Meschede. Lange Schlange vor dem Lidl-Sonderverkauf in Meschede. Ob sich das Anstehen im Schwarzen Bruch gelohnt hat? Ein Selbstversuch.
8.02 Uhr, Mittwochmorgen. Die Menschen stehen Schlange vor dem ehemaligen Getränkemarkt Dursty: Dort findet der große Sonderverkauf des Discounters Lidl statt. Eine Schlacht um Steppdecken, Dörrautomaten und Blech-Flamingos. Zwei Sicherheitsmänner regeln den Einlass. Ich darf nicht rein.
8.10 Uhr. Die Dame in der pinkfarbenen Softshelljacke vor mir atmet tief aus. Yogaatmung. „Wir hätten doch hier übernachten sollen“, sagt eine für diese Uhrzeit zu gut gelaunte Frauenstimme hinter mir. Die ersten Kunden sollen schon gegen 7 Uhr vor dem Laden gestanden haben. Schon ein bisschen verrückt, denke ich. Es ist der zweite Tag des Sonderverkaufs bei Lidl. Der Discounter verspricht Schnäppchen, die bis zu 80 Prozent billiger sind. Am Morgen ist frische Ware gekommen.
Orangefarbene Preisschilder als Magnet
Im Laden kleben orangefarbene Preisschilder an den Wänden. Ich sehe Frauen, die flink Oberbetten in Einkaufswagen stapeln, Dampfglätter und Kleiderbügel durch die Gänge tragen. Ein Wäscheständer fällt geräuschvoll um. Der erste Kunde verlässt den Laden. Ein Mann mit Hut, ohne Mimik. Fröhliche Schnäppchenjäger sehen anders aus. Ein weiterer trägt ein Ernesto-Espresso-Set zum Auto. Kaffee! Das wär’s.
Verschenkte Lebenszeit
8.17 Uhr. Die Dame in pink schaut auf die Uhr. Schüttelt den Kopf und geht. Das hatte sie sich anders vorgestellt. Mal wieder Lebenszeit für nichts investiert. Ein Paar balanciert seine Einkäufe auf Händen aus dem Laden. Darunter ein lila Tablett und eine Quicheform. Beide sehen erleichtert aus. Könnte heißen: „Endlich wieder Geld ausgegeben“ oder „endlich draußen“.
Derweil reicht eine Frau mit Kopftuch wortreich einen pinkfarbenen Koffer und einen Wäschetrockner durch die Schiebetür. Ihre Tochter, die draußen wartet, nimmt alles entgegen. Sie soll die Schnäppchen schon einmal zum Auto bringen. Eine Familie mit System. Sehr gut.
Wie auf der Titanic
Ah, die Herren der Security lassen die nächsten Kunden rein. „Machen Sie schnell“, drängelt eine Frau von hinten. Oje, wenn sie wüsste wie langsam ich sein kann. So langsam wie die das Faultier auf der Silikon-Backform, das ich schon erblicken kann. „Lassen Sie das Baby vor“, ruft die gleiche Frau zu der Security. Eine Frau mit Maxicosy auf dem Einkaufswagen wird noch reingelassen. Ist ja wie auf der Titanic hier...
„Das tue ich mir nicht an“, sagt eine Frau in Funktionsjacke. Ihr Mann schon. Er lächelt. Ich auch. Die Schlange hinter mir ist enorm. Stau ist nur hinten doof, vorn geht’s. 8.35 Uhr. Ich bin drin. Und jetzt geht es erst richtig los. Stifte, Solarleuchten, Silkon-Backformen (Faultier! Lama!) ziehen an mir vorbei. Ich werde einfach weiter geschoben von der Welle. Preise stehen auch fast nirgends drauf. So weiß ich ja gar nicht, was ich sparen kann. Soll. Muss. Eine Rentnerin krabbelt in einen riesigen Karton auf dem „Qualität aus Deutschland“ steht. Inhalt: 100 prozentig „Made in China“.
Stau. Ich bin eingekeilt zwischen Plastiktischdecken und Cola-Gläsern. Überlege kurz, den Laden ohne Wagen zu verlassen. Aber da steckt mein Euro drin. Jetzt bloß keinen Verlust machen! Eine junge Frau weist mir den Weg. „Einfach da durchquetschen“, rät sie. Der hintere Gang ist komplett dicht mit Wagen voller Steppdecken, Toppern und Kissen. Was wollen die Leute mit so viel Bettzeug? Wahnsinn.
Sandkasten aus Holz für 25 Euro
8.45 Uhr. Der Sandkasten kostet 49,99 Euro. Jetzt nur 25. Das ist ein Schnäppchen. „Marion holst du noch Kissen?“, ruft Marions Mann. Schon wieder Kissen! Marion tauscht Kissen gegen Küsschen. Das ist süß. Auch diese beiden haben System. Er steht schon einmal an, während sie ihre Runden dreht.
Vorbei an Dörrautomaten, pinkfarbenen Blechflamingos, Autowatte und Rollschuhen schiebe ich gen Kasse. Ich lege pinkfarbenes Panzerband in den Wagen. Ein Vernunftkauf. An der Kasse (kein Witz) steht ein sprechender Pulsmesser. Die drei Frauen vor mir packen ihre Waren aufs Band. Da viele der Produkte, die erst am Morgen gekommen waren, nicht ausgezeichnet sind, treffen sie ihre Kaufentscheidung samt Beratung direkt an der Kasse: Drei Edelstahlschüsseln für drei Euro? Wie bitte? Auf gar keinen Fall! Aber schön sind sie… Tick Tack. 8.59 Uhr.
Der Filialleiter wirkt entspannt, sagt Sachen wie: „Das ist ein Super-Schnapper!“ Er lässt mit sich verhandeln, aber irgendwann ist auch Schluss. Die Schüsseln bleiben bei drei Euro. Und wieder jede Menge Kissen. Ich frage einer der Frauen, was sie damit vor hat. Sie guckt zu Recht etwas irritiert: „Das ist ja nicht für eine Person.“
Pinkfarbenes Panzerband
„Wir werden nicht teurer“, sagt der Filialleiter zu einer Kundin. Er wiederholt diese Aussage. Möglich also, dass die Waren am Nachmittag noch einmal günstiger werden. Wie kann man denn so ruhig bleiben, frage ich. Ich tippe auf Yogaatmung. Er: „Jahrelanges Training. Nur das Panzerband? Das ist ja mal erfrischend einfach. 50 Cent bitte.“ Ich hätte verhandeln sollen...
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- Im Gespräch ist die Fläche neben Netto an der Briloner Straße. Lidl möchte einen ähnlichen Standort wie in Freienohl schaffen: 1250 Quadratmeter an Verkaufsfläche sowie rund 90 Parkplätze.