Freienohl/Berge. Seit 1984 kommt Dr. Gisbert Breuckmann als Landarzt nach Berge, wie schon sein Vater und sein Großvater vor ihm. Die Zukunft wird manches ändern.
Die ärztliche Versorgung auf dem Land ist ein schwieriges Thema. In Berge haben sich die Patienten ein Schlupfloch gesucht: Sehen sie das Auto von Dr. Gisbert Breuckmann bei einem seiner Hauspatienten, dann kommen sie hinzu. Im Wohnzimmer bei Elisabeth Kemper beantwortet der Mediziner seit mehr als 30 Jahren geduldig zweimal pro Woche ihre Fragen. „Hier hat der Doktor mehr Ruhe als in der Praxis“, sagen sie. Auch Breuckmanns Vater bot diesen Service schon an und sein Großvater reiste als Landarzt in die Dörfer rund um Freienohl.
1913 - seit Anfang des vergangenen Jahrhunderts war Dr. Nikolaus Dehen, der Großvater von Gisbert Breuckmann, als Arzt in Berge unterwegs. „Mit dem Motorrad“, berichtet sein Enkel schmunzelnd.
„Eine Patientin, die er auf die Welt geholt hat und die ich später noch bis zu ihrem Tod begleitet habe, erzählte gern, dass er sie mal als junges Mädchen auf dem Rückweg nach Olpe über Stock und Stein mitgenommen habe.“ Damals war der Landarzt noch ein echter Generalist - er begleitet seine Patienten von der Wiege bis zur Bahre.
In Elisabeth Kempers Wohnzimmer nimmt Breuckmann derweil eine Blutprobe. „Die Werte müssen ständig überprüft werden“, erläutert Kemper.
Auch die Nachbarin Anneliese Blanke schlüpft herein, gefolgt von einem blassen, jungen Mann, der grippig aussieht. Blanke hat sich darüber geärgert, dass sie bis Februar auf einen Facharzttermin warten soll. Dr. Breuckmann erklärt, dass er für einen Notfall schnell einen Termin vermitteln könne. Er rät ihr, sich ansonsten an die Kassenärztliche Service-Stelle zu wenden. Allerdings müsse sie dann weitere Wege in Kauf nehmen.
1952 wird Breuckmann im Ärzte- und Wohnhaus in Freienohl, in dem schon sein Großvater praktizierte, geboren.
„Mein Vater war nicht dabei, sondern bei der Geburt im Nachbarhaus“, erzählt der Mediziner schmunzelnd. „Die Patienten gingen eben immer vor.“ Dr. Heinrich Breuckmann machte als Landarzt bis zu seinem 72. Lebensjahr Hausbesuche in Berge - lange nach einem ausgeklügelten System. „Da war die ganze Familie mit eingespannt“, berichtet sein Sohn.
Es habe ja längst noch nicht jeder ein Telefon gehabt. „Kam ein akuter Notfall dazu, riefen wir von zu Hause die Patienten an der Strecke an und diese gaben die Informationen weiter.“ Auch Walter Jänike hat im Kempers Wohnzimmer ein Anliegen. Er wird am Montag am Grauen Star operiert.
Breuckmann hat die OP-Papiere dabei, und der Senior will gern wissen, was das für eine Tablette ist, die er nehmen soll. „Ist die zur Beruhigung?“, fragt er seinen Doktor. Der guckt genauer hin: „Ja, die können Sie ruhig nehmen.“
Jänike berichtet, dass er wegen dieser Frage auch schon in Arnsberg gewesen sei, letztlich sei er ohne Antwort nach Hause gefahren. Jetzt hat er eine Sorge weniger.
1984 übernimmt Dr. Gisbert Breuckmann die Praxis und damit auch die regelmäßigen Besuche in Berge bei Familie Kemper.
Schon Jahre zuvor hatte sein Vater damit begonnen, als ein Sohn der Familie schwer erkrankte. Es kommen und kamen Patienten, die nicht Auto fahren können, mit chronischen Beschwerden oder auch nur zum Blutdruckmessen, aber auch Mütter mit ihrem Nachwuchs. „Auch einrenken kann der Doktor ganz wunderbar“, schwärmt Elisabeth Kemper.
Anfangs fuhr Breuckmann auch noch selbst zu jedem Notfall. „Ich war stolz, wenn ich vor dem Krankenwagen da war.“ Moderne Medikamente und die Professionalisierung des Rettungswesens, hätten inzwischen manches erleichtert.
2017 arbeitet Breuckmann in einer Praxis mit seiner Frau und zwei weiteren Fachärztinnen. Auch seine Tochter und sein Schwiegersohn sind Mediziner, leben aber in Münster. „Noch“, wie die Patienten-Runde sich wünscht. „Vielleicht kommen sie ja ins Sauerland zurück“, hofft Anneliese Blanke.
„Um junge Kollegen zu gewinnen und zu halten, muss man schon darauf achten, dass die Work-Life-Balance passt“, sagt Breuckmann. Für 24-Stunden-Dienste kommt kein Mensch ins Sauerland.“ Dafür sei die Änderung der Notdienste wichtig gewesen. Auch wenn jetzt manch ein Kollege weite Wege fahren müsse und die Vorgeschichte des Patienten nicht kenne.
Elisabeth Kemper glaubt nicht, dass das mit den Berger Terminen im Wohnzimmer noch lange weiterläuft: „Ich bin ja auch schon 90. Was ist, wenn ich mal gehe?“, fragt sie.
Was sie aber weiß: Ihr Doktor wird sie auch dann begleiten.
>>>HINTERGRUND
Für die Zukunft glaubt Dr. Gisbert Breuckmann, dass auch seine Patienten in Berge, vieles einfach mit dem Handy aufnehmen und an seine Praxis senden.
In Videosprechstunden würden Ärzte dann Diagnosen stellen und Rezepte direkt an die Patienten senden. Auch die Medizin sei ein „lernendes System“, sagt er und die Digitalisierung auf dem Vormarsch.
Gleichzeitig setzt er auf den Patienten, der durch den richtigen Lebensstil heute mehr an seiner Gesundheit mitwirken könne. „Sorgen machen mir die vielen übergewichtigen Kinder. Da sind Diabetes und Herz- Kreislauferkrankungen programmiert.“
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