Meschede. . In Südamerika gründet Jochen Picht seine Familie und zieht zum Wohle seiner Tochter zurück ins Sauerland. Hier setzt er sich für Behinderte ein.

Sein ganzes Berufsleben hat Jochen Picht als Entwicklungshelfer in Südamerika verbracht. Als Rentner ist der gebürtige Winterberger, der in Reiste aufwuchs, nach Meschede zurückgekehrt. „Man kann hier gut alt werden“, sagt der agile 71-Jährige. Um sich zu integrieren, hat er sich direkt ehrenamtlich engagiert - bei der Behinderteninteressenvertretung (BIV). Seit März ist er deren Vorsitzender.

Wie sind Sie als Sauerländer nach Südamerika gekommen?

Jochen Picht: (lacht) Weil ich die Welt verändern wollte. Ich wollte die Armut bekämpfen, etwas gegen die ungerechten wirtschaftlichen Verhältnisse tun. So waren wir 68er. Deshalb habe ich mich nach meinem Studium um ein Stipendium für Peru beim Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) beworben. Ein bisschen blauäugig und frech habe ich damals gedacht, dass ich dort die ländliche Entwicklung vorantreiben könnte.

Das Land hat Sie fasziniert?

Ich habe es geliebt. Meine Mutter war Tirolerin. In den Bergen habe ich mich immer wohl gefühlt. Da durften das Wetter und die klimatischen Bedingungen auch ruhig extrem sein. Und 1976 habe ich dort auch schon meine Frau kennengelernt, eine Anthropologin, 1979 haben wir geheiratet.

Politisch war es damals kein Problem, dort zu arbeiten?

Das war die Zeit von Juan Francisco Velasco Alvarado, ein linker General, der sich an die Macht geputscht hatte. Er war durchaus offen für solche Projekte. In Südamerika gab es damals mehrere dieser Militärs, die sozialistische Ideen verfolgten. Die unterstützten unsere Projekte.

Sie sind dann häufig umgezogen, haben in Peru, Bolivien und Honduras gelebt. Ihre Familie ist immer mitgezogen?

Ja, das war die Voraussetzung. Aber meine Frau hatte keine Probleme, in den jeweiligen Städten auch einen Job an der Universität oder als freie Beraterin zu finden.

Warum sind Sie zurückgekehrt?

Vor allem aus Sorge um die Zukunft meiner jüngeren Tochter, die eine Lernbehinderung hat. In Südamerika hätte sie niemals so selbstbestimmt leben können wie hier. Außerdem lässt es sich hier leichter leben. Deutschland bietet viele Arten von Sicherheiten. Und Meschede besonders. Wir haben eine geringe Kriminalitätsrate, hier kann man als Frau noch gefahrlos abends durch die Stadt laufen, die Gesundheitsfürsorge und die gesamte Versorgungslage einschließlich Mobilität ist gut. Ich weiß, dass viele das anders sehen. Aber ich betrachte es von meinem Standpunkt aus: 35 Jahre in Südamerika. Trotzdem sind meine Frau und ich auch erstaunt über das Armutsproblem eines so reichen Landes, wie es gerade erst die Diskussion um die Tafeln gezeigt hat.

Wie lebt man als Behinderter in Peru?

Behinderte werden dort von den Familien versorgt. Es gibt zwar auch Einrichtungen, aber die sind privat und sehr teuer. Eine staatliche Förderung und lebenslange Versorgung ist ausgeschlossen. Auch nach unserem Tod soll unsere Tochter abgesichert sein.

Und wie sind Sie zur BIV gekommen?

Eines unserer Ziele nach der Rückkehr war es, die Integration unserer Tochter zu fördern. Warum sich also nicht gleich bei der BIV engagieren. Heinz Arenhövel, dem ehrenamtlichen Behindertenbeauftragten des Kreises, hatte ich indirekt schon über seine Tochter kennengelernt, die zur selben Zeit wie wir in Cochabamba, Bolivien lebte. Und dann bin ich überzeugt, dass wir auch als Zugezogene etwas für unsere Integration tun müssen, und das geht viel leichter, wenn man sich engagiert.

Welche Themen haben Sie als BIV-Vorsitzender auf der Agenda?

Barrierefreiheit bleibt ein Thema - und das besonders bei den großen Baustellen in der Innenstadt, am Henne-Ruhr-Markt, genauso wie bei der Umgestaltung der Fußgängerzone. Aber dazu kommt das Thema der geistig Behinderten. Kürzlich hat uns jemand einen Touristikführer in leichter Sprache vorgestellt. Das hilft nicht nur Behinderten, sondern auch Kindern, Ausländern oder Menschen mit Demenz. Und am 11. April organisiert die Frauenberatungsstelle Meschede eine Veranstaltung zum Thema Gewalt gegen Behinderte. Frauen sind da besonders gefährdet. Aber es geht neben sexualisierter Gewalt auch um Übervorteilung. Vielleicht entwickelt sich daraus ein Thema. Und dann macht mir Sorgen, dass es in Deutschland Strömungen gibt, die versuchen die Grausamkeiten des Dritten Reiches gegenüber Behinderten zu leugnen. Dagegen muss man angehen.

>> AUS DEM SAUERLAND NACH SÜDAMERIKA

  • Jochen Picht ist in Winterberg geboren und aufgewachsen in Reiste, wo sein Vater als Allgemeinmediziner eine Praxis hatte. Nach dem Abitur am Gymnasium der Benediktinern und dem Wehrdienst studierte er in München Soziologie, Romanistik und Zeitungswissenschaften.
  • Als Entwicklungshelfer ging er dann nach Südamerika, arbeitete in Peru, Honduras und Bolivien. Sein Schwerpunkt war die kommunale und regionale Entwicklung des ländlichen Raums.
  • Dabei ging es um die Stärkung der lokalen Wirtschaft sowie der kommunalen und regionalen Regierungen und Basisorganisationen. In einem seiner letzten Projekte unterstützte er Bauern dabei, alternative Wirtschaftszweige zum Koka-Anbau zu finden.
  • Seit 1990 war er in leitender Position für Projekte der Europäischen Union, der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit und der Kreditanstalt für Wiederaufbau tätig.
  • Jochen Picht ist mit einer Peruanerin verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter.

Folgen Sie der WP Meschede auch auf Facebook.