Marcel Marcon ist 18 Jahre alt und schwul. Sein Coming-Out hatte er bereits in der achten Klasse. Er erzählt, wie der wichtige Schritt ablief.
H omosexualität ist in unserer Gesellschaft immer noch ein viel diskutiertes Thema. Erst neulich wurde im Bundestag über die „Ehe für alle“ abgestimmt. Dass Homosexualität eigentlich überhaupt nichts Besonderes ist und von jedem akzeptiert werden sollte, zeigt uns Marcel Marcon. Der 18-jährige Schüler des Gymnasiums der Stadt Meschede outete sich bereits früh und steht zu sich selbst. Wie sein Umfeld auf das Coming-out reagierte und welche negativen Erfahrungen er machen musste, erzählt er im Interview.
Wann hast du bemerkt, dass du homosexuell bist?
Marcel Marcon: Ehrlich gesagt kann ich mich daran nicht mehr wirklich erinnern, es ist unglaublich lange her. Ich habe das jedoch schon sehr früh bemerkt, damals dachte ich jedoch noch ich wäre bisexuell. Ich denke sowieso eher, dass das ein Prozess ist, der je nach Person unterschiedlich ist. Es ist nicht so, dass man eines Morgens aufwacht und realisiert: „Ah, ich bin schwul!“. Seine Sexualität entdeckt man so wirklich erst während seines persönlichen Selbstfindungsprozesses.
Fiel es dir schwer, dich zu outen?
Ja. Obwohl mir eigentlich schon immer bewusst war, dass in meinem Umfeld niemand etwas gegen Schwule hat. Aber sich zu outen, ist trotzdem ein ziemlich großer Schritt, der das Leben stark verändern kann und den man nicht rückgängig machen kann. Daher überlegt man genau und vor allem lange, ob, wie und wann man sich outen möchte.
Wie hat dein Umfeld reagiert?
So, wie ich das auch erwartet hatte. Niemand hatte etwas dagegen und keinen hat es wirklich interessiert. Es gab aber trotzdem interessante Reaktionen von meinen Mitschülern auf der Realschule. Während einige Mädchen aufgeregt waren, weil sie „schon immer einen schwulen besten Freund haben wollten“, hat ein Junge mich einmal gefragt: „Wenn du schwul bist, kannst du dich dann auch in dich selbst verlieben? Immerhin bist du ja auch ein Mann.“ Klingt amüsant, war allerdings ernst gemeint und stimmte mich eher traurig.
Wann hast du dich geoutet?
Das muss in der 8. Klasse gewesen sein. Ich hatte mir am Tag vorher vorgenommen, mich zu outen, war abends schon ziemlich aufgeregt und konnte nachts kaum schlafen. Als mich meine Mutter dann morgens zur Schule fuhr, erzählte ich ihr, dass ich schwul bin. Da sie es nicht wirklich glauben wollte, sagte ich ihr, sie solle darüber nachdenken. Dann ging auch schon die Schule los. Als wir vor dem Klassenraum standen, erzählte ich es einigen meiner Freunde, und ich war fasziniert, wie sich diese Information in nicht einmal fünf Minuten an den Rest der Klasse verbreiten konnte. Als ich auf das Gymnasium wechselte, war die Situation ähnlich. Wieder hatte ich es nur einigen Leuten erzählt, aber im Endeffekt habe ich festgestellt, dass es schon die ganze Stufe wusste.
Hast du negative Erfahrungen gemacht? Wenn ja, wie gehst du mit Häme oder sogar Hass um?
Ja, auf der Realschule. Ich bin alleine durchs Treppenhaus gelaufen, als eine Gruppe Zehntklässler an mir vorbeilief und hustend „schwul“ sagte. Das war nicht nur gemein, sondern hat mich auch teilweise verletzt und belastet. Das alles war aber schnell wieder vergessen. Sonst habe ich keine negativen Erfahrungen gemacht. Mich hat das anfangs immer wieder verwundert, gerade weil wir hier in einem doch eher konservativen Landkreis leben. Ich weiß aber auch, dass es Menschen gibt, die nicht so viel Glück haben wie ich. Heute passiert es leider immer noch viel zu oft, dass schwule oder lesbische Kinder durch ihre Sexualität Probleme mit ihren Eltern haben.
Was wünscht du dir für die Zukunft?
Das ist eine sehr gute Frage. Durch die Abstimmung zur „Ehe-Für-Alle“ im Bundestag hat sich mein größter Wunsch eigentlich schon erfüllt. Ich denke aber, dass es schön wäre, wenn man sich irgendwann nicht mehr outen müsste, weil Homosexualität als etwas total Natürliches gesehen würde. Damit wäre eine unglaubliche Last genommen. Außerdem wäre es erfreulich, wenn sexuelle Vielfalt auf den Bildungsplänen bestehen bleiben oder ausgebaut würde. Ich denke, dass dies zur sexuellen Aufklärung dazugehört. Fragen wie: „Kann sich ein Schwuler in sich selbst verlieben?“, sind zwar die Ausnahme, aber das sollten sie auch bleiben!
HINTERGRUND: TIPPS ZUM OUTING
Ganz wichtig ist, dass man sich die Zeit nimmt, die man dafür braucht. Man sollte, bevor man sich outet, seine Sexualität selbst akzeptiert haben. Als nächstes sollte man sich überlegen, bei wem man sich als erstes outen möchte. Dies sind meist Freunde oder Geschwister. Personen also, zu denen man eine sehr gute Beziehung hat. Meistens muss man vor deren Reaktion keine Angst haben, heutzutage sind diese meist positiv.
Eine zusätzliche Sache sollte man auch nie vergessen: Ein Coming Out ist nie etwas Einmaliges. Im Laufe des Lebens wird man sich immer wieder outen müssen, besonders wenn man neue Menschen kennenlernt oder neue Freunde findet. Mit der Zeit wird man darin aber sicherer und geübter. Man outet sich dann früher und ab einem bestimmten Zeitpunkt, wenn man sich sicher genug ist, kann man dies auch in simplen Nebensätzen tun.
Ein Coming Out ist letztlich aber immer noch etwas Privates und Persönliches. Wenn man sich also nicht outen möchte, dann ist das in Ordnung. Man sollte sich nie gezwungen fühlen, sich outen zu müssen. Meine Erfahrung ist jedoch, dass das Leben danach schon ein Stück leichter wird.
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