Meschede. Acht Kneipen hat Gisbert Kemmerling betrieben, darunter der „Netz“ in Meschede. Er spricht mit uns darüber, was Kneipen ausmacht.
Er kennt sich aus in der Szene. Acht Kneipen hat Gisbert Kemmerling im Laufe seines Lebens geführt – darunter auch „Das Netz“ in Meschede. Der 62-Jährige aus Velmede schildert seine Erfahrungen. Er sagt: Leidenschaft gehört bei einem Gastwirt unbedingt dazu.
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Welche Erinnerungen haben Sie ans „Netz“?
In Kurzform: Ein Freund aus Hamburg meinte 1996, Internet-Cafés boomen ohne Ende. 1997 haben wir dann „Das Netz“ eröffnet. 2006 habe ich zugemacht – einen Monat nach der Fußball-WM. Da war ich nervlich und körperlich am Ende: Ich bin ja damals beruflich zweigleisig gefahren, die Kneipe und die Veranstaltung von Konzerten. Das war zu viel. Wir haben ja jeden Tag aufgehabt damals, ab 15 Uhr.
Was raten Sie jemanden, der eine Kneipe eröffnen möchte?
Mein Rezept war: Du musst auf dem Land und in einer Szene, in der jeder jeden kennt, präsent sein. Die Leute wollen dich sehen. Eine Kneipe steht und fällt mit dem Typen, der das betreibt. Ich predige das immer noch: Du musst das leidenschaftlich machen! Wenn du das nur als Job siehst, dann bleib besser zuhause. Manchmal verdienst du in einer Stunde nur 2 Euro. Manchmal auch 10. Nur: Wenn du das nicht leidenschaftlich machst und der Kunde kommt rein, und sieht dein langes Gesicht, dann kannst du einpacken.
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Welches Anforderungsprofil muss ein Gastwirt mitbringen?
Das Schlimme ist, überall musst du eine Lehre machen. Als möglicher Gastronom brauchst du aber nur die Schankerlaubnis. Von wegen schnelles Geld machen: Das ist in der Kneipenszenerie damals wie auch heute mit einer bestimmten Größe des Gastronomieobjektes nicht möglich. Du solltest dich von erfahrenen Kneipenbesitzern beraten lassen, und dich selbst fragen, wie viele Getränke du am Tag verkaufen musst, um die Kostenstruktur im Monat zu decken. Ich hatte in Velmede einen guten Lehrmeister in Arno Düring, der mir in allen Belangen geholfen hat und mich in den gastronomischen Gepflogenheiten sehr unterstützt hat. Und er hatte für mich den Leitsatz überhaupt, den ich bis heute nie vergessen habe und in jeder Kneipe angewandt habe: Er sagte, gib dem Kunden das, was du selber haben möchtest. Das stimmt. Meine Philosophie ist: Der Kunde muss sich willkommen und wohl fühlen. Wenn du Gäste hast, musst du sie auch freundlich bedienen und einen kleinen Schnack halten – damit sie sich auch wohlfühlen bei dir. Die bringen dir ja auch Geld mit!
Ist die Kneipenszene deshalb rückläufig?
Nein, dafür gibt es viele Gründe, warum wenig bis gar nichts mehr läuft: Rauchverbot, Pacht, Nebenkosten, Gema und der Bedarf an zuverlässig guten Leuten. Die Nebenkosten sind so dramatisch gestiegen, dass du für ein gezapftes Bier eigentlich 2 Euro nehmen musst. Die Gema ist nicht mal eben um 1 Prozent gestiegen, sondern drastisch angestiegen. Wenn du Musik in der Kneipe spielst, hast du dafür früher vielleicht 200 Euro im Jahr gezahlt, heute sind es 1000 Euro. Heute sehen die Mitarbeiter ihre Arbeit leider häufig nur als Aushilfe oder als Job. Wenn fünf Gäste da sind und die haben ihre Getränke, dann kann man sich nicht hinsetzen und am Handy spielen. Das ist gegenüber dem Kunden eine absolute Respektlosigkeit und Ignoranz. Da muss man sich wieder fragen: Wie würde ich mich fühlen? Ich komme ja nicht wegen dem Bier in die Kneipe. Das Bier kann ich auch Zuhause trinken. Was sich völlig geändert hat, ist der Gedanke des Treffpunkts. Früher traf man sich in der Kneipe. Heute trifft man sich im Internet. Oder an der Tanke.
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Ist das der Abgesang auf die Kneipe?
Es ist ja nicht so, dass die Kneipen nicht mehr laufen, nur habe ich festgestellt, dass der Eventcharakter immer stärker in den Vordergrund tritt, und der Kunde meist nur noch dann rausgeht, wenn was Besonderes passiert. Und du musst heute unfassbare Klimmzüge machen, damit du ein Gastronomieobjekt überhaupt noch ans Laufen bekommst. Wenn der Kunde ausgeht, möchte er unterhalten werden, dann musst du mal eine Beach-Party machen. Oder eine 80er Party. Und du musst werben. Aber du hast ja nur eine geringe Gewinnspanne. Am Ende ist das oft eine Nullnummer. In Meschede war/ist es schwierig. Mittwochs bei den Konzerten in den Ferien sind hier 1000 Leute. Wo sind die sonst? Der Mescheder an sich geht nicht so oft raus oder fährt woanders hin. Warum? Ich kann es nicht sagen…
Muss eine Kneipe unverwechselbar sein?
Du musst ein ganz klares Konzept haben: Und das musst du dann unbedingt beibehalten. Du darfst nicht dein Fähnchen in den Wind hängen. Der normale Kunde muss wissen, da ist verlässlich diese Art von Musik. Bei mir war es eben Rock’n’Roll. Du musst einen Plan haben. Und du musst Stehvermögen mitbringen: Irgendwann spricht sich das herum. Du musst Musik für den Kunden machen: Die Leute wollen unterhalten werden. Am Ende bleibt es dabei: Als Wirt bist du ein Entertainer. Für mich war das am Ende ein schönes Lob, als die Leute sagten: „Der Kemmerling könnte auch in der Wüste eine Kneipe aufmachen, wir kämen dahin.“
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Darf ein Wirt selbst trinken?
Auf keinen Fall darfst du selber Alkoholiker sein. Wenn du an dem Punkt bist, wo du anfängst zu trinken, wenn der Laden nicht mehr läuft, dann ist das der Einstieg zum Abstieg. Du kannst natürlich mal mitfeiern. Aber wenn du hinter der Theke trinkst, dann verliert auch der Kunde den Respekt. Und Respekt ist extrem wichtig: Sonst tanzen dir alle auf dem Kopf herum. Bei uns ist der Wirt das Aushängeschild. In Großstädten ist das anders: Da ist es egal, ob da ein Kemmerling am Tresen steht. Da will der Kunde ein gutes Essen, einen hippen Drink und ein gutes Interieur.
Wie gefällt Ihnen die Entwicklung hin zu Ehrenamtskneipen?
Wenn ich eine Kneipe betreibe und mein monatliches Auskommen haben muss, hätte ich spätestens meinen Laden in Meschede zugemacht, als das „Campus“ hier aufgemacht hat. Ich finde, die Ehrenamtskneipen bekommen Privilegien, die du als derjenige, der auch Steuern zahlen muss, nicht erhältst. Die Messlatte wird immer höher gelegt.