Bad Fredeburg. Häusliche Gewalt, Depressionen, Suizid: Die Fachklinik Hochsauerland in Bad Fredeburg fürchtet einen Anstieg der Fälle - und richtet Hotline ein.

Soziale Isolation, berufliche und existenzielle Sorgen, Konflikte innerhalb der Familie oder mit dem Partner auf engem Raum: Die starken Einschränkungen und das anhaltende Kontaktverbot können zu psychischen Problemen, Suizidgedanken aber auch zu Gewalt und Aggressionen führen, sagt Dr. Jens-Uwe Schneider von der Fachklinik Hochsauerland. Ein weiteres Problem: Die Rehabilitationskliniken dürfen keine neuen Patienten aufnehmen, ambulante Therapien fallen aus.

Spezialisten der Johannesbad Fachklinik Hochsauerland wollen in dieser Situation Ansprechpartner für Betroffene sein. Deswegen gibt es nun eine Telefonhotline, an die sich Betroffene wenden können. Dr. Schneider erklärt im Interview die Hintergründe.

Wie äußern sich die Einschränkungen durch die Ausbreitung des Coronavirus an der Fachklinik in Fredeburg?

Dr. Jens-Uwe Schneider: Auch bei uns hat sich viel verändert. Zum einen haben wir einen Aufnahmestopp für neue Patienten, zum anderen könnten wir durch den Pandemieplan selbst zur Versorgung von Coronavirus-Infizierten herangezogen werden. Dafür gilt es, Ressourcen bereitzuhalten, falls wir in der Akutmedizin tätig werden müssen.

Ändert sich etwas für Patienten, die bei Ihnen in Behandlung sind?

Wir haben Kontakte nach außen auf ein absolutes Minimum eingeschränkt und jegliche „Mikromobilität“ für die Patienten, wie beispielsweise Einkäufe, unterbunden. Dafür haben wir einen Fahrer, der die Einkaufslisten der Patienten mitnimmt und Erledigungen macht. Die Produkte werden dann in der Cafeteria zum Kauf angeboten.

 Dr. Jens-Uwe Schneider.
Dr. Jens-Uwe Schneider. © Klinik

In der Klinik haben wir einen sicheren Rahmen für Patienten geschaffen. Gruppensitzungen finden weiter statt, da die Patienten länger als 14 Tage bei uns sind - und alle asymptomatisch sind. Es geht darum, die Einschleppung des Virus zu verhindern. Für die Patienten ist jedoch der soziale Kontakt und der partizipative Austausch innerhalb der Therapie wichtig. Schwierig ist der Aufnahmestopp und der Wegfall ambulanter Therapien. Denn die Krisenzeit und „Social Distancing“ können Auswirkungen auf die Psyche und den gesundheitlichen Zustand von vorbelasteten aber auch anderen Bürgern haben.

Welche Auswirkungen kann Social Distancing haben?

Menschen werden auf sich selbst zurückgeworfen- Vermeidungsstrategien, die vorher angewandt wurden, helfen nicht mehr und Ablenkung bricht weg. Viele Menschen leben alleine und können Angst und Unsicherheit entwickeln. Das geht bis hin zu schweren Depressionen oder suizidalen Gedanken. Auch die ökonomischen Folgen und Existenzängste spielen eine Rolle. Viele Familien oder Paare sehen sich riesigen Herausforderungen gegenüber - abgesehen von der vielen Zeit zusammen auf einem engen Raum, die Konflikte auslösen kann. Es kann zu Aggressionen und Wut kommen, oder zu Alkoholproblemen und Drogenmissbrauch. Wir befürchten auf Dauer auch, ähnlich wie es in China beobachtet wurde, einen Anstieg der Taten im Bereich der häuslichen Gewalt.

Viele Betroffene stehen also mit ihren Problemen dann alleine da?

Genau deswegen haben wir eine Telefonhotline eingerichtet, damit die Menschen mit ihren Problemen nicht alleine sind. Wir wollen Ansprechpartner bleiben. Ausgebildete Psychotherapeuten stehen als Gesprächspartner zur Verfügung. Sie können Verhaltensempfehlungen geben oder gezielte Übungen zum Aggressionsabbau. Sie hören aber auch einfach zu, manchmal ist das sogar am effektivsten.

Wie sehen Sie das Kontaktverbot? War es notwendig?

Ja, weil hier erst das Sanktionssystem funktioniert hat, nicht das Belohnungssystem. Trotz mehrfacher Aufforderung haben nicht alle Menschen ihre Kontakte und Unternehmungen deutlich genug eingeschränkt - wie es beispielsweise in Südkorea gemacht wird. Dort halten sich die Menschen strikt an die Vorgaben und distanzieren sich - zumindest körperlich - voneinander. Das Resultat: Die Geschäfte sind weiterhin geöffnet, Alltag findet fast normal statt, die Anzahl der Infektionen ist niedriger. Das hat hier leider nicht funktioniert.

Beobachten Sie denn schon zunehmende Probleme?

Nein, bislang nicht. So lange greifen die Maßnahmen aber auch noch nicht. Wenn aber nun beispielsweise die Kurve der Zahlen der Neuinfektionen nicht abflacht und das erhoffte Ergebnis nicht eintritt, werden sich viele Fragen, wozu die Einschränkungen gut waren. Das könnte Wut und Unverständnis auslösen. Und mit zunehmender Zeit des Kontaktverbots oder zunehmenden Einschränkungen werden sich auch die Probleme verstärken. Gerade die Feiertage rund um Ostern können zu einer extremen Zunahme führen.