Meschede. Vor dem Umbau schauen sich die ehemalige Angestellte im Hertie-Haus um. Die Wut ist verflogen, doch den 15. August 2009 hat niemand vergessen.
- Führung durch ein Geisterkaufhaus – Hertie-Angestelle besuchen Ex-Arbeitsplatz
- Im Januar beginnt der Umbau der ehemaligen Hertie-Immobilie
- Das Gebäude stand seit August 2009 leer
Vorn links verkaufte die Bäckerei Sommer Brötchen, rechts standen Duschgel und Nagellack. Vor der Rolltreppe lagen Hefte, Kalender und Buntstifte. Bei geschlossenen Augen füllen sich die Hertie-Regale wieder wie von selbst. Doch da, wo die Kasse stand, baumeln nur noch zwei dicke Kabel aus der Decke. Von Hertie ist nichts geblieben. Außer Pfützen, frostiger Kälte und einem schicken Parkettboden.
60 Mitarbeiter verloren ihren Job
Uta Zappe (49) sucht nach einem Wort, das ihre Gefühle gerade beschreibt. Wehmut. Vielleicht. Sie steht genau an ihrem alten Arbeitsplatz, Abteilung „Uhren und Schmuck“. Für die exklusive Führung durch das leere Kaufhaus, das der Investor Fokus Development ermöglicht hat, trommelte die Meschederin ihre alten Kollegen zusammen. Die Stimmung ist ausgelassen, Schmerz und Wut sind verflogen. Der Tag, an dem sie ihre roten Hertie-Halstücher verbrannten, ist vorbei. Aber unvergessen.
„Das Jahr der Insolvenz war das härteste Jahr, das ich je hatte“, gesteht Andreas Thielemeier (57) aus Schmallenberg. Er leitete damals drei Hertie-Häuser gleichzeitig. In Meschede waren knapp 60 Menschen betroffen. Seine Angestellten mochten ihren Chef für seine unbedingte Loyalität. Unvergessen die Szene, als er in den letzten Hertie-Tagen einen Kunden am Kragen packte und vor die Tür setzte, weil er an der Kasse frech geworden war. „Zu dem Zeitpunkt war es ja auch egal“, sagt er.
„Wir konnten es eh nicht ändern. Deshalb haben wir zusammengehalten“, sagt Ute Kaiser (65). Auch sie stand immer unten bei den Armbändern und Ketten – weiße Bluse, schwarzer Blazer. Ihr Gesicht gehört zu denen, die man nicht vergisst. Knapp 20 Jahre arbeitete sie in dem Kaufhaus. Erst Karstadt, dann Hertie. Zusammen mit Uta Zappe kassierten sie unten auch die Süßigkeiten. „Nicht mit den Fingern in die Candybar!“, gehörte zu ihren häufigsten Sätzen.
Im Mai 1980 spielte zur Eröffnung eine Kapelle auf dem Dach des – damals supermodernen – Waschbetonbaus. Am 15. August 2009, ein sonniger Samstag, stand Heike Heckmann mit ihren Kollegen an genau der gleichen Stelle und rief in ein Megafon: „Es gibt nichts mehr! Die Regale sind leer!“ Aus. Vorbei. Hertie ist Geschichte. Die sympathische Blondine mit dem markanten Lidstrich gibt die Geschichte gerade zum Besten. Früher arbeitete sie in der CD-Abteilung. Die Kollegen schütteln sich vor Lachen. Immer weitere Geschichten werden ausgekramt. Von Pärchen, die sich fanden, Azubis, die heimlich auf der Rampe rauchten und Kollegen, die mittags auf dem Dach grillten. Und Frau Löhr, die immer rief: „Nicht die Rolltreppe hochlaufen!“
Großstadt üben auf der Rolltreppe
Die Rolltreppe! Ja, Meschedes letzte Rolltreppe ist natürlich immer noch da. Wie ein riesiger, regungsloser Wurm aus Eisen führt sie ins erste Obergeschoss. Hoch zu den CDs, zu den Matratzen, dem Restaurant, dem Zimmer des Betriebsrats (Zappe: „Hier haben wir gekämpft, aber es hat nichts genutzt.“) und den Sportsachen. Auf der Fensterbank zur Ruhrseite steht auch noch ein Preisschild: FC Bayern Trikot für 35 Euro. Das waren noch Zeiten.
Generationen übten an der Rolltreppe „Großstadt“. „Und jetzt ein großer Schritt“, sagten Mütter oben, damit kein Kinderfuß steckenblieb. „Zur Eröffnung kamen die Leute extra, um Rolltreppe zu fahren“, erzählt Gerhard Trudewind. Er war bei der Eröffnung 1980 dabei. Bei Karstadt gab’s damals die erste Rolltreppe des Sauerlandes. Eine Sensation.
Den Blick in die Zukunft liefert Eva Katrin Maier von Fokus Development. Sie verteilt Mappen an die ehemalige Belegschaft. Acht Mieter sollen im Dezember 2017 einziehen. Der Umbau startet im Januar. Neben dem Eingang zur Stadthalle wird es einen Durchgang zur Ruhr geben, so sind die neuen Geschäfte von Außen erreichbar. „Und es wird zwei weitere Rolltreppen geben“, sagt sie. Dann können die Kunden wieder „Großstadt“ üben.