Meschede. Als Deutschland die Einheit feierte, entzweite ein Dreieck die Kreisstadt: Doch Meschede streitet nicht nur über die Kunst vorm Amtsgericht.
„Es ist ein öffentliches Ärgernis! Ohne die geringste Hochachtung vor dieser Mißgeburt.“ Mit diesen Worten beendet Jupp Schmies aus Finnentrop seinen Leserbrief. Was Herrn Schmies so erzürnt? Eine Skulptur, die heute fast vergessen und unauffällig Moos ansetzt: Das niederbrechende Pferd hinter dem Mescheder Kreishaus.
Die wütenden Zeilen des Herrn Schmies sind fast 60 Jahre alt. Aber auch heute noch erregt zeitgenössische Kunst im öffentlichen Raum die Gemüter: Das beste Beispiel hierfür ist das Kunstwerk im Kreisverkehr in der Arnsberger Brückenstraße, das im vergangenen Jahr aufgebaut wurde. Der Künstler hat dort einen sechs Meter hohes „A“ errichtet. Das „A“ erinnert an die roten Fähnchen, mit denen GoogleMaps Ziele verortet. Die Figur heißt deshalb auch „Map“ (Karte). Schnell machten Scherzbilder via WhatsApp die Runde. In denen jemand die Installation für das Wortspiel „Arnsberg am „A“ der Welt“ nutzte.
Rost und Diskussionen
Doris Goß, Direktorin des Mescheder Amtsgerichts, ist Arnsbergerin und kann dem Kunstwerk durchaus etwas abgewinnen: „Ich finde das Arnsberg-A im Kreisverkehr am Brückenplatz absolut gelungen, nachdem ich bei den ersten Entwürfen dachte, man wolle uns veralbern.“ Sie sei zeitgenössischer Kunst grundlegend aufgeschlossen.
Diese Haltung trifft sich gut, lagert doch auch vor ihrer Behörde ein Bodenkunstwerk, das für erbitterte Diskussion sorgte. Und die auch in der Diskussion um das Arnsberger-„A“ wieder entfacht ist.
Als Deutschland die Einheit feierte, entzweite ein Dreieck die Kreisstadt. Der Kölner Professor Heinz-Günter Prager ließ im Herbst 1990 auf dem Vorplatz des Amtsgerichtes eine Skulptur errichten, mit der die Mescheder noch heute fremdeln. Prager griff den Giebel des Gerichtes auf, zerlegte ihn in seine Einzelteile und ordnete diese auf dem Vorplatz neu zusammen. Der Künstler hoffte auf „emsige Diskussionen“ und Regen, denn der sollte seiner Stahl-Skulptur erst den richtigen Farbton, ein dunkles Braun, verschaffen. Sprich: Rost. Prager bekam beides.
„Der Schrott muss weg“, skandierten die Mescheder. Protest formierte sich, es hagelte Leserbriefe. Zunächst hatten einige gedacht, dass die Bauarbeiter, die das Gebäude zeitgleich umbauten, Teile des Gerüsts vergessen hatten. Auch der Künstler selbst ärgerte sich, weil Bauarbeiter sein Werk als Ablage für Material nutzten. Hässliche Flecken habe dies hinterlassen.
Schmunzeln muss auch Ulrich Papencordt, Leiter des Kultur-Fachdienstes beim Hochsauerlandkreis, als er eine sehr alte Akte aus dem Kreisarchiv vor sich liegen hat. Auf dem Aktendeckel steht nur ein Wort: „Pferd“. Darin werden Zeitungsartikel und Zuschriften zum „niederbrechenden Pferd“ verwahrt. Auch die bereits zitierten Worte des Herrn Schmies aus Finnentrop (vor der Kommunalen Neugliederung Teil des Altkreises Meschede). In diesen Zuschriften ist die Rede vom Streitroß, dem sterbenden Amtsschimmel, von Missgeburt und Contergan-Pferd.
Kosten: 64.500 Mark
64.500 Mark kostete die Skulptur des Siedlinghauser Künstlers Eugen Senge-Platten damals. Es wurde im Mai 1963 aufgestellt und zog später mit dem Neubau des Kreishauses um an seinen heutigen Standort an der Henne.
„Es ist doch erstaunlich, dass sich die heute Diskussion um moderne Kunst, kaum von der damaligen unterscheidet“, stellt Papencordt fest. „Zumal sich heute niemand mehr über das Pferd aufregt.“ Damals sollte das niederbrechende Pferd den Vormarsch der Maschinen in der Landwirtschaft symbolisieren. In den 60ern ersetzten schließlich immer mehr Traktoren Pferd und Ochs.
Der Künstler beschrieb sein Werk damals: „Die Kurve, die über die Plastik von oben schräg nach unten läuft, zwingt
die Figur in ein unerbittliches Geschehen. Das rechte Bein bildet mit dem Körper eine Art Schale, eine Hohlform, während auf der anderen Seite das gebrochene Bein den Körper in mächtiger Wulstung vorspringen lässt. (...) So geht die Kraft in Kraftlosigkeit über und der Stein, auf dem Kopf ruht, wird zum Opferstein.“ Diese Ausführung ließ viele einigermaßen ratlos zurück.
Humor hilft
Mit Humor nahm es die Reaktion der Westfalenpost im Oktober 1990. Sie schloss die Dreiecks-Diskussion mit diesen Worten: „Wir bitten unsere Leser nun, die Schritte beim Sonntagsspaziergang einmal zur neuen Post in der Lagerstraße zu lenken und die dortige, zweifellos viel farbigere, gläserne „Kunst am Bau“ näher zu betrachten.“
- Der preußische Innenminister erließ im Juni 1928 unter dem Aktenzeichen IV a I 223 II, dass bildende Künstler „bei der Errichtung und Ausstattung staatlicher und kommunaler Bauten mehr als bisher“ berücksichtigt werden sollten.
- Seit 1950 waren bei allen Bauaufträgen des Bundes (und auch des Landes NRW) grundsätzlich ein Betrag von mindestens einem Prozent der Bausumme für Werke bildender Künstler vorzusehen. Dieser Prozentsatz wurde 2001 ad acta gelegt.
- Weitere Beispiele in Meschede: Das Glasmosaik um den Aufzug im Foyer des Arbeitsamt von der Künstlerin Birgit Jensen (2001, finanziert vom Bund) oder sechs Installationen aus Acrylfarbe, Sichtbeton und Kupferrohren der Künstlerin Gisela Kleinlein, die im Mescheder Gebäude der Fachhochschule Südwestfalen hängen (2004, finanziert vom Land).
- Die fünf „Lollipopps“ am Ufer der Henne, hinterm Kreishaus wurden übrigens 2012 entsorgt, als der Hennepark als Regionale-Projekt entstand. Die Skulpturen mit dem Namen „5 Raumzeichen“ des Dortmunder Künstlers Josef Giese waren so beschädigt, dass eine Reparatur unmöglich war. An der Stelle stehen nun die „Schilfkobolde“, die von Pater Abraham in der Abtei Königsmünster geschmiedet wurden.