Freienohl. In Freienohl stirbt am Bahnübergang in aller Öffentlichkeit ein Mann. Jetzt gibt es mehr Informationen zu dem Fall - und ein weiteres Opfer.

Nach dem schrecklichen Vorfall vom Freitag, bei dem in Freienohl ein Mann von einem einfahrenden Zug getötet wurde, ist der betroffene Lokführer die nächsten zwei Wochen erst einmal arbeitsunfähig geschrieben.

Polizei in Meschede bestätigt Suizid

Die Polizei in Meschede spricht inzwischen sicher von einem Suizid, der sich in aller Öffentlichkeit an dem Bahnübergang an der Tankstelle Noeke ereignet hatte.

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Opfer dabei ist auch immer der Lokführer. Die belastende Statistik besagt: Jeder Lokführer ist im Laufe seines Berufslebens mit durchschnittlich 2,7 Fällen an Selbstmorden konfrontiert.

Michael Gerhards ist selbst Lokführer gewesen. Als Notfallbetreuer hat er auch seinem Kollegen geholfen, der am Freitag in das Unglück in Freienohl verwickelt war.  .
Michael Gerhards ist selbst Lokführer gewesen. Als Notfallbetreuer hat er auch seinem Kollegen geholfen, der am Freitag in das Unglück in Freienohl verwickelt war. . © Archiv

Michael Gerhards weiß, was sich hinter dieser nüchternen Zahl verbirgt. Er hat seinen Kollegen am Freitag betreut. Er war selbst Lokführer, ist Ortsgruppen-Vorsitzender der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer in Bestwig, freigestellter Betriebsrat und auch als Notfallbetreuer ausgebildet.

Gerhards ist mit seinem Kollegen am Freitag ins Krankenhaus gefahren, die zwei Wochen Arbeitsunfähigkeit seien die Mindestzeit, weiß er aus trauriger Erfahrung: „So ein Vorfall belastet enorm, keine Frage.“ Dem Kollegen wird auch die Hilfe eines Psychologischen Dienstes angeboten werden. Gerhards betont: „Das Wichtigste ist jetzt: Reden, reden, reden – mit der Familie oder mit Freunden. Man darf nichts in sich hineinfressen.“

Strecke ist nicht abzuschirmen

Er kennt viele, die danach nicht mehr Lok fahren konnten – ein Kollege habe danach sogar selber keinen Ausweg mehr gesehen und sich getötet. Alleine in einem Jahr hatte Gerhards elf Lokführer nach Suiziden auf der Oberen Ruhrtalbahn zu betreuen. In letzter Zeit sei hier Ruhe gewesen – wie berichtet, rückte stattdessen plötzlich die neue Autobahn in den Fokus, die jetzt besonders geschützt werden soll. Eine Bahnstrecke dagegen kann nicht abgeschirmt werden.

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Gerhards berichtet, wieder aus trauriger Erfahrung, dass Lebensmüde sogar in letzter Sekunde noch am Bahnsteig vor einen Zug sprangen. Auch an einem Bahnübergang kann ein Lokführer nicht sicher sein. Immer wieder komme es dort zu den „normalen“ lebensgefährlichen Situationen, wenn ein Fußgänger in letzter Sekunde unter einer sich schließenden Schranke hindurch wolle: „Im letzten Moment macht jemand einen Schritt. Man hupt dann noch und glaubt immer, es will noch eben einer über die Schienen gehen.“ Eine Chance zu reagieren und zu bremsen habe der Lokführer nicht: Da ist die Verzögerung durch die Reaktionszeit, dazu komme der 400 bis 500 Meter lange Bremsweg bei einer Geschwindigkeit von 70 bis 80 km/h.

„Keinen Blickkontakt aufnehmen“

Michael Gerhards hatte selbst als Lokführer diese fürchterlichen Erfahrungen gemacht. Zweimal überfuhr er Menschen – „solche Erlebnisse vergisst man nicht“. Damals habe es noch keine Hilfen oder Betreuung gegeben, Gerhards musste drei Tage danach wieder fahren. Heute wird ein Lokführer zwingend sofort abgelöst. In der Ausbildung wird versucht, angehende Lokführer auf solche möglichen traumatischen Ereignisse vorzubereiten: „Das Schlimmste ist, Blickkontakt aufzunehmen.“

>>>HINTERGRUND<<<

Normalerweise berichten wir nicht über Suizide, es sei denn, sie erfahren durch ihre Umstände besondere Aufmerksamkeit.

Wenn Sie selbst depressiv sind und Selbstmord-Gedanken haben, kontaktieren Sie bitte die Telefonseelsorge über die kostenlose Hotline 0800/111 01 11 oder 0800/111 02 22.

Hilfe für Menschen, die unter Depressionen leiden, gibt es außerdem beim Bündnis gegen Depression: 0291/941469.