Eslohe/Arnsberg. Ein 75-jähriger Mann aus Eslohe steht vor Gericht, weil er seinen Enkel missbraucht hat. Er kann selbst nicht glauben, was er getan hat.
So schwer dem 75 Jahre alten Angeklagten mit seinem Krückstock der Weg zum Platz im Saal des Arnsberger Landgerichtes fällt, so schwer sind auch die Vorwürfe gegen ihn: Der Großvater hat sich im Februar dieses Jahres in einem Esloher Ortsteil sexuell an seinem siebenjährigen Enkel vergangen. Er hat es gestanden.
Mit dem Handy gefilmt
Es ist der späte Nachmittag des 25. Februar 2019. Ein Montag - drei Tage vor Weiberfastnacht. Wie fast jeden Tag sitzt der Rentner in seiner Hütte am Teich. Was sich dort diesmal allerdings abspielt, sei für ihn selbst bis heute unbegreiflich, schildert er vor der sechsten großen Strafkammer des Arnsberger Landgerichtes mit kraftloser Stimme. „Wenn da nur nicht dieses süße Zeugs auf dem Tisch gestanden hätte“, sagt der an Diabetes leidende Senior.
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Er habe drei bis vier Pinnchen davon getrunken. An das, was dann geschieht, will er selbst keine Erinnerung mehr haben. Ein Video, das der Siebenjährige mit seinem Handy dreht, belegt allerdings ziemlich genau, was sich an jenem Tag ereignet: Als Großvater missbraucht der Mann seinen eigenen Enkel. „Ich war erschrocken, als ich am nächsten Tag wieder zu Verstand kam“, sagt er den Tränen nah. Seit der Junge laufen könne, sei er doch ein „Opa-Kind“ gewesen. Bis zu jenem Tag im Februar. Ein Tag, der das Leben der Familie komplett verändert hat.
Mutter bricht zusammen
„Ich bin zusammengebrochen, als ich das Video gesehen habe - ich habe gezittert und geweint“, schildert die Mutter des Jungen. Entdeckt hatte sie den Film bei einer routinemäßigen Kontrolle des Handys. Ihrem Mann sei es ähnlich gegangen. Bei ihm jedoch gesellte sich zu dem Entsetzen ein weiterer Gedanke: „Fängt das jetzt schon wieder an!?“
Denn bereits sechs Jahre zuvor waren mögliche sexuelle Übergriffe des alten Mannes schon einmal Thema in der Familie. Damals soll es zu Vorkommnissen mit zwei anderen Enkelkindern gekommen sein. „Mein Bruder hatte mich damals angerufen, weil der Opa die Kinder angefasst haben soll“, erinnert sich der Esloher Familienvater und ergänzt: „Wir haben ihm das damals nicht geglaubt - auch, weil es keine Beweise dafür gab.“ Von jenem Tag an habe jahrelang Funkstille zwischen ihm und der Familie seines Bruders geherrscht. Erst seit im Februar dieses Jahres das Video im Handy seines eigenen Sohnes auftaucht, stehen die beiden Familien wieder in Kontakt.
Zusammenleben ausgeschlossen
Dafür aber habe er jetzt mit seinem Vater gebrochen, sagt der 47-Jährige und stellt im Gerichtssaal klar: Egal, wie der Prozess ausgehe, ein Zusammenleben unter einem Dach des Zweifamilienhauses werde es nicht mehr geben. Und das sieht die Mutter des Jungen genauso: Selbst, wenn der Hintergrund des sexuellen Missbrauchs möglicherweise mit einer hirnorganischen Schädigung des Großvaters zusammenhängt, ändere das rein gar nichts in ihrer Ansicht.
Auszuschließen ist ein gesundheitlicher Hintergrund nicht. Genau darum wird es an einem weiteren Prozesstag gehen: Ob „hirnorganische Prozesse das Nähe-Distanz-Verhältnis aufgeweicht haben“, wie es eine Gutachterin formulierte. Als Zeugen werden am zweiten Verhandlungstag auch der Hausarzt des Angeklagten sowie seine Ehefrau gehört werden.
Aussage erspart
Dem siebenjährigen Jungen selbst bleibt eine Aussage vor Gericht erspart. Die Eltern hatten sich mehrfach gegen eine Vernehmung ausgesprochen. „Ich bin froh, dass der Junge wieder fröhlich ist und will nicht, dass das alles wieder von vorne losgeht“, so die Mutter. Damit nehmen die Eltern allerdings auch in Kauf, dass fünf mögliche weitere Fälle des sexuellen Missbrauchs an ihrem Sohn nicht aufgeklärt werden können: In einem Gespräch mit seinem Vater hatte der Junge damals angedeutet, dass der Vorfall im Februar nicht der erste gewesen sein soll. Das jedoch streitet der 75-Jährige ab.
Fortgesetzt wird der Prozess am 2. Oktober. Dann wird auch das Urteil erwartet.
- Seit der 75-jährige Angeklagte im Februar von der Polizei abgeführt wurde, befindet er sich in Untersuchungshaft - zunächst in der JVA Hamm. Dort hatte er versucht, sich mit einem Brotmesser die Pulsadern aufzuschneiden. Seit einigen Wochen ist er auf der Pflegestation des Justizvollzugskrankenhauses in Fröndenberg untergebracht.
- Unklar ist, wie lange der Mann noch in Untersuchungshaft bleiben wird. Theoretisch hätte das Landgericht am ersten Prozesstag den bestehenden Haftbefehl außer Vollzug setzen können. Davon hat die Kammer allerdings abgesehen, weil unklar ist, wo der Mann nach seiner Entlassung unterkommen wird.
- Eine Rückkehr zu seiner Frau in die Wohnung des Zweifamilienhauses scheidet aus, weil in dem Haus auch der Enkel lebt, zu dem es keinen Kontakt mehr geben soll - auch, wenn der Siebenjährige seinen Großvater nach Angaben der Mutter schmerzlich vermisst.
- Lediglich ein weiterer Sohn soll noch zu dem 75-Jährigen stehen. In den nächsten Tagen soll geklärt werden, ob der Angeklagte bei einer Entlassung aus der U-Haft dort unterkommen könnte.