Meschede. . Trudi Sommer hört nach der Ferien als Schulsekretärin am der Walburga-Realschule in Meschede auf. Wie sie sich jeden Schüler merken konnte.
Schüler, Lehrer und Eltern werden sich nach den Herbstferien umgewöhnen müssen: Im Sekretariat der St.-Walburga-Realschule wird dann nicht mehr Trudi Sommer sitzen. Nach 18 Jahren als Schulsekretärin geht sie in den Ruhestand. Im Interview merkt man, dass ihr Beruf über die Schreibarbeit weit hinaus ging.
Wie viele Pflaster mussten Sie in 18 Jahren kleben?
Trudi Sommer: Die habe ich nicht gezählt, das waren so viele. Nicht nur, wenn jemand gefallen ist. Eine Sekretärin ist auch eine Seelentrösterin. Mir ist wichtig gewesen, immer erst zu beruhigen und Ruhe zu bewahren. Hektik überträgt sich sonst stets auf andere. Mädchen kommen übrigens auch wegen Pflastern für ihre Fersen, wenn sie neue Schuhe haben. Hier werden alle gleichmäßig versorgt (lacht).
Was braucht eine Schulsekretärin?
Langmut vor allem. Es stürmt ja im Laufe eines Vormittages viel auf einen ein. Morgens kommt man ins Büro und denkt, ich müsste heute dies und jenes erledigen. Dann geht man nachmittags wieder - und hat davon gar nichts geschafft. Deshalb braucht man Gelassenheit: Zu wissen, manche Dinge lassen sich auch schieben. Umgekehrt gibt es natürlich Sachen, die dringend sind. Dafür braucht es dann wieder Routine.
Wie lange braucht es, um Routine zu lernen?
Für Routine mindestens zwei Schuljahre. Um die Abläufe zu lernen, braucht es alleine ein Schuljahr. Das nächste Schuljahr braucht man dann, um zu rekonstruieren, was jetzt an die Reihe kommt. Im dritten Jahr weiß man dann, „Aha, das habe ich doch schon einmal gemacht“. Vieles müssen einem eben auch die langjährigen Lehrer oder der Schulleiter sagen.
Kennen Sie alle Schüler mit dem Namen?
Ja! Das war mein Anspruch. Wir sind doch auch sechs Jahre lang zusammen in einem Gebäude. Ich führe Klassenlisten, ich drucke Lehrern Listen aus, ich schreibe Krankmeldungen: Dabei habe ich mir angewöhnt, immer Nachname, Vorname und Klasse aufzuschreiben, damit ich das sofort verknüpfen und den Menschen dahinter sehen kann. Wenn ich mit einem Kind spreche, fällt mir innerhalb von Sekunden der Name ein. Ich bin in einer großen Familie aufgewachsen mit elf Kindern. Uns kannten im Dorf alle, weil wir eben die große Familie waren. Wir kannten aber auch alle! So erklärt sich auch mein Anspruch ein wenig.
Hat diese Schule eine besondere Atmosphäre?
Ich glaube schon. Mit 430 Schülern sind wir eine kleine Schule. Auch das Kollegium mit 25 Leuten ist überschaubar. Besonders ist eben, wir werden aktiv, bevor etwas passiert, bevor das Kind in den Brunnen fällt: Die Lehrer rufen zeitig bei Eltern an, wenn sie merken, da läuft etwas nicht rund. Das macht uns mit aus. Fördern und Fordern kommen hinzu.
Haben sich die Kinder verändert?
Ja, die ganze Familiensituation hat sich verändert. Es gibt Alleinerziehende, Kinder werden vielfach nur mit Müttern groß. Unter Umständen kommen die Kinder hier das erste Mal mit männlichen Bezugspersonen in Berührung. Manche Kinder, die etwas sensibel sind, können damit schlecht umgehen, wenn der etwas laut wird. Aber ich finde, das gehört zum Leben dazu. Jedes Jahr, wenn die Fünfer eingeschult wurden, kamen die Zehner zu mir und sagten, „Frau Sommer, die Fünfer sind ja frech geworden! Das hätten wir uns nie getraut!“ Und ich habe in mich hinein gelacht und gedacht, das höre ich doch jedes Jahr. Eines Tages stand hier im Sekretariat eine Fünfer-Schülerin und ich habe etwas zu ihr gesagt. Da antwortete sie: „Du hast mir gar nichts zu sagen.“ Da wusste ich wirklich, es hat sich etwas verändert...
Ich habe gerade mitbekommen, am Sekretariat klopfen alle höflich an...
Das ist ein Stück Erziehung, finde ich. Das sehe ich auch als meinen Auftrag. Wer ohne anzuklopfen hereinkommt, dem sage ich, „Du hast etwas vergessen“. Wenn Schüler das mitbekommen, die das schon kennen, sagen sie: „Du musst noch mal rausgehen und klopfen.“ Ja, ich lege Wert darauf, dass geklopft und gegrüßt wird und höflich Fragen gestellt werden. Ich erkläre den Kindern dann: Wenn ihr mal in eine Behörde kommt und ihr platzt in ein Büro hinein, dann werdet ihr gar nicht beachtet. Das lassen die sich dort nicht gefallen: Die arbeiten dort. Und ich arbeite hier. Wir hatten auch mal Kollegen, die nicht anklopften. Das musste ich mir erarbeiten: Wenn sie beim Schulleiter hineinwollen, klopfen sie an. Warum klopfen sie nicht im Sekretariat an? Wir haben ein gutes Miteinander entwickelt.
Wie haben sich die Eltern verändert in den 18 Jahren?
Eltern stehen heute mehr unter Druck. Ich hatte den Luxus, bei der Erziehung meiner drei Kinder 13 Jahre lang zu Hause bleiben zu können. Heute ist das nicht mehr üblich. Die Alleinerziehenden müssen alles organisieren. Eltern trauen ihren Kindern aber auch nicht viel zu. Vielfach wird Kindern nicht mal mehr zugemutet, zur Schule zu laufen. Ich bin eine Verfechterin davon, Kinder laufen zu lassen: Wenn sie an der Schule ankommen, sind sie wach – und auf dem Rückweg haben sie sich möglichen Frust schon abgelaufen. Ich sage das auch ganz offen, wenn Eltern fragen, wo sie denn an der Schule parken könnten: Die müssen hier gar nicht parken. Laufen tut den Kindern gut. So habe ich meine Rolle verstanden: Ich bin kein Lehrer, aber ich bin auch ein Mit-Erzieher gewesen.
Das noch:
Trudi Sommer ist studierte Religionspädagogin. Sie hat als Gemeindereferentin gearbeitet, nach ihrer Kinderzeit machte sie eine Weiterbildung zur Kauffrau für Bürokommunikation.
Die 63-Jährige freut sich jetzt, künftig Zeit für ihre sechs Enkelkinder zu haben. Sie engagiert sich auch bei den Landfrauen.
Nachfolgerin im Sekretariat der St.-Walburga-Realschule ist Dorothea Hermes.
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