Bestwig. Der Bestwiger Verein Kultur pur hat Mitleid mit den Künstlern, die wegen Corona nicht auftreten dürfen. Wie der Verein die Krise managt.
Das sind gerade sehr kulturlose Wochen: Veranstaltungen werden abgesagt oder verschoben. Ulrich Bock vom Vorstand von „Kultur Pur“ in Bestwig schildert im Interview, wie ein Verein damit umgeht: Planbar ist gerade gar nichts.
Was bedeutet Corona für Kultur Pur?
Ulrich Bock Wir haben schon drei Veranstaltungen verlegen müssen: Die mit dem Kabarettisten Wilfried Schmickler zunächst einmal in den November und für die beiden Abende mit Frieda Braun suchen wir gemeinsam mit der Agentur nach neuen Terminen. Die Premiere ihres neuen Programms hatten wir zunächst in den Juni verschoben. Als das veröffentlicht wurde, war aber schon wieder klar, dass solche Veranstaltungen mindestens bis Ende August nicht stattfinden können. Damit waren selbst die für August angedachten Ersatztermine der Ersatztermine hinfällig. Die Premiere wird jetzt auf Samstag/Sonntag, 28. und 29. November verlegt. Das geht auch unkompliziert, ohne Kosten für unseren Verein. Frieda Braun ist ja quasi mit uns groß geworden – mit ihr bzw. ihrer Agentur können wir uns immer einigen. Frieda Braun ist gewillt, die Premiere für ihr nächstes Programm bei uns zugeben. Außerdem hatten wir vor, im Juni ein Bossa Nova-Konzert auszurichten. Das haben wir bereits abgesagt. Die Sängerin aus Brasilien kommt auch gar nicht erst nach Deutschland.
Fällt Corona unter Höhere Gewalt? Kann man so etwas in Verträgen aufnehmen?
Höhere Gewalt wäre zum Beispiel ein Rohrbruch im Rathaus, wenn dort ein Auftritt stattfinden sollte. Dann sagt man ab und verschiebt. Entscheidend in der Corona-Situation ist, dass die Agentur und ihre Künstler daran interessiert sind, auch künftig bei Kulturvereinen aufzutreten und einen Veranstalter nicht zu verärgern. Wir als Verein wollen andererseits Künstlern eine Bühne geben. Wenn wir in Insolvenz gehen müssten, fallen wir als Veranstalter aus – und das wollen weder Agenturen, noch Künstler. Wir sind da gut vernetzt. Deshalb wird man eigentlich immer eine Lösung finden – auch in so besonderen Situationen wie jetzt. Die Corona-Phase ist wirklich eine echte Ausnahmesituation.
Ihre Lösungen sind Verschiebungen?
Klar, dass ist das erste, was wir machen können. Wo nun auch erst einmal klar ist, dass bis August keine Veranstaltungen ausgerichtet werden dürfen, warten wir ab, wie es weitergeht. Darüber haben wir uns im Vorstand schon ausgetauscht. Dass zum Beispiel ein Herbert Knebel im Oktober in der Schützenhalle in Velmede vor 900 Leuten auftreten könnte, scheint eher unwahrscheinlich. Die Schützen sagen ja nicht ihre Schützensaison ab – aber lassen Herbert Knebel dann in ihrer Halle auftreten! Ebensowenig vorstellbar ist ein Konzert mit über 500 Zuhörern in der St. Andreas-Kirche zum Abschluss unseres Gospelwochenendes im November. Das wird nicht gehen, wenn dann auch noch keine normalen Gottesdienste erlaubt sind. Das Gospelwochenende haben wir erst vor wenigen Tagen abgesagt. Mit den zweitägigen Proben in der Aula des Berufskollegs Bergkloster Bestwig und der Verpflegung von bis zu 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmern ist diese Veranstaltung in Corona-Zeiten einfach viel zu komplex. Aber wir möchten deshalb noch nicht unser ganzes Herbstprogramm endgültig absagen. Wir wissen nicht, wie sich die Situation entwickelt. Sicher gibt es dann noch keinen Impfstoff, aber vielleicht Medikamente, die eine weitere Entspannung zulassen. Oder vielleicht nimmt die Verbreitung des Virus im Sommer sehr deutlich ab. Das müssen wir auf uns zukommen lassen. Dann wäre Kabarett im Rathaus vielleicht wieder möglich.
Sie stehen da vor vielen offenen Fragen, wie es weitergehen wird?
Ja, auch viele ganz praktische Fragen. Wir hatten im Herbst ein Kindertheater und ein Kinderkonzert vorgesehen: Aber Kinder sitzen gerne eng zusammen – davon lebt ja so ein Kindertheater auch. Und dann zwei Meter Abstand? Ist das vorstellbar? Oder Herbert Knebel in der Schützenhalle: Da bräuchten wir auch die Menge an Zuschauern, damit sich der Auftritt rechnet. Mit Sicherheitsabständen eigentlich undenkbar. Allein die Bühnentechnik kostet für eine solche Veranstaltung viel Geld. Wie wäre das mit dem Kabarettisten Jürgen Becker im September – sollen wir nur die Hälfte der Karten verkaufen, um diese Abstände einzuhalten? Das ist alles offen. Und was sagt dann eine Agentur dazu: Gibt die sich mit der Hälfte der üblichen Einnahmen zufrieden? Das ist noch nicht konkret, das muss in zwei Monaten neu beurteilt werden. Und ganz wichtig: Macht das für die Zuschauer eigentlich Spaß, solche Veranstaltungen unter diesen Umständen zu erleben? Und wie findet ein Jürgen Becker das, wenn er auf der Bühne steht und in solch einen Saal schaut? Vielleicht sagen auch die Agenturen, dass sie erst einmal alles absagen. Es steht im Moment alles zur Disposition. Fraglich ist zudem, wie schnell das Publikum zurückkommt, wenn solche Veranstaltungen wieder erlaubt sind. Ist das Virus dann noch unterwegs, wird es dauern, bis die Menschen das Vertrauen zurückgewinnen. Vielleicht fehlt vielen nach monatelanger Kurzarbeit auch erst einmal das Geld. Das alles wissen wir nicht.
Aber Karten können die Leute trotzdem noch kaufen?
Ja, der Vorverkauf läuft weiter. Wir werden uns bemühen, dass entweder die Veranstaltungen in kleinerem Rahmen stattfinden oder neue Termine gefunden werden. Die Karten behalten ihre Gültigkeit – oder man kann sie zurückgeben. Auch da sind wir als Verein gewillt, einfache Lösungen zu finden. Unsere Besucher gehen kein Risiko ein, dass eine Karte womöglich verfällt. Es mag sein, dass im Einzelfall die Vorverkaufsgebühr nicht zurückerstattet wird. Aber das ist ja ein kleiner, überschaubarer Betrag. Bisher haben erst sehr wenige Kartenbesitzer von einem Umtausch Gebrauch gemacht.
Abstand einzuhalten bei Kulturveranstaltungen: Da geht doch die ganze Atmosphäre verloren, oder? Und dann womöglich mit Mundschutz…
Ja, und dann wäre auch noch zu klären, wie man den Eingang und den Ausgang regelt. Oder die Frage mit der Desinfektion: Was muss desinfiziert werden? Wie oft? und wir haben ja keine eigenen Räume. Da sind wir darauf angewiesen, dass zum Beispiel die Gemeinde Bestwig als Hausherr des Bürger- und Rathauses eine Veranstaltung überhaupt zulassen würde. Und wie müsste man einen Getränkeverkauf in der Pause organisieren? Ich bin mir nicht sicher, ob wir für diese logistischen Herausforderungen mit unserem ehrenamtlichen Team Lösungen finden.
Wissen die Künstler, dass die Kulturvereine möglicherweise sehr kurzfristig reagieren müssen?
Da gehen wir von aus. Den Agenturen ist die Situation bekannt. Sie wissen, dass einvernehmlich Lösungen gefunden werden müssen. Die werden nicht darauf bestehen, dass wir die vereinbarten Honorare zahlen müssen, wenn wir nur halb so viel Publikum hereinlassen können. Dann wären auch wir an der Grenze zur Zahlungsunfähigkeit. Wir haben ein bisschen Polster, wir geraten nicht sofort in Finanznot. Aber wir müssen schon sehr genau hingucken.
Haben Sie Mitleid mit den Künstlern?
Natürlich! Mit uns als Verein muss niemand Mitleid haben, wir machen das alle ehrenamtlich. Uns tut das leid, dass wir das Programm nicht anbieten können. Aber die Künstler und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Agenturen, auch die Veranstaltungstechniker leiden natürlich richtig. Ein bekannter Künstler wie Herbert Knebel gerät vermutlich nicht so schnell in Finanznot. Aber weniger bekannte Künstler leben von den Einnahmen aus diesen Auftritten. Das ist bitter.
Wird 2020 ein ziemlich kulturloses Jahr?
Im Moment sieht es so aus. Aber wie gesagt: Vielleicht gibt es im Herbst aber auch wieder grünes Licht für Kulturveranstaltungen – und die Leute freuen sich dann umso mehr, wieder ausgehen und lachen zu können!