Meschede. . Vor wenigen Jahren erfuhr eine Frau (19), dass ihr Vater 1989 in Meschede einen Mann getötet hat. Ein schweres Schicksal - hier erzählt sie.

Sozialpsychose, Depression, stationäre Therapien, Tabletten: Ihren Schulabschluss hat Mareike* im vergangenen Jahr dennoch geschafft, seither ist sie krank geschrieben. „Ich bin stabil, aber nicht gesund“, sagt Mareike. Ihr Vater ist ein Mörder.

Mareike wird in diesem Jahr 20 Jahre alt und steht vor einem Neuanfang.

Blick auf den ehemaligen Pavillon. Im Untergeschoss befanden sich die Toiletten, die im Oktober 1989 zum Tatort wurden.
Blick auf den ehemaligen Pavillon. Im Untergeschoss befanden sich die Toiletten, die im Oktober 1989 zum Tatort wurden. © Archiv/Wilfried Gundel

Umzug in eine andere Stadt, betreutes Wohnen. Vielleicht auch einen Beruf ergreifen. Doch vorher möchte Mareike mit dem Alten abschließen, damit etwas Neues beginnen kann.

Lehrling auf Toilette erstochen

Die Vergangenheit, die sie hinter sich bringen möchte, ist nicht ihre. Es ist die ihres Vaters. Er hatte am Morgen des 19. Oktober 1989 einen Bekannten getötet – in einer öffentlichen Toilette am Mescheder Ruhrufer. An der Stelle, wo heute das Gebäude mit der Drogerie DM steht. Der 18-Jährige starb an Stichverletzungen in der Brust.

„Lehrling auf der Toilette erstochen“, stand am nächsten Tag in der Zeitung. Der Raubmord bestimmte die Schlagzeilen über viele Tage und Monate später erneut, als der damals 20-Jährige verurteilt wurde. „Er saß sieben bis acht Jahre im Gefängnis in Siegburg“, erzählt Mareike und schiebt leise hinterher: „Zumindest hat er mir das so gesagt.“ Sie wusste lange nicht, was wirklich passiert war.

Am Küchentisch vom Mord erzählt

Erst vor fünf Jahren rückte er mit Teilen der Wahrheit raus. „Er sagte: „Ich muss dir etwas sagen. Ich saß im Gefängnis, weil ich jemanden erstochen habe.“ Für die damals 14-Jährige brach eine Welt zusammen. Mein Vater, ein Mörder? Er erzählte das Schrecklichste auf eine lockere Art, einfach so am Küchentisch, beschreibt Mareike die Szene, die sich tief in ihr Gedächtnis eingegraben hat.

Ein Menschenleben für 2000 Mark

Oft fragte Mareike nach. Der Vater erzählte immer eine nebulöse Geschichte, die sich jedoch in großen Teilen von der Version ihres Onkels unterschied: „Der Bruder meines Vaters erzählte immer eine ganz andere Geschichte. Ich wusste irgendwann gar nicht mehr, was ich glauben sollte.“ Deshalb meldete sich Mareike in der Redaktion dieser Zeitung. „Könnten Sie für mich nachschauen, was damals passiert ist?“

Blick ins Archiv: Neun Tage suchten die Ermittler im Oktober 1989 nach dem Täter. 3000 Mark Belohnung setzte die Polizei für Hinweise aus der Bevölkerung aus. Das spätere Opfer war auf einem Botengang für seinen Arbeitgeber getötet worden. Er sollte den Inhalt einer braunen Geldtasche zur Sparkasse bringen: Darin ein Scheck und 2000 Mark. Ein Menschenleben für 2000 Mark...

„Es tut sehr weh“

„Und plötzlich ist etwas außer Kontrolle geraten“ – 20-jähriger Mescheder gesteht Mord“, lautete die Überschrift. Als Mareike den alten Artikel vor sich liegen hat, sagt sie: „Es tut sehr weh, aber gleichzeitig bin ich erleichtert. Nun habe ich Schwarz auf Weiß, was damals passiert ist.“

Mareikes Mutter wusste Bescheid, hatte aber auch lange nichts gesagt. Wie soll man seiner Tochter auch so eine schreckliche Wahrheit über den Vater erzählen? Beide haben heute keinen Kontakt mehr zum Vater. „Ich habe das endgültig beendet. Ich kann nicht mehr“, sagt Mareike. Ihre Eltern hatten sich Ende der 90er nach der Haftzeit während einer Schifffahrt kennengelernt.

Suche nach der Wahrheit

Auf der Suche nach der Wahrheit hatte Mareike auch einen Verwandten des Getöteten angeschrieben. „Ich habe nicht gesagt, wer ich bin. Ich hatte Angst vor der Reaktion der Familie. Ich schrieb ihm nur, dass es mir sehr leid tut.“ Das würde sie den Angehörigen auch sagen, wenn sie ihnen begegnen würde. „Ich würde mich entschuldigen und sagen, wie leid es mir tut...obwohl ich nichts dafür kann.“ Der Raubmord geschah zehn Jahre vor ihrer Geburt.

Kontakt abgebrochen

Den Kontakt zum Vater brach Mareike ab. „Ich habe immer geglaubt, er könne sich ändern. Aber es kamen immer neue Lügen.“ Auch Wutausbrüche. Ihr eigenes Wesen beschreibt Mareike ganz anders: „Ich habe mich noch nie geprügelt oder so. So etwas Schlimmes könnte ich niemals jemandem antun“, sagt sie mit fester Stimme. Mit der sie sich nun in ein neues Leben kämpfen möchte. *Name geändert