Nuttlar. . 50 Jahre ist es her, als der allerletzte Zug in den Bahnhof Nuttlar einfuhr. Ein denkwürdiger Tag - nicht nur für die Bewohner des Ortes.

Einen besonders denkwürdigen Tag begeht der Ort Nuttlar am Freitag, 31. Mai. An diesem Tag ist es genau 50 Jahre her, dass auf dem damaligen Bahnhof Nuttlar der allerletzte Personenzug einen Halt einlegte, um Passagieren den Einstieg oder Ausstieg möglich zu machen.

Da der 31. Mai des Jahres 1969 ein Samstag war, war es bereits um 19.18 Uhr der Personenzug 2254 aus Warburg, der als letzter Zug in Nuttlar erwartet wurde. An anderen Tagen wäre der letzte Zug erst um 20.43 Uhr in Nuttlar angekommen, um auf seinem Weg nach Winterberg hier einen Halt einzulegen.

Um 19.30 Uhr endgültig abgeschlossen

Auf den Warburger Zug warteten in Nuttlar damals etwa 100 Personen, um bei der denkwürdigen letzten Bahnfahrt von ihrem Heimatort aus dabei zu sein. Allerdings bekamen sie keine Fahrkarten zu je 60 Pfennig für die einfache Fahrt nach Bestwig mehr. Der diensthabende Bundesbahnoberschaffner Reinhold Mertens aus Heringhausen hatte nämlich schon direkt nach der Abfahrt des vorletzten Zuges von seinen Vorgesetzten telefonisch den Befehl erhalten, den Fahrkartenverkauf sofort einzustellen.

Mertens Einwand, dass doch noch ein Zug abzufertigen wäre, wurde mit dem Befehl abgewiesen, dass alle für die letzten 2,2 Kilometer bis Bestwig zusteigenden Fahrgäste ohne Erwerb einer Fahrkarte befördert werden sollten. Mertens sollte alle bis jetzt eingenommenen Kartenverkäufe abrechnen und das Bahnhofsgebäude um 19.30 Uhr endgültig abschließen.

„DER LETZTE HALT Wer bremst uns jetzt?“

Blick auf einen Teil der schon auf dem Bahnsteig stehenden Nuttlarer, die auf die Ankunft des letzten Zuges warten. Das Schild wird von Otto Hohmann jun. (links) und Franz-Josef Bathen (rechts) getragen. Unter dem Schild steht der Bundesbahnoberschaffner Reinhold Mertens, links davon schwenkt Josef Schmelter (†1979) die schwarze Trauerfahne. Die Aufnahme wurde am 31. Mai 1969 gegen 19 Uhr gemacht.  
Blick auf einen Teil der schon auf dem Bahnsteig stehenden Nuttlarer, die auf die Ankunft des letzten Zuges warten. Das Schild wird von Otto Hohmann jun. (links) und Franz-Josef Bathen (rechts) getragen. Unter dem Schild steht der Bundesbahnoberschaffner Reinhold Mertens, links davon schwenkt Josef Schmelter (†1979) die schwarze Trauerfahne. Die Aufnahme wurde am 31. Mai 1969 gegen 19 Uhr gemacht.   © Privat

Die Fahrgäste, die auf dem Nuttlarer Bahngelände auf den Zug warteten, wurden von einigen Musikanten unterhalten und präsentierten ein selbst gemaltes Schild, mit dem sie auf diesen letzten Halt hinweisen wollten. „DER LETZTE HALT Wer bremst uns jetzt?“, lautete der Hinweis auf der etwa 2 Meter mal 0,6 Meter großen Holztafel. Getragen wurde sie von den mit Zylindern und Gehrock ausgestatteten Otto Hohmann jr. und Franz-Josef Bathen.

Unter der Tafel schwenkte ein älterer Nuttlarer, Josef Schmelter († 1979), eine schwarze Trauerfahne. Der Bahnbeamte Mertens überließ ihm zeitweilig seine Dienstmütze, damit er sein kahles Haupt bedecken konnte.

Da der Lokführer des Zuges 2254 mit seinen zwei angehängten Personenwagen bei der Einfahrt in das Bahnhofsgelände Nuttlar die große Menschenansammlung auf dem Bahnsteig 2 sehen konnte, fuhr er äußerst vorsichtig ein. Die beiden Wagen wurden dann schnell von den Wartenden gestürmt.

Nach 75 Jahren nur noch Geschichte

Der 48-jährige Nuttlarer Hauptlokführer Josef Bathen fand schließlich noch einen Platz bei seinen Kollegen auf dem Führerstand der Dampflok. Nach der Ankunft in Bestwig wurde dort die „Demonstration“ auf dem Bahnhofsvorplatz fortgeführt, bevor man wieder nach Nuttlar zurück ging. Es konnte ja nichts mehr geändert werden. Nach genau 75 Jahren war der Zughalt in Nuttlar nur noch Geschichte.

Bundesbahnoberschaffner Reinhold Mertens fand beim Abschließen des Nuttlarer Bahnhofsgebäudes noch ein Akkordeon, das offensichtlich einer der „Hobbymusiker“ vergessen hatte. Mertens brachte das Instrument in den nahegelegenen Gasthof Mutter Pine, in dem genau 75 Jahre zuvor mit dem Fahrkartenverkauf für die Bahnhaltestelle Nuttlar begonnen wurde.

DIE GESCHICHTE DES BANHOFS NUTTLAR

Im Jahr 1872 war der schon lange geplante Bau der „Oberen Ruhrtalbahn“ von Arnsberg über Meschede bis Bestwig fortgeschritten. Hier war geplant, eine größere Bahnstation zu errichten, da die allgemein mäßige Geländesteigung für die Bahnstrecke im Ruhrtal nur bis Nuttlar möglich war. Hier musste das Ruhrtal zur Fortführung der Bahnlinie verlassen werden.

Blick in südwestlicher Richtung von der Kirchstraße auf die Rückseite des Bahnhofsgebäudes, rechts kann man einen Teil des Güterschuppens sehen. Die Tür unter der größeren weißen Fläche war der Durchgang von Warteraum und Fahrkartenverkauf zu den Bahnsteigen, die hier schon beseitigt sind. In dem Feld über der Tür stand die Bahnhofsangabe „Nuttlar“. Die Aufnahme wurde nach der Stilllegung des Bahnhofs, wahrscheinlich kurz vor dem Abriss gemacht.  
Blick in südwestlicher Richtung von der Kirchstraße auf die Rückseite des Bahnhofsgebäudes, rechts kann man einen Teil des Güterschuppens sehen. Die Tür unter der größeren weißen Fläche war der Durchgang von Warteraum und Fahrkartenverkauf zu den Bahnsteigen, die hier schon beseitigt sind. In dem Feld über der Tür stand die Bahnhofsangabe „Nuttlar“. Die Aufnahme wurde nach der Stilllegung des Bahnhofs, wahrscheinlich kurz vor dem Abriss gemacht.   © Werner Hohmann

Dazu war es erforderlich, ab Nuttlar größere Höhenunterschiede in Richtung Olsberg, Elleringausen und Brilon Wald zu überwinden. Dazu sollten die im Bahnbetriebswerk stationierten Zusatzlokomotiven als zusätzliche Zug- oder Schubverstärkung besonders für die Güterzüge eingesetzt werden.

Bestwig bestand aus nur wenigen Häusern

Da zur damaligen Zeit der Ort Bestwig nur aus wenigen Häusern bestand und folglich auch kaum bekannt war, bekam dieser Großbahnhof in Bestwig zunächst den offiziellen Namen „Bahnhof Nuttlar“. Dies war wahrscheinlich bedingt durch die schon seit längerer Zeit in Nuttlar ansässigen Industriebetriebe Sauerwald Söhne und Schieferbau Nuttlar, die einen Großteil ihrer Erzeugnisse zwecks Beförderung mit der Eisenbahn zunächst mit Pferdefuhrwerken bis nach Lippstadt oder Soest anliefern mussten.

Erst einige Zeit nach der Eröffnung 1872 erfolgte die Umbenennung des Bahnhofs in „Bestwig-Nuttlar“. Dieser Name hatte auch noch eine Zeit lang, mindestens bis zur Errichtung des Haltepunktes Nuttlar im Jahr 1894 Bestand.

Kostenschätzung auf 6300 Goldmark

Seit Ende 1892 versuchte die Gemeinde Nuttlar einen eigenen Haltepunkt der Eisenbahn in Nuttlar zu erhalten. Die Bahn schätzte die Kosten hierfür auf etwa 6300 Goldmark ein, was die Gemeinde natürlich nicht bewältigen konnte. Nach Verhandlungen einigte man sich darauf, dass die Gemeinde Nuttlar durch die zur Verfügungsstellung benötigter Grundstücke sowie durch kostenlose Hand- und Spanndienste die Kosten deutlich senken konnte.

Blick in nordöstlicher Richtung von der B7 auf das komplette Bahnhofsgebäude, links der Güterschuppen, rechts der eigentliche Bahnhof mit den Wohnungen im ersten Obergeschoss. Die Aufnahme wurde nach der Stilllegung des Bahnhofs, wahrscheinlich kurz vor dem Abriss gemacht.  
Blick in nordöstlicher Richtung von der B7 auf das komplette Bahnhofsgebäude, links der Güterschuppen, rechts der eigentliche Bahnhof mit den Wohnungen im ersten Obergeschoss. Die Aufnahme wurde nach der Stilllegung des Bahnhofs, wahrscheinlich kurz vor dem Abriss gemacht.   © Werner Hohmann

Weiter verpflichtete sich die Gemeinde Nuttlar, einen geeigneten Warteraum für die Fahrgäste zur Verfügung zu stellen und auch Personen zu benennen, die den Verkauf der Fahr- und Bahnsteigkarten für die Bahngesellschaft unentgeltlich vornehmen sollten. Außerdem mussten diese sich verpflichten, die Karten gegen Vorausbezahlung auf dem Bahnhof Bestwig-Nuttlar zu erwerben.

Mit Gasthof Mutter Pine einen Partner gewonnen

Die Gemeinde konnte für diese Aufgaben mit dem Gasthof Mutter Pine einen guten Partner gewinnen, mit dem ein entsprechender Vertrag für zunächst 10 Jahre unkündbar abgeschlossen wurde. So konnte die Haltestelle mit Beginn des Sommerfahrplans am 1.6.1894 in Betrieb genommen werden.

Doch schon bald stellte sich heraus, dass die bei Mutter Pine wartenden Fahrgäste oft einen Zug verpassten, weil sie nicht schnell genug den gut 250 Meter entfernten Bahnsteig erreichen konnten. Deshalb wurde auf Kosten der Nuttlarer Gemeinde eine Klingelleitung zwischen dem Gasthof und dem gegenüber liegenden Schrankenposten 229 installiert und am 1. August 1894 in Betrieb genommen. Wenn dem Schrankenwärter telefonisch der nächste Zug gemeldet wurde, drückte er auf den Klingelknopf und konnte dadurch die wartenden Fahrgäste über den nahenden Zug informieren.

Jährliche Pauschale von 20 Mark

Für eventuell anfallende Reparaturen an der Klingelleitung musste die Gemeinde eine jährliche Pauschale von 5 Mark an die Bahngesellschaft zahlen. Für die Beschaffung von Petroleum, Zylindern und Dochten für die Beleuchtung der Bahnsteige verlangte die Bahn eine jährlich zu zahlende Pauschale von 20 Mark, die Bedienung der Laternen übernahmen die Bahnmitarbeiter aber kostenfrei für die Gemeindekasse.

Nahaufnahme der Messingtafel auf dem Gedenkstein im Bereich des ehemaligen Bahnhofs Nuttlar.     
Nahaufnahme der Messingtafel auf dem Gedenkstein im Bereich des ehemaligen Bahnhofs Nuttlar.     © Anton Wegener

Im Mai 1900 wurde in Nuttlar mit dem ersten Spatenstich der Bau der Nebenstrecke nach Winterberg begonnen. Das erste, rund 7,5 Kilometer lange Teilstück von Nuttlar bis Olsberg-Steinhelle, mit einem kleinen Tunnel vor Bigge, wurde am 1. Mai 1902 gleichzeitig mit dem ab 1901 gebauten Bahnhofsgebäude Nuttlar für den Zugverkehr freigegeben. Nun konnte der Kauf der Fahrkarten und das Warten auf den Zug direkt im neuen Bahnhofsgebäude erfolgen und der Gasthof Mutter Pine konnte sich wieder auf seine ursprünglichen Aufgaben konzentrieren.

Dienstwohnung für den Bahnhofsvorsteher

Zusätzlich wurden an das Bahngebäude, in dem sich auch eine Dienstwohnung für den als Bahnhofsvorsteher tätigen Beamten befand, in westlicher Richtung noch Lagerräume für die mit der Bahn abzutransportierenden Erzeugnisse der Nuttlarer Industriebetriebe Schieferbau AG, Sauerwald Söhne und H,& F. Schneider (Hefe und Spirituosen) sowie für ankommendes Frachtgut angebaut. Die vorgeschriebene Toilettenanlage im Bahnhofsbereich wurde einige Meter vom Gebäude entfernt auf der östlichen Seite des Bahnhofs errichtet.

  
  © Privat

Die Gemeinde Nuttlar musste das für den Bahnhof benötigte Gelände lasten- und kostenfrei der Bahn übereignen und auch eine Zuwegung zum Bahnhof mit entsprechender Beleuchtung schaffen. Zu dieser Zeit ging die Straßenverbindung Meschede – Brilon immer noch durch das Dorf.

Dabei mussten zweimal die Bahnübergänge passiert werden. Die heutige B7 (Briloner Straße) auf der Südseite der Bahnlinie, zwischen den beiden Bahnübergängen „Mutter Pine“ und „West“, wurde erst um 1938, also in den Jahren unmittelbar vor Beginn des Zweiten Weltkriegs als Umgehungsstraße gebaut.

Angliederung an den Bahnhof Bestwig

Bis 1952 blieb Nuttlar ein eigenständiger Bahnhof mit einer selbstständigen Dienststelle, bevor er dem Bahnhof Bestwig angegliedert wurde. Drei Jahre später stellte der Nuttlarer Güterbahnhof seine Tätigkeit ein.

Es hielten nun keine Güterzüge mehr hier, es wurden allerdings noch Waggons mit Kohlen und Briketts und die Spezialwaggons für Melasse auf dem baulich noch vorhandenem Ladegleis abgestellt. Auch leere Waggons wurden ebenfalls hier noch mit Grubenholz beladen und dann in Nuttlar abgeholt. Die übrigen Frachten mussten nach Bestwig geschafft und von dort auch abgeholt werden.

Traurige Nachricht im Frühjahr 1965

Im Frühjahr 1965 teilte die Deutsche Bundesbahn der Gemeinde Nuttlar mit, dass mit dem Beginn des Sommerfahrplans der örtliche Bahnhof stillgelegt werden sollte.Wie der damalige Nuttlarer Bürgermeister Heinrich Kersting (†2001) in einer Veröffentlichung im HSK-Jahrbuch 1995 angab, sollen 1964/65 noch täglich 27 Personenzüge in Nuttlar Halt gemacht haben, die 350 Reisende hier aus- oder einsteigen ließen.

Diese Zahlen brachten aber nur einen kurzen zeitlichen Aufschub, denn es war danach deutlich zu merken, dass die Anzahl der Nahverkehrszüge immer mehr eingeschränkt wurde. So war es keine Überraschung, dass der Bahnhof Nuttlar mit Ende des Winterfahrplans 1968/69 nicht mehr in den Fahrplänen aufgeführt war.

Blick in östliche Richtung auf die begonnenen Abbrucharbeiten des kompletten Bahnhofsgebäudes. Die Aufnahme wurde im September 1980 gemacht.  
Blick in östliche Richtung auf die begonnenen Abbrucharbeiten des kompletten Bahnhofsgebäudes. Die Aufnahme wurde im September 1980 gemacht.   © Werner Hohmann

Nach gut 67-jähriger Nutzung war das Bahnhofsgebäude jetzt überflüssig geworden. Im September 1980 rollte ein Bagger an und machte das Gebäude einschließlich des angebauten Güterschuppens dem Erdboden gleich.

An der Stelle des ehemaligen Bahngebäudes wurde anschließende ein Verkaufsraum für Bodenbeläge, Tapeten und Farben errichtet, der von einem Unternehmer aus der Branche der Raum-Designer betrieben wurde. Nach einigen Wechseln der Betreiber befindet sich seit geraumer Zeit ein Schuhgeschäft in diesen Räumlichkeiten.

Gedenkstein als Erinnerung

An den Standort des Nuttlarer Bahnhofs erinnert heute nur noch ein Gedenkstein, der am östlichen Ende des Geschäft-Parkplatzes auf dem ehemaligen Bahnhofsgelände steht. Auf diesem Stein ist eine Schrifttafel aus Messingguss befestigt.

Schemenhaft kann man am Kopf der Tafel den Verlauf der Schienenstränge nachvollziehen. Im folgenden Text wird auf die wichtigsten Daten des Nuttlarer Bahnhofs hingewiesen. Diese Tafel bzw. die Angaben darauf wurden zusammen von Josef Becker (†2003) und dem Bahnbeamten Franz-Josef Wiemer (früher Nuttlar, heute Fredeburg) erarbeitet.

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