Meschede. „Nicht verfügbar“ - immer häufiger werden Medikamente in Apotheken knapp. Der Sprecher der Apotheker im HSK aus Meschede dazu im Interview.
Lieferengpässe bei Medikamenten gehören seit einigen Jahren zum Alltag in den Apotheken. Welche Gründe es dafür gibt und wie Apotheker doch immer eine Lösung für ihre Kunden finden, davon erzählt Klaus Mörchen, Sprecher der Apotheken im Hochsauerland und Inhaber der Apotheke am Brunnen, im Interview.
Hat sich die Problematik Lieferengpässe in den vergangenen Monaten verschlechtert?
Klaus Mörchen: Im Grunde nicht. Das Thema ist zwar immer wieder in den Medien, die Situation ist seit einiger Zeit aber gleichbleibend schlecht und sehr komplex.
Um welche Medikamente handelt es sich denn?
Das ändert sich ständig. Eine aktuelle Liste ist auf der Internetseite des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte zu finden, in der letzten Zeit waren dort beispielsweise aufgeführt das Prostatamittel Pollstimol, der Blutdrucksenker Valsartan und auch das Antirheumatika und Schmerzmittel Ibuprofen. Zum Teil handelt es sich auch nur um bestimmte Packungsgrößen oder Wirkstoffstärken.
Welche Gründe gibt es für diese Lieferengpässe?
Die Ursachen sind vielschichtig. Der Hauptgrund sind wohl die Rabattverträge, die alle Krankenkassen mit Herstellern exklusiv abschließen dürfen. Die AOK Württemberg hat aufgrund gesetzlicher Änderungen vor über zehn Jahren damit angefangen. Sie hat einen Wirkstoff ausgeschrieben und den Zuschlag wenigen Firmen mit den günstigsten Angeboten erteilt. Ein klassisches Ausschreibungsverfahren wie man es vom Vergaberecht z.B. im Bauwesen kennt. Unter dem Preisdruck, möglichst günstig zu produzieren, werden Medikamente mittlerweile weniger in Deutschland, sondern überwiegend in Ländern wie Indien und China produziert. Das sind sehr große Produktionsanlagen, die auch für andere Länder wie z.B. die USA produzieren. Da steht Deutschland nicht immer unbedingt an erster Stelle. Hinzu kommen lange Transportwege und es kommt auch vor, dass Produkte nicht der erforderlichen Qualität entsprechen, zum Beispiel verunreinigt sind. Diese werden dann zurückgerufen und müssen nachproduziert werden, z.B. Valsartan im letzten Jahr.
Das heißt, dass andere Hersteller, die den Zuschlag nicht bekommen, die Medikamente gar nicht mehr produzieren?
Zumindest nicht in der Menge, die der Markt benötigt. Das wäre mangels Liefervertrag auch nicht wirtschaftlich. Hinzu kommt, dass wir je nach Zugehörigkeit der Krankenkasse strikt festgelegt sind, von welchem Hersteller wir dem Kunden ein Medikament herausgeben dürfen. Andernfalls würde die Krankenkasse die Kostenübernahme ablehnen. Das ist nicht nur eine Verzerrung des freien Marktes, sondern auch ein Eingriff ins Verordnungs- und Versorgungssystem.
Welche Möglichkeiten hat ein Patient denn, wenn sein Medikament nicht lieferbar ist?
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Es gibt immer irgendwelche Lösungen: Zum Beispiel andere Packungsgrößen, andere Wirkstoff-Kombinationen oder -Stärken, nach Rücksprache mit dem verordnenden Arzt. Und mit einer entsprechenden Begründung ist es auch möglich, auf einen Hersteller zurückzugreifen, den die Krankenkasse nicht im Katalog hat. Das bedeutet für uns allerdings einen erheblichen Aufwand an Dokumentation. Der Notstand bricht sicher nicht aus, aber es geht nicht so einfach und verständlich wie es eigentlich gehen könnte. Was mich aber wirklich ärgert, ist, dass ausschließlich die Wirtschaftlichkeit im Vordergrund steht - nicht die Versorgungssicherheit. Und Patienten sind natürlich verunsichert. Auch das ist nicht schön und bedeutet für uns viel Erklärungsaufwand, den eigentlich die Krankenkassen gegenüber ihren Mitgliedern erbringen müssten.
Ist denn abzusehen, dass sich die Situation verbessert?
So lange das Ausschreibungssystem praktiziert wird, wird sich an der Verknappung nichts ändern. Die Politik hat das Problem aber erkannt. Ich bin gespannt, ob das etwas ändert.
>>> Weitere Informationen
- Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) erklärt, dass für 91,2 Prozent der selbstständigen Apotheker Lieferengpässe zu den größten Ärgernissen im Berufsalltag gehören - Tendenz steigend. Zum Vergleich: 2016 lag der Wert noch bei 35,5 Prozent.
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- Für die Apotheker sind Lieferengpässe mit Mehraufwand verbunden. Laut ABDA wendet die Mehrheit der Apotheker mehr als 10 Prozent ihrer Arbeitszeit dafür auf, um bei Engpässen gemeinsam mit Ärzten, Großhändlern und Patienten nach Lösungen zu suchen.
- Seit 2013 werden die Lieferengpässe vom BfArM auf Grundlage freiwilliger Meldungen der Hersteller erfasst – mit entsprechenden Unschärfen im System. 2018 wurden 139 versorgungsrelevante Wirkstoffe defekt gemeldet. Zum Vergleich: Im Jahr 2019 gab es neun Meldungen dazu.
- Laut ABDA hat sich die Anzahl der nicht verfügbaren Rabattarzneimittel von 4,7 im Jahr 2017 auf 9,3 Mio. 2018 verdoppelt.