Meschede/Soest. Freiwillig, anonym und kostenlos: Das Mescheder Wegweiser-Projekt hilft, wenn Jugendliche in den gewaltbereiten Salafismus abzudriften drohen.
Salafisten? In Meschede? Das scheint erstmal unwahrscheinlich. Ist es aber nicht. Denn überall gibt es junge Menschen, die auf der Suche nach dem Sinn zur Zielgruppe von Extremisten werden. Und diese sind in Zeiten des Internet nicht an einen Ort gebunden. In ganz NRW hat deshalb das Innenministerium Beratungsstellen etabliert.
Zur offiziellen Eröffnung ins Mescheder Kreishaus kamen am Mittwoch neben den Landräten Eva Irrgang (Soest) und Dr. Karl Schneider (HSK) Innenminister Herbert Reul und Uwe Reichel-Offermann vom Verfassungsschutz. Bea Geisen von der Awo ist Projektkoordinatorin. Sie erläutert, was hinter dem Wegweiser-Projekt „Ausstieg vor dem Einstieg“ steckt und wie sie und ihr Team verhindern wollen, dass junge Menschen im gewaltbereiten Salafismus ihr Heil sehen.
Wo setzen Sie an?
Bea Geisen: Möglichst früh. Dafür vernetzen sich unsere drei Berater, zwei Islamwissenschaftler und eine Sozialpädagogin, mit Schulen, Jugendzentren, Job-Centern und der Polizei. Wir leisten Aufklärungsarbeit und sind Anlaufstelle für Eltern und Freunde. Der Kontakt kann auch anonym laufen. In der Beratung suchen wir dann gemeinsam mit dem sozialen Umfeld und den Betroffenen selbst nach Wegen außerhalb der Radikalisierung und begleiten sie während des gesamten Prozesses. Wir fördern ihre Stärken und Interessen, stärken das Selbstvertrauen und die Eigenverantwortung. Dabei setzen wir auf absolute Freiwilligkeit, nur das ist nachhaltig.
970 betroffene Kinder und Jugendliche beraten
Insgesamt gibt es in NRW 25 Wegweiser-Beratungsstellen, die ein flächendeckendes Beratungsnetz ergeben. Die Mescheder Beratungsstelle ist die 23., die eröffnet wurde.
Laut Information des Verfassungsschutzes zum Projekt blieb im Jahr 2019 die Nachfrage nach Beratung und Aufklärung zu den Themenfeldern extremistischer Salafismus und Radikalisierung konstant hoch.
Seit Beginn des Programms 2014 wurden bis Ende 2019 mehr als 970 direkt betroffene Jugendliche und Kinder beraten. Davon haben sich in circa 400 Fällen längerfristige Beratungsbegleitungen durch Wegweiser ergeben. 80 bis 90 Prozent dieser Beratungsfälle haben einen positiven Verlauf genommen.
Gemeinsam mit Betroffenen und dem sozialen Umfeld wurden unterschiedlichste Probleme bearbeitet und neue Perspektiven erschlossen. Auf diese Weise konnte bei den betroffenen jungen Menschen eine Hinwendung zu extremistischen Einstellungen und Verhaltensweisen verhindert oder gestoppt werden.
Darüber hinaus wurden bis zum Ende des Berichtsjahrs über 20.400 Anfragen bearbeitet und über 3.800 Sensibilisierungsveranstaltungen durchgeführt.
Wann sollten Freunde und Eltern hellhörig werden?
Meist kommen verschiedene Dinge zusammen. Ich hatte - damals noch außerhalb des Wegweiser-Projektes - den Fall eines jungen Mannes, der in seiner Heimat schon Jura studiert hatte. Hier fiel er, nachdem er geflohen war, in eine tiefe Depression, weil er auf so viele Probleme stieß. Er zog sich zurück, änderte sein Aussehen und es fielen die ersten extremen Sätze zur Vorherrschaft des Islam. Solche Entwicklungen können erste Alarmzeichen sein.
Bilden Geflüchtete eine besonders gefährdete Gruppe?
Wir haben keine besondere Gruppe im Fokus. Empfänglich für die Ideen des gewaltbereiten Salafismus können auch allgemein junge Menschen mit Migrationshintergrund sein, die in Deutschland aufgewachsen sind. Oder denken Sie an die deutschen Konvertiten, die in den Taliban-Krieg gezogen sind. Hauptsächlich sind es zwar Männer, aber es gibt auch junge Frauen. Man muss sich da den Einzelfall ansehen. Es hat nicht unbedingt mit Herkunft und Nationalität zu tun, wenn sich junge Menschen radikalisieren.
Was verbindet sie?
Fast alle befinden sich in einer Phase der Orientierung, sind auf der Suche nach dem Sinn. Manche erleben familiäre Krisen oder fühlen sich von der Gesellschaft zurückgestoßen. Auf Internet-Plattformen treffen sie auf die Ideen des gewaltbereiten Salafismus. In der Gemeinschaft sind sie stark und die Gruppen geben ihnen Selbstwertgefühl.
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Gibt es Grenzen für Ihre Arbeit?
Überall da, wo Personen schon fest in der extremistischen salafistischen Szene verwurzelt sind oder gar gewaltbereit sind und wir uns selbst in Gefahr begeben können. Zum Schutz treten unsere Berater nur mit Vornamen auf. Wichtig ist: Wir sind ein reines Präventionsprogramm, werden also nicht gegen irgendwelche Gruppierungen vorgehen, sondern wollen aufklären, beraten, informieren, koordinieren und sensibilisieren und dem Einzelnen auf seinem Weg helfen.
Konnten Sie dem jungen Studenten helfen?
Ja. Er studiert jetzt in Deutschland weiter. Damals hätte ich mir aber die islamwissenschaftliche und sprachliche Kompetenz gewünscht, die das Wegweiser-Projekt heute bietet.
Infos zum Projekt findet man unter www.die-awo.de/Wegweiser. Das Büro liegt in Meschede am Kaiser-Otto-Platz 5, Hotline: 0291/ 90 87 86 88.