Grafschaft. Der Leiter Prof. Christoph Schäfers gibt Einblicke zur 25-Millionen-Euro-Erweiterung, der Zukunft, den Zukunftsthemen und Herausforderungen.
Vor 60 Jahren errichtete Dr. Karl Bisa, Chefarzt des Fachkrankenhauses Kloster Grafschaft, ein Forschungslabor auf dem Aberg. Heute hat das Fraunhofer IME rund 530 Mitarbeiter an sechs Standorten und ist Partner für Vertragsforschung in den Bereichen Pharma, Medizin, Chemie, Bioökonomie, Landwirtschaft sowie Umwelt- und Verbraucherschutz. Der Schmallenberger Standort startet bald in sein siebtes Jahrzehnt. Auf dem Aberg entsteht aktuell ein Laborneubau für rund 25 Millionen Euro, der die Forschung auch künftig sicherstellt, sagt der kommissarische Leiter Dr. Christoph Schäfers. Ein Meilenstein auf dem Erfolgsweg, den es zu feiern gilt.
60 Jahre Fraunhofer in Schmallenberg: Können Sie einen Einblick in die Geschichte geben?
Schäfers: 1959 wurde das Institut in Schmallenberg als Fraunhofer-Institut für Aerobiologie unter Leitung von Dr. Bisa in die Fraunhofer-Gesellschaft eingegliedert und der Bau des Hauptgebäudes begonnen. Im Vordergrund stand der Schutz des Menschen vor Luftschadstoffen. 1979 wurde das Arbeitsfeld des Instituts in Toxikologie und Aerosolforschung umbenannt und das ITA bekam einen Standort in Hannover.
Das Aufgabenfeld änderte sich?
1983 rückten der Verbleib und die Wirkung von Chemikalien in der Umwelt und die Wirkung möglicher Schadstoffe auf Mikroorganismen, Pflanzen und Tiere in den Mittelpunkt der Forschung in Schmallenberg. Zwei Jahre später wurde das Institut in Fraunhofer-Institut für Umweltchemie und Ökotoxikologie IUCT
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umbenannt. Seit 2001 heißt es nun Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME mit den beiden Standorten Schmallenberg (Angewandte Oekologie) und Aachen (Molekularbiologie). Ausgehend von der Molekularbiologie sind in den vergangenen Jahren mehrere weitere Standorte mit unterschiedlichen Schwerpunkten in den Forschungsbereichen Medizin und Pharmakologie, sowie Pflanzen- und Insektenbiotechnologie entstanden.
Gab es auch Herausforderungen?
Ende der 1990er-Jahre war das Umweltthema von geringem Interesse für die Gesellschaft; auf dem schrumpfenden Markt konnten wir unsere Expertise nicht mehr überzeugend genug anbieten. Schrumpfende Umsätze und Beschäftigtenzahlen führten zu Überlegungen, das Schmallenberger IUCT zu schließen. Die Einrichtung des Bereichs Molekularbiologie und Ansiedlung der Umweltprobenbank des Bundes hat uns das Überleben gerettet. Wir haben neue Themen entwickelt und uns von „alten Zöpfen“ verabschiedet. Mittlerweile ist das Umweltthema wichtiger denn je.
Auf welchen Gebieten forschen Sie dort genau?
Wir schauen uns die Verteilung und den Verbleib von chemischen Stoffen in der Umwelt an, wie sie von Lebewesen aufgenommen und verändert werden und wie sie auf diese wirken. Auf Basis der entwickelten Bestimmungsmethoden formulieren und überprüfen wir Richtlinien für die Umweltsicherheit von Stoffen. Mittlerweile haben wir durch unsere Projekte eine weltweit anerkannte Stellung erlangt: Wir sind Spezialisten
dafür, sehr niedrige Konzentrationen eines Stoffes in der Umwelt und in Testsystemen zu messen. Wir erkennen frühzeitig, welche Substanzen eine Umweltbelastung darstellen können und wie gefährlich sie sind.
Mithilfe radioaktiv markierter Substanzen erfassen wir Abbauprodukte und deren Verbleib in der Umwelt. Wir entwickeln neue Testverfahren zur Messung der Anreicherung in Organismen oder der Langzeitwirkung auf Fische.
Wer sind Ihre Kunden?
Als Fraunhofer arbeiten wir zum Wohl der Gesellschaft und unterstützen die Industrie. In Schmallenberg sehen wir uns als wissenschaftlicher Mediator bei der Abwägung zwischen dem Besorgnis der Regulationsbehörden hinsichtlich eines bestimmten Stoffes und dem Interesse von Unternehmen, Produkte mit diesem Inhaltsstoff als unbedenklich zu vermarkten. Diese Aufgabe übernehmen wir für Fragestellungen der unterschiedlichsten Branchen.
Sind die Themen gleich geblieben? Oder kommen neue dazu?
Aktuell untersuchen wir die Auswirkungen hormonähnlicher Präparate, beispielsweise Wirkstoffe der Mikropille, auf die Umwelt, entwickeln Tierversuchsersatzmethoden oder schauen uns das Umweltverhalten von Mikroplastik an.
Mikroplastik ist ein Thema, das aktuell besonders viel Aufmerksamkeit bekommt...
Ja. Wir können beispielsweise mit radioaktiv markiertem Kohlenstoff die Abbaubarkeit und den Verbleib von Stoffen messen - so auch bei Mikroplastik. Die Schwierigkeit dabei ist, dass Mikroplastik vereinfacht gesagt aus ganz vielen kleinen identischen Baustoffen besteht.
Man müsste jeden einzelnen Baustein radioaktiv markieren, um das genau nachvollziehen zu können. Wir können jetzt mithilfe von Rezepturen unserer Fraunhofer-Kollegen vom IAP in Potsdam kleine Mengen verschiedenster Kunststoffe markiert zu Forschungszwecken herstellen. Zukünftig sollte auch geklärt werden, ob die Fähigkeit von Plastiksubstanzen andere Giftstoffe anzuziehen für die Belastung von Organismen in der Umwelt ein Problem darstellt.
Und gibt es bestimmte Besonderheiten im Geburtstagsjahr?
In Schmallenberg sind umfangreiche Um- und Neubaumaßnahmen in vollem Gange, welche die Kapazität des Bereichs „Angewandte Oekologie“ auf gut 200 Arbeitsplätze erhöhen. Die Feier am 29. Oktober ist fast Labor mit modernster Technikein Richtfest für unseren Laborneubau und fast eine Eröffnung für die neue Institutsmitte. Wir haben vor Start der Großmaßnahme aus Eigenmitteln einen neuen Parkplatz, Garagen, Lagerhallen, Chemikalienlager und ein Mülllager neu gebaut.
Auch der Bau unserer Energiezentrale, einer Bodenbearbeitungshalle und von Laborgebäuden für Fischtests mit Eigenmitteln dienten der Entlastung des Großbaus und der Befreiung des nötigen Baugrundes von Altgebäuden. Insgesamt werden sich die Maßnahmen auf rund 30 Millionen Euro belaufen.
Wann wird alles fertig?
Laut Planungen soll der Großbau Ende 2021 komplett fertig werden. Danach wollen wir noch alte Laborbereiche renovieren.
Wie sehen Sie die Zukunft?
Für uns ist es wichtig, Themen und Fragestellungen vorauszusehen und anzugehen, wenn sie wichtig werden. Wir werden in Schmallenberg weiter daran arbeiten, Richtlinien für den stofflichen Umweltschutz zu entwickeln, die hoffentlich dazu beitragen, eine lebenswerte Welt zu ermöglichen und zu erhalten.