Freienohl. . Stefan Rölleke erinnert daran, dass bei Kyrill nicht nur wirtschaftlicher Schaden entstand. Er wurde bei den Aufräumarbeiten schwer verletzt.
- Stefan Rölleke ist ein Kyrill-Opfer
- Ein Jahr nach dem Orkan wurde er bei Aufräumarbeiten verletzt
- Seitdem sitzt er im Rollstuhl. Aber er hadert nicht
Stefan Rölleke ist ein Opfer von Kyrill. In der offiziellen Statistik taucht der Freienohler aber nicht auf. Denn sein Unglück ereignete sich ein Jahr nach dem Orkan. Bei Aufräumarbeiten schnellte vermutlich ein noch unter Spannung stehender umgestürzter Baum hoch und traf den Forstwirt. Seitdem ist er gelähmt.
Der Jahrestag von Kyrill berührt ihn nicht: „Da habe ich nichts von.“ Eine Einladung zu dem Kyrill-Themenabend am Dienstag in Schmallenberg hat er nicht bekommen – aber er hat mit dem Gedanken gespielt, hinzufahren: „Es wäre schon was, damit nicht immer nur an die wirtschaftlichen Einschnitte erinnert wird.“
Stefan Rölleke geht offensiv mit seinem Schicksal um: Er trägt sogar einen grünen Kapuzen-Pullover mit einem Piktogramm mit umgestürzten Bäumen, einem fassungslosen Menschen – und dem Schriftzug „Kyrill-Opfer“.
Unglück beim „Abstocken“
Sein Unfall geschah am 11. Februar 2008 im Arnsberger Stadtwald bei Wennigloh. Bäume, von Kyrill umgeworfen, lagen dort noch durcheinander. Stefan Rölleke, damals 38, war als Motorsägenführer mit dem „Abstocken“ beschäftigt, um Stämme von den Wurzeln zu trennen. An den Unfallhergang hat er keine Erinnerung: „Als hätte der Körper abgeschaltet.“ Der Rettungshubschrauber brachte ihn in eine Unfallklinik nach Dortmund. 17 Tage war er dort. Danach 26 Wochen im Bochumer Bergmannsheil. Vier Wirbel am Rücken waren gebrochen. Stefan Rölleke war von der Brust an abwärts gelähmt.
Alpträume hat er nicht, Schockmomente auch nicht, sagt er heute. Groll kennt er auch nicht: „Gegen wen denn? Es kann doch keiner was dafür. Und es kann keiner was daran machen.“ Ein Jahr nach dem Unglück war er noch einmal an dem Unfallort, dazu hatten ihm Ärzte zur Aufarbeitung geraten. „Ich wollte es wissen“ – aber vor Ort war das ernüchternd: „Es war ja wieder aufgeforstet. Das sah komplett anders aus.“
Seit dem Unglück feiert Stefan Rölleke an jedem 11. Februar Geburtstag. Seine Freunde vom Stammtisch „Kaputter Tisch“ kommen dann vorbei. Zum 20-jährigen Bestehen des Stammtisches ging es für drei Tage auf die „Aida“, Stefan war in einem barrierefreien Zimmer mit dabei. Natürlich hat sich sein Leben vollkommen verändert. Stefan Rölleke wurde mit 38 Jahren zum Frührentner. Das Kyrill-Unglück ist als Arbeitsunfall anerkannt. Über viele Details seiner Versorgung und des Umbaus seines Hauses musste er sich vor dem Sozialgericht mit der Berufsgenossenschaft streiten. Das ging hin bis zu scheinbaren Kleinigkeiten, die für den Lebensalltag des Betroffenen aber enorm wichtig sind, wie den Zugang zur Dusche: Die Berufsgenossenschaft wollte nur einen Vorhang zahlen, für die Duschkabine musste aber als Sonderanfertigung einer Tür her.
Stefan Rölleke versucht, möglichst vieles allein zu erledigen. „Ich musste mich erst daran gewöhnen, auf andere angewiesen zu sein“, gesteht er freimütig ein. Schon wenn eine Birne in einer Lampe durchgebrannt ist, muss er jemanden um Hilfe bitten – „oder es bleibt dunkel“: „Aber irgendeiner kommt immer und hilft.“
Marathon bewältigt
Ein großer Einschnitt war seine Scheidung: „Auf einmal stehst du alleine da.“ Inzwischen hat er eine neue Freundin, noch aber als Fernbeziehung: „Es geht voran“, sagt er. Optimismus hat er weiterhin.
Sportlich ist der heute 47-Jährige. Bei gutem Wetter ist er mit seinem „Handbike“ unterwegs, einem Sport-Rollstuhl, den er kraft seiner Arme antreiben kann. Vor fünf Jahren, als wir schon einmal mit ihm sprachen, nannte er die Teilnahme an einem Handbike-Marathon als Ziel. Das hat er gemacht, 2012 in Köln – nur sein neues Ziel, unter zwei Stunden zu bleiben, hat er um knapp sieben Minuten verfehlt. Egal, „ich bin angekommen“.
Der feuerrote Ford Mustang
Einen anderen Traum hat er sich auch erfüllt. Früher fuhr er Motorrad, das geht nicht mehr. Letztes Jahr renovierte er einen feuerroten 1966er Ford Mustang zu Ende, 200 PS stark, schon mit Bremskraftverstärkung und Servolenkung: „Der klingt, wie ein V8-Motor klingen muss.“ Er baute den Mustang um auf Handbetrieb. Drei Jahre dauerte das. An schönen Tagen fährt er damit zur Sorpe oder Möhne: „Das ist ein Stück Freiheit für mich.“
An Barrierefreiheit hapert es weiter
Natürlich beobachtet Stefan Rölleke als Behinderter die Barrierefreiheit mit besonderen Augen.
Stufen und Löcher sind das größte Problem für seinen Rollstuhl. Das Kopfsteinpflaster vor dem Bürgerbüro in Freienohl ist für ihn tückisch. Beim neuen Ausflugslokal „H1“ am Hennesee wünscht er sich, dass alles barrierefrei sein wird. Die Toiletten-Frage ist ein großes Problem. Es fehlt an behindertengerechten Klos. Er sagt zum Beispiel: „In Meschede kenne ich keine Pizzeria mit einer solchen Toilette.“ Für ihn bedeutet das: „Ich muss immer die Zeit abchecken“ – oder öffentliche Toiletten aufsuchen, über deren Hygiene er angewidert die Nase rümpft.
Auch bei öffentlichen Festen werde nicht an die Besucher mit Handicaps gedacht. Beim Henneseefest oder bei der Eröffnung des Radweges im Berger Jüppkenpark fiel ihm das auf: Einen Toilettenwagen gab es, für Behinderte aber nichts. „Das wird einfach nicht zu Ende gedacht“, ärgert sich Stefan Rölleke.
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