Meschede. . Bevor es dafür zu spät ist: Die Frauengeschichtswerkstatt Sauerland kümmert sich um Erinnerungen von Zeitzeugen ans Kriegsende.

„Darüber geschwiegen wurde lange genug“, sagt Dagmar Sträter-Müller von der Frauengeschichtswerkstatt Sauerland: Deshalb lassen die Historikerinnen endlich Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zu Wort kommen, die den Zweiten Weltkrieg noch miterlebt haben – bevor es dafür zu spät ist. Denn die Enkel wollen wissen, was ihre Großeltern damals erlebt haben.

Die Frauengeschichtswerkstatt lässt sie deshalb in ihrem neuesten Buch „Das Kriegsende 1945 in der Erinnerung heutiger Sauerländerinnen und Sauerländer“ zu Wort kommen.

29 Männer und Frauen haben die Erinnerungen selbst aufgeschrieben oder sie den Geschichtsforscherinnen in Interviews mitgeteilt. Im Blickpunkt stehen dabei die Tage vom 29. März 1945 (als US-Truppen als erste die Region in Brilon erreichten) bis zum offiziellen Kriegsende am 8. Mai. Obwohl: Die Kriegszeit endete damit für viele aber nicht. Christel Hauert (79) sagt: „Meinen Vater kannte ich nur von kurzen Heimaturlauben.“ Der Soldat fiel im April 1945. Ihre Mutter erfuhr erst 1947 davon.

Lehrer brachte die Todesnachrichten

Die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen erinnern sich in dem Buch an ihre Kindheit bzw. Jugend: Einerseits war da beim Kriegsende die Erleichterung, dass die Bombenangriffe endlich endeten. Andererseits: „Man stand vor einem großen Loch. Da war nichts, woran man sich orientieren konnte“, erfuhr Dagmar Müller-Sträter.

Es sind erschütternde, bedrückende Berichte. Eine Zeitzeugin hat ihr zerfleddertes Tagebuch von damals wiedergefunden – und darin noch das Liebesgedicht entdeckt, das sie als Mädchen zum Geburtstag Hitlers geschrieben hatte. Unvorstellbar, aus heutiger Sicht.

Aus Eslohe findet sich der Bericht, wonach der Lehrer daheim immer die Todesnachrichten von der Front brachte – und jeder hoffte, dass er doch vorbeigehen möge. Bis er dann auch das Haus dieser Familie betritt, und die Todesnachricht des Vaters überbringt.

So viele Beteiligte

Anfangs hatte die Frauengeschichtswerkstatt gar nicht die Absicht, ein ganzes Buch daraus zu machen. 2015 sollte das eigentlich nur eine Sammlung dieser Erinnerungen werden, um sie für Archive beizusteuern. Dann wurde aber klar, wie wichtig es allen Beteiligten war, endlich einmal befragt zu werden – „es lohnt sich, wir sind es unserer Nachwelt schuldig“, sagte eine heute 85-Jährige den Interviewerinnen. Interessiert hatte das zuvor niemanden, sagten viele.

Christel Hauert sagt: „Ich habe da vorher noch nie drüber erzählt.“ Und auch Ingrid Wiechert sagt: „Es hat mich nie jemand danach gefragt.“ Für die 80-Jährige ist die Kriegszeit immer noch präsent – schließlich lebt das alles durch aktuelle Fernsehberichte doch täglich wieder auf: „Die Tatsache, dass sich nichts geändert hat, macht mir Angst und Wut.“

Buchpräsentation am Mittwoch

Das Projekt wurde zum Selbstläufer. Zu Beginn interviewte man sich nur untereinander in der Frauengeschichtswerkstatt, sagt Elisabeth Olbricht-Cross, dann wurden weitere Bekannte befragt – das wurden immer mehr, es zog Kreise: „Im Nachhinein sagten viele, uns hättest du auch befragen können.“

Öffentlich vorstellen möchte die Frauengeschichtswerkstatt ihr Buch am Mittwoch, 18. April, um 17 Uhr im Bürgerzentrum Alte Synagoge. Dabei kommen auch die Zeitzeuginnen Ingrid Wiechert und Christel Hauert zu Wort, außerdem auch Dr. Erika Richter (86) und Christel Hoberg-Heese (89). Schriftstellerin Walburga Kling aus Bad Fredeburg trägt Gedichte dazu bei.

Das Buch (in dem auch viele Fotos und Zeitungsartikel zur Ergänzung sind) ist danach für 10 Euro im Buchhandel erhältlich.

>>>HINTERGRUND<<<

Etwa 18 Frauen machen derzeit mit bei der Frauengeschichtswerkstatt Sauerland, die sich 1995 gegründet hat. Sie kümmern sich insbesondere um die so genannte „Oral History“ als Methode – eben Zeitzeugen zu Wort kommen zu lassen.

Bei den letzten Veröffentlichungen waren das immer Frauen. Bei dem neuen „Kriegsende“-Projekt fand die Gruppe aber schnell heraus, dass die Erlebnisse n icht frauenspezifisch waren: Auch Männer berichten deshalb in dem Buch.

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