Freienohl/Meschede. Eine alte Deponie bei Freienohl auf Mescheder Stadtgebiet muss mit enormen Aufwand zurückgebaut werden: So soll das im Einzelnen funktionieren.
Auf beliebten Ausflugsstrecken mitten im Wald werden künftig Lkw fahren – und zwar vermutlich hunderte. Dafür muss voraussichtlich der Plackweg am Stimm-Stamm für Erholungssuchende gesperrt werden. Die Lastwagen werden mit Abfällen beladen sein. Sie sollen bewusst von bewohntem Gebiet ferngehalten werden. Die Lkw müssen über die Waldwege auf Freienohler und Mescheder Gebiet insgesamt 250.000 Kubikmeter an Zellstoffresten entsorgen.
Alles kann abrutschen
Bei dieser gewaltigen Menge handelt es sich um die gesamten Hinterlassenschaften der Altdeponie Lattenberg. Sie liegt im Wald bei Freienohl an der Mescheder Stadtgrenze nach Oeventrop hin – allerdings komplett auf Mescheder Stadtgebiet in der so genannten „Wennemer Mark“. 1988 rutschten 25.000 Kubikmeter ab – herunter in Richtung Oeventrop. Damals konnte eine Verschmutzung der Ruhr noch verhindert werden.
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2015 und 2016 ergaben Untersuchungen: Die Standsicherheit bleibt kritisch. Im Düsseldorfer Landtag ist der vollständige Rückbau der Deponie beschlossen worden – es wird mit der gigantischen Summe von bis zu 30 Millionen Euro gerechnet. Jetzt liegen die Details vor, wie das geschehen soll. Im Bezirksausschuss Freienohl stellte sie der Landesbetrieb Wald und Holz vor, der mit dem Rückbau beauftragt ist. Die Fläche liegt im Staatswald des Landes, im Zuständigkeitsbereich des Lehr- und Versuchsforstamtes Arnsberger Wald.
„Es besteht konkret Gefahr für Leib und Leben“, sagte Marcel Flörke vom Lehr- und Versuchsforstamt. Am Lattenberg lagert Schlacke und Asche aus der Zellstoffherstellung.
1967 bis 1987 hatte die „Westfälische Zellstoff AG“ hier ihre Produktionsrückstände aus der Herstellung von Zellstoffen aus Buchenholz für die Papierproduktion gelagert – „als es noch kein richtiges Abfallrecht gab“, so Flörke.
Unter einer ein bis zwei Meter dicken Mutterbodenschicht lagern jetzt diese Reste, die sich nach unten hin immer mehr verdichten: „Je tiefer, umso schlammiger und nasser ist das Material.“ Weil in den tiefen Schichten der Sauerstoff fehlt, findet dort keine Zersetzung statt. „Die Deponie ist wie ein Schwamm“: Wenn es regnet, steigt der Wasserstand und die Standsicherheit sinkt – alles könnte abrutschen. Die Deponie war ohne jegliche Abdichtung angelegt worden. „Die Deponie ist ein vermeintlich fester Körper, der sich relativ schnell bewegen kann“, warnt Flörke.
Reste werden alle verbrannt
Gefährliche Schadstoffe sollen in der Deponie nicht lagern: Zu 90 Prozent sei es organisches Material. Weil dieses in Müll-Deponien zu viel Platz wegnimmt, soll alles verbrannt werden. Bei der Abfuhr wiederum soll gelten: „Es soll so wenig bewohntes Gebiet wie möglich betroffen sein“, sagt Marcel Flörke. Weder durch Freienohl noch durch Oeventrop sollen die Lastwagen fahren.
Deshalb wurde der Plan mitten durch den Arnsberger Wald entwickelt: Die Lkw fahren über bestehende Waldwege des Plackwegs bis zur Landstraße 856 am Hirschberger Weg beim Stimm-Stamm-Fernsehturm, dann über die B 55 hinunter zum Autobahnanschluss nach Meschede -- und von dort aus dann über Autobahnen weiter zu Müllverbrennungsanlagen. Wie viele Lkw-Fahrten das sein werden, steht noch nicht fest. Das ist auch abhängig davon, welche Mengen die Anlagen jeweils aufnehmen können. Für Spaziergänger und Radfahrer müssen die Waldwege dann, so die Planung, vermutlich gesperrt werden.
Explosionsgefahr bei Bohrungen
2020 soll der Abbau beginnen, der sich bis 2023/2024 hinziehen wird. Start ist voraussichtlich Ende 2019 auf einem kleinen 70 mal 50 Meter großen Testfeld, auf dem die Deponie erstmals geöffnet wird: Hier soll im Kleinen geprobt werden, wie der Rückbau dann im Großen geschehen soll - etwa, wie Maschinen eingesetzt werden können. Können überhaupt Bagger eingesetzt werden? Oder müssen Förderbänder verwendet werden? Gegen den zu erwartenden Gestank aus der Tiefe wird der Bereich ständig mit einem Sprühnebel beregnet, abends nach den Arbeiten wird die Deponie mit Folien abgedeckt.
Dass die Arbeiten potenziell gefährlich sind, zeigten Bohrungsarbeiten, um die Tiefe und die Standsicherheit zu erkunden: Sie durften nur unter Vollschutz mit Atemschutz und Frischluftzufuhr durchgeführt werden. Durch Methan und Schwefelwasserstoffe in der Tiefe besteht Explosionsgefahr.
Im Freienohler Ausschuss bestand die Sorge um die Zukunft der Waldwege, die ja sicher durch die Lkw beschädigt würden: Um deren Wiederherstellung müsse man sich keine Gedanken machen, versicherte der Mescheder Fachbereichsleiter Klaus Wahle – „angesichts der Millionensummen für den Rückbau sind das Peanuts“.
>>>HINTERGRUND
Auf der Deponie wurden 18 Erkundungsbohrungen durchgeführt, um Bohrkerne aus der Tiefe zu holen.
An vier Stellen wird das Grundwasser gemessen, um festzustellen, ob Schadstoffe ins Grundwasser geraten.
Abwasser aus der Deponie gelangt zu der Kläranlage Arnsberg-Wildshausen.