Man täte den meisten Menschen in diesem Land unrecht, wenn man das jetzt bestreitet. Aber es gibt eine lautstarke und vielleicht auch stärker werdende Minderheit, die nicht mehr bereit ist, sich an die Auflagen zu halten. Dann muss der Staat eben auch bereit sein, Verstöße zu sanktionieren.

„Ich bleibe, wie die Bundeskanzlerin, auf der Seite der Vorsichtigen“

Müssten die Corona-Verordnungen wieder verschärft werden?

Wenn ich mir die Zahlen anschaue, dann sind sie im Augenblick auf niedrigem Niveau stabil, und vor allem die Zahl der schwer Erkrankten ist sehr niedrig. Das könnte einige Lockerungen rechtfertigen. Ich bleibe aber, wie die Bundeskanzlerin, trotzdem auf der Seite der Vorsichtigen, und weil ich selber betroffen war, sage ich: Wir dürfen Corona weiter nicht unterschätzen!

Wie sehr sind Sie um unsere Wirtschaft besorgt?

Ich habe das Sachverständigen-Gutachten im Frühjahr schon für zu optimistisch gehalten, als drei bis vier Prozent Minus prognostiziert wurden. Wir werden ein tiefrotes Jahr 2020 haben. Es werden weitere Entwicklungen erst noch kommen, die wir allenfalls erahnen können: Das Kurzarbeitergeld verdeckt die steigende Arbeitslosigkeit, die aufgehobenen Antragsfristen für die Insolvenzen wiegen die Unternehmen und die Wirtschaft insgesamt in einer zu großen Sicherheit.

Creditreform hat gerade Zahlen veröffentlicht, wonach wir schon mindestens 300.000 Unternehmen haben, die nicht mehr ausreichend zahlungsfähig sind. Und das ist eine Zahl, die noch nicht bereinigt ist um die verzögerten Antragsfristen. Ich befürchte, wir bekommen einen ziemlich harten Winter.

„Große Teile der SPD denken nur in Verteilungskategorien“

Wie wird Corona den nächsten Wahlkampf beeinflussen?

Der Wahlkampf 2021 wird ein Wahlkampf sein der Wirtschafts- und Sozialpolitik: Ein Wahlkampf der Umverteilung gegen wirtschaftliche Vernunft. Wir müssen alle Kräfte in der Union bündeln, damit wir ein sauberes Konzept haben gegen alle, die links von uns stehen. Große Teile der SPD denken nur in Verteilungskategorien und glauben ernsthaft, wir würden unsere Probleme lösen, indem wir den „Reichen“ das Geld abnehmen und an die Armen verteilen. Diese Rechnung geht nie auf, bei minus zehn Prozent Wirtschaftsleistung schon gar nicht. Wenn 2021 eine Umverteilungsdebatte mit einer Wirtschaftskrise zusammenfällt, dann wird das eine ganz harte Diskussion.

Wie kann man der Wirtschaft helfen?

Jetzt kommt das Investitionserleichterungsgesetz von der Bundesregierung. Das halte ich im Wesentlichen für richtig, denke aber, dass es noch zu kurz greift. Wir müssen die Krise als Chance verstehen, jetzt einen Modernisierungsschub für unsere Volkswirtschaft insgesamt auszulösen. Wir müssen vieles von dem Geld in den Rettungspaketen, das gerade zur Verfügung gestellt wird, in einen beschleunigten Infrastrukturausbau stecken – insbesondere in den Ausbau der Digitalisierung.

Schauen Sie sich mal an, in welch schlechter Verfassung die digitale Wirtschaft in Deutschland ist. Das ist sowohl auf der Kundenseite als auch auf der Unternehmensseite der Fall. Wir sind fast völlig abhängig von den amerikanischen und mittlerweile auch den chinesischen Tech-Unternehmen. Europa hat darauf bisher keine Antwort, keine wirkliche Strategie. Kurzfristig kann man auch noch einmal die Nachfrage stimulieren. Aber wir wissen ja aus der Wirtschaftsgeschichte: Das hilft zwar für den Augenblick – schadet aber in der längeren Perspektive, weil die Schulden zu hoch werden und die Erträge zu niedrig sind.

Über den Jahreswechsel das Tal durchschreiten

Wie blicken Sie denn in die Zukunft?

Die Rezession ist da, aber sie wird uns nicht umbringen. Es wird eine ganze Reihe von Unternehmen geben, die nicht überleben werden. Über den Jahreswechsel könnten wir dieses Tal durchschreiten. Dann wird es auch wieder aufwärts gehen, wahrscheinlich langsamer als gehofft, aber wir kommen da raus. Das kostet Kraft, und trotzdem bleibt wichtig, dass die Bevölkerung den Mut nicht verliert.

Wir brauchen jetzt die ganze Dynamik und Kreativität, die in unserer Gesellschaft steckt, und der Staat muss vor allem eines tun: Er muss der Wirtschaft und den Menschen Freiheit geben zu handeln, gerade den vielen kleinen und jungen Unternehmen. Nur Freiheit schafft Neues, nicht staatliche Planung.

>>>ZUR PERSON<<<

1972 wurde Friedrich Merz mit 17 Jahren Mitglied der CDU.

1989 bis 1994 gehörte er dem Europäischen Parlament an.

Von 1994 bis 2009 vertrat er den Wahlkreis Hochsauerland im Bundestag .

In den Jahren 2002 bis 2004 leitete Merz die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, von 2004 bis 2006 war er ihr stellvertretender Vorsitzender.

Seit Juni 2019 ist Friedrich Merz Vizepräsident des Wirtschaftsrates der CDU.

Friedrich Merz hat (als Stipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung) Rechts- und Staatswissenschaften studiert, seit 1986 ist er Rechtsanwalt. Er begann als Referent beim Bundesverband der Chemischen Industrie in Bonn.

Seit 2005 gehört er der international tätigen Anwaltskanzlei Mayer Brown LLP an, seit 2014 ist er dort Senior Counsel.

Friedrich Merz ist Vorsitzender im Aufsichtsrat der WEPA SE in Arnsberg und Aufsichtsratsvorsitzender der Flughafen Köln/Bonn GmbH.