Freienohl. . Eine Frau, die in Freienohl einen Pfarrer verfolgt und belästigt, gilt als schuldunfähig. Seit einem halben Jahr stoppt sie niemand mehr.

  • Seit 16 Jahren wird Pfarrer Michael Hammerschmidt belästigt und verfolgt
  • Die Justiz kann dem Stalking-Opfer seit einem halben Jahr nicht mehr helfen
  • In letzter Instanz ist entschieden worden: Seine Verfolgerin ist schuldunfähig

An manchen Abenden schläft Michael Hammerschmidt früh ein. Die Jahre mit ihr haben Kraft gekostet. Sie, das ist seine Verfolgerin. Eine Frau im Liebeswahn - seit 16 Jahren. Sie macht dem katholischen Pfarrer einen Teil seines Lebens zur Hölle. Die 74-Jährige ist schuldunfähig, das wurde vor einem halben Jahr entschieden. Niemand stoppt die Stalkerin mehr. Wie geht es dem Seelsorger damit?

Der Anfang

Es ist ein Tag im Jahr 2001. Ein Mann liegt im Sterben, der Pfarrer wird hinzugerufen. Er betritt das Krankenzimmer und die Tochter, Christel G., zerrt an ihrem Vater. Sie schreit ihn an. „Er hat mich missbraucht“, ruft sie dem Seelsorger zu.

Hier, davon ist er überzeugt, fängt alles an. Hammerschmidt sagt: „Es hätte jeden treffen können – auch die Ärzte. Ich war zur falschen Zeit am falschen Ort.“

Die Prozesse

Ende März 2017 folgt ein weiterer Schicksalstag. Das Oberlandesgericht Hamm erklärt die Stalkerin in letzter Instanz für schuld- und unzurechnungsfähig.

Anwalt sagt: „Eine nette, aber kranke Frau“

„Ich liebe ihn von ganzem Herzen“, hat Christel G. immer wieder vor Gericht als Angeklagte ausgesagt. Sie hat ihre Taten nie bestritten. Im Gegenteil. Sie glaube, dem Pfarrer mit den Liebesbekundungen eine Freude zu machen, berichtete sie.

Im Alltag sei die „eine liebe, nette Person“, sagt ihr Anwalt Michael Babilon aus Arnsberg. Er vertritt die Stalkerin auch heute noch. Zweifellos, betont er, sei sie eine kranke Frau.

Die Justiz kam dadurch zu folgendem Ergebnis: Zu krank, um für die Taten verantwortlich zu sein, aber nicht so krank, um in zwangsweise in die Psychiatrie eingewiesen zu werden.

Die Kammer erkennt noch an, dass die Angeklagte die Lebensqualität des Pfarrers massiv beeinträchtigt und seine Gesundheit schädigen könne.

Aber: Sie könnte für ihre Taten nicht zur Verantwortung gezogen werden. Ein halbes Jahr ist seitdem vergangenen - ohne Hoffnung, dass es aufhört. Sie kommt weder in den Knast, noch in die Psychiatrie.

Christel G. ruft täglich an, sagt Sachen wie „Fick mich“. Sie überzieht sein Auto mit Herzen, legt symbolisch Möhren und Plastikeier nieder. Sie verfolgt ihn und erdrückt ihn mit Liebesschwüren. Immerhin tanzt sie nicht mehr so oft nackt in seinem Garten. „Die Gesetze sind so ausgelegt worden, wie es möglich war“, sagt Hammerschmidt zum verlorenen juristischen Kampf. „Sie müssten geändert werden. Wussten Sie, dass Exhibitionismus nur bei Männern bestraft werden kann?“

Politiker haben ihm oft ihr Mitgefühl versichert. Angerufen hat ihn in der Sache niemand, um ihm konkret zu helfen. Er hätte es sich gewünscht. Hammerschmidt: „Ich glaube weiter an den Rechtsstaat, aber die Politik müsste die Gesetze ändern.“

Das Leben mit der Stalkerin

„Geurteilt wird über mich doch ohnehin, obwohl die Leute zu wenig darüber wissen.“ Hammerschmidt erzählt seine Leidensgeschichte. Wenn Anfragen seriös sind, gibt er Interviews. Warum tut er das? „Eigentlich haben alle die Schnauze voll von dieser Sache, ich auch.“ Dann wirkt es so, als ob etwas überläuft in seinem Körper und er deshalb reden möchte. 16 Jahre verfolgt, belästigt, bedrängt.

Und da ist noch etwas: Hammerschmidt möchte nicht, dass ohne ihn über seinen Fall gerichtet wird - „die Olle und der Pfarrer“, viel Raum für Klischees, für blühende und schmutzige Phantasien, für Schadenfreude gegenüber der katholischen Kirche. „Und weglaufen, woanders hingehen“, betont er, „ist auch keine Lösung, nie für mich gewesen.“ Er weiß außerdem: Sie käme hinterher, das hat sie gesagt.

Aus dem Archiv: Diese und andere Dinge wirft die Stalkerin täglich vor die Tür. Pfarrer Michael Hammerschmidt ekelt sich davor.
Aus dem Archiv: Diese und andere Dinge wirft die Stalkerin täglich vor die Tür. Pfarrer Michael Hammerschmidt ekelt sich davor. © Marian Laske

Hammerschmidt wirft konsequent alles weg, was sie ablegt. „Ich ekele mich so vor diesem Mist. Ich wasche mir fünf, sechsmal die Hände.“ Er leidet. „Das Schlimmste ist: Du weißt nie, wann sie wieder kommt.“ Er lebt unter Anspannung, er hat Schmerzen, die Ärzte nicht organisch erklären können.

„Manchmal kommst Du an den Punkt und fragst Dich: Wer überlebt diesen Kampf?“ Er ist 63, sie ist 74. Er sagt: „Ich möchte schon noch ein paar Jahre ohne dieses Theater leben.“ Er fühlt sich wie Freiwild. In düsteren Stunden hat selbst er, der Pfarrer, darüber nachgedacht, ob er so weiter leben kann.

Die Mitmenschen

Hammerschmidt ist ein Mann aus dem Leben, er ist alles andere als weltfremd. „Wichser“ zählt trotzdem nicht zu seinem Wortschatz. Doch er hört nicht nur dieses Wort täglich. „Gossen-Fäkalsprache“, nennt er es. Er bedauert, dass er abstumpft. Das merkt er, wenn er anderen Leuten von seinem Alltag berichtet.

„Manche Leute werden bleich, wenn ich davon erzähle.“ Ihn widert es an, wie sich Christel G. entblößt, wie sie jede Scham fallen lässt. „Das verletzt die Würde der Frauen“, meint der Seelsorger. Auch seine Mutter musste es schon mitansehen.

Der Glaube

Warum ich? Es ist eine Frage, die Hammerschmidt kennt, wenn er mit Schwerkranken spricht. Er selbst hat sie Gott gestellt. „Natürlich würden wir uns alle wünschen, dass der liebe Gott die schweren Dinge von uns nimmt – aber das tut er nicht“, weiß der Pfarrer. „Auf die Frage nach dem Warum gibt es keine Antwort.“ Er ist Gott trotzdem dankbar. „Dafür dass er mich so stark und widerstandsfähig gemacht hat.“

Psychologen erklärten ihm, dass wenige so ein Martyrium überleben. Statistisch gesehen wäre er bereits vier bis fünf mal tot.

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