Meschede. . Kerstin Bigge begleitet Mütter seit 25 Jahren. Sie beobachtet, dass die jungen Frauen heute unsicherer sind. Sie will Ängste nehmen.

Wenige Menschen sind vom Gesetz so gut kostenlos medizinisch betreut wie werdende Mütter. Doch nicht alle kennen ihre Rechte. Eine Hebamme, deren Leistungen komplett von den Kassen übernommen werden, führt durch den Behördendschungel, ist medizinische Expertin und Begleiterin für Vor- und Nachsorge und oft nach einiger Zeit auch vertraute Freundin. Kerstin Bigge betreut Frauen seit mehr als 25 Jahren.

Warum brauchen Schwangere Hebammen?

Kerstin Bigge: Wir begleiten werdende Eltern gut durch die Schwangerschaft und die erste Zeit mit dem Baby. Trotz oder vielleicht wegen der Informationsflut, die das Internet bietet, erlebe ich junge Eltern oft als extrem verunsichert. Da ist es gut, dass Hebammen als direkte Ansprechpartnerinnen für körperliche und seelische Beschwerden jederzeit bereit stehen - vom positiven Schwangerschaftstest bis zu zwölf Wochen nach der Geburt – bei Ernährungsfragen oder Stillproblemen sogar bis das Baby neun Monate alt ist.

Wie findet man eine gute Hebamme?

Da läuft vieles über Mund zu Mund-Propaganda, Flyer und Internet-Seiten geben einen ersten Eindruck und letztlich muss vor allem die Chemie stimmen. Betreuen dürfen wir Mütter in einem Umkreis von 20 Kilometern um unseren Wohnort.

Wie können Hebammen konkret helfen?

Das reicht von Hilfeleistungen bei Übelkeit und Rückenschmerzen über die Ernährungs- und Stillberatung bis zur Babyausstattung. Daneben sind wir Hebammen vor allem für die Schwangerschaftsvorsorge nach Mutterschaftsrichtlinien - in enger Kooperation mit dem Gynäkologen - und für die Wochenbettbetreuung zuständig. Wir helfen den jungen Eltern dabei Babysignale zu erkennen, zu verstehen und angemessen darauf zu reagieren. Daneben bieten viele von uns auch Rückbildungsgymnastik an. Zehn Stunden bezahlt die Krankenkasse, damit die Frauen den Beckenboden aufbauen können und nach der Geburt wieder körperlich fit werden.

Kerstin Bigge ist seit 25 Jahren Hebamme.
Kerstin Bigge ist seit 25 Jahren Hebamme.

Woran fehlt es in der Betreuung?

Die medizinische Betreuung ist in Deutschland schon sehr gut, aber manches kommt dabei eben doch zu kurz. Viele Mütter haben einen hohen Anspruch. Sie wollen eine Traumgeburt und haben gleichzeitig große Angst - in ihren Augen - zu versagen. Wir Hebammen versuchen, ihnen mehr Selbstvertrauen zu sich und ihrem Körper zu geben und ihnen Ängste zu nehmen und bieten ihnen Zeit und Raum, um sich auf das neue Familienmitglied einzustimmen. Dafür sind wir sehr flexibel erreichbar und kommen auch ins Haus. Anspruch auf Unterstützung hat die Frau mit der Diagnose „Schwangerschaft“.

Was sind die größten Sorgen?

In der Schwangerschaft fragen die Frauen, was sie tun können gegen Erkältungen, Sodbrennen, Übelkeit oder Wassereinlagerungen, ohne dem Baby zu schaden. Dann kommen Ängste vor der Geburt hinzu. Die Sorge: Schaffe ich das? Erreiche ich die Klinik noch rechtzeitig. Werde ich eine gute Mutter sein? Im Wochenbett kreisen die Gedanken dann vor allem ums Kind, ums Schlafen, um Blähungen oder die Gewichtsentwicklung und natürlich ums Füttern. Und das Schöne: Bei fast allen Sorgen können wir Hebammen helfen.

Hausgeburten gibt es kaum noch?

Nur noch ganz selten. Das scheitert zum einen an den hohen Versicherungskosten für uns Hebammen, aber auch an den zunehmenden Entfernungen zu den Krankenhäusern. Und an den Müttern, die eine möglichst große Sicherheit suchen. Aber es gibt noch Beleghebammen, die die Frauen ins Krankenhaus begleiten und während der Geburt bei ihnen bleiben.

Sie sind seit 25 Jahren Hebamme, seit 20 Jahren freiberuflich. Wie hat sich Ihre Arbeit verändert?

Die heutigen Mütter sind unsicherer als vor 25 Jahren. Sie setzen sich selber unter Druck, wollen „perfekt“ sein. Dazu werden sie von vielen Seiten beeinflusst. Wie sie es machen, ist es falsch und wird kommentiert. Wie du stillst? Oder: Wie du stillst nicht? Daneben fehlt vielen die Unterstützung durch die Familie, weil die Omas selbst noch arbeiten oder weit weg wohnen. Was sich wirklich positiv entwickelt hat, ist die Rolle der Väter, einige nehmen Elternzeit und sind auch sonst bereit sich Zeit für die Kinder zu nehmen. Sie wollen einbezogen werden.