Berge. Im Herbst beginnt für Sabrina Schwefer die schönste Zeit: Sie kann ihre selbstgeschneiderten Dirndl ausführen. 100 Prozent made in Berge.
Sabrina Schwefers (25) Blick wandert über die Dirndl auf der cremefarbenen Garderobenstange. Pünktchen, Rosen, Blüten, hochgeschlossen oder mit herzförmigen Ausschnitt und Froschgoscherl-Rüschen, Schürzen aus glänzenden Stoffen, mit Spitze und Perlen. Kurz: Ein Oktoberfest-Traum. Die 25-Jährige zupft an einer brombeerfarbenen Schürze und sagt: „Auf einem Bügel gefallen mir Dirndl überhaupt nicht. Dirndl müssen getragen werden.“ Mit Leben gefüllt. Seit etwa drei Jahren schneidert die Arzthelferin in ihrer Freizeit Dirndl. Hauptsächlich für sich, aber auch ihre Schwester und ihre Cousine haben schon eins ihrer Unikate bekommen.
„Das war mein erstes“, sagt sie und zieht ein Kleid mit orangefarbenen Blumen hervor. „Das habe ich aus Stoffresten und ohne Schnittmuster genäht.“ Es sei ein Versuch gewesen, um die neue Schneiderpuppe auszuprobieren. Mit ihrem zweiten Dirndl gewann sie gleich einen Preis auf der Berger Herbstfete. Das amtierende Königspaar prämiert dort stets das schönste Kleid. „Und die schönste Lederhose“, fügt sie hinzu und lacht.
Klassisches Dirndl aus Feincord
Auf ihrem Nähplatz liegt das neueste Projekt: Ein klassisches Dirndl aus weinrotem Feincord, dazu eine dunkle Schürze mit getupften Blüten. „Wenn ich den Stoff sehe, habe das Dirndl meistens schon im Kopf“, sagt sie. Mit jedem Kleid werde sie besser. „Das macht einfach Spaß. Manchmal setze ich mich an einem Samstagmorgen hin und nähe durch bis abends.“ Manchmal bleibe die vollautomatische Brother-Nähmaschine aber auch wochenlang ohne Auftrag.
Die Stoffe kauft sie online („Das ist aber schwierig, weil man sie nicht anfassen kann.“) oder im Haus der Handarbeit in Meschede. Oft bekommt sie auch Stoffe geschenkt. Für ein Dirndl benötigt sie meistens etwa 12 Stunden. „Aber richtig fertig bin ich nie. Es gibt immer etwas, das ich noch verändern kann oder möchte.“ Beispielsweise wird das Dirndl mit der brombeerfarbenen Schürze noch einmal überarbeitet. „Der Rock fällt noch nicht so schön weit“, erzählt sie. Beim Tanzen muss er schließlich mitschwingen. „Das trage ich auf dem Oktoberfest in Wallen.“ Ausrichter ist die Musikkapelle Die Caller, in der die 25-Jährige Klarinette spielt.
Woher die Liebe zur bayerischen Tracht?
Hinter den Sprossenfenstern dämmert es. Die grünen Hügel färben sich dunkler. Mit etwas Phantasie könnte man sich im Alpenvorland wähnen. Daher also die Liebe zur bayerischen Tracht? Schließlich trägt ihr Heimatdorf die Berge schon im Namen. „Es kam durch die Musik“, erzählt Sabrina Schwefer. Für das erste Oktoberfest auf dem die Caller gespielt haben, kaufte sie ein Dirndl. „Kein Vergleich zu den Selbstgenähten“, sagt sie sofort. Die Stoffe seien oft zu dünn, und damit sehr locker. „Die Corsage darf keine Falten werden“, erklärt sie. Dieser Satz macht sie stolz: „Das Dirndl bei Lidl gibt es 100.000 Mal, meins nur ein Mal.“
„An jedem Dirndl ist etwas von meiner Oma“, erklärt Sabrina Schwefer und strahlt, wie Enkelinnen strahlen, die von ihren geliebten Omas erzählen. Oma Marilies versorgt die 25-Jährige oft mit Stoffen, Spitze und Schließen. Von ihr lernte Sabrina Schwefer als Zehnjährige das Nähen. „Ich kam gerade so mit dem Füßchen ans Pedal.“ Eine Boxershort und (kein Wunder) eine Schürze waren ihre ersten Stücke.
Ist es nicht schade, dass man Dirndl nicht im Alltag trägt? „Ja, eigentlich schon. Ein Dirndl betont einfach auch die Vorzüge der weiblichen Figur.“ Im vergangenen Jahr war sie auch mit einer größeren Gruppe auf den Cannstatter Wasen in Stuttgart. Und durch die Musikkapelle, die auch häufiger in Egerländer Besetzung spielt, gibt’s genug Ausführ-Gelegenheiten für die Dirndl. Zum Beispiel auf dem Oktoberfest in Wallen und auf der Berger Herbstfete. Und so werden die Dirndl von der cremefarbenen Stange mit Leben gefüllt.