Arnsberg/Meschede. . Das Amtsgericht Meschede hat eine Stalkerin zu einer Haftstrafe verurteilt. Die heute 72-jährige stellte ihre Belästigungen trotzdem nicht ein. Nun verhandelt das Landgericht Arnsberg erneut über den Fall einer Frau, die seit Jahren einem Pfarrer nachstellt. Wird sie freigesprochen?
Als Richter Hans-Joachim Grunwald den ersten Tag im Berufungsverfahren vor dem Landgericht Arnsberg beendet, steht Pfarrer Michael Hammerschmidt von seinem Platz auf den Besucherrängen auf und geht mehr oder weniger wortlos an den Journalisten vorbei. „Ich bin müde, ich sage heute nichts mehr.“
Machtlosigkeit des Rechtsstaats
Man könnte auch sagen: Der katholische Geistliche ist zermürbt. Zermürbt von den vierzehneinhalb Jahren unerwünschter Kontakte seitens der 72-jährigen Freienohlerin, die sich wieder einmal wegen Nachstellens vor Gericht verantworten muss. Und zermürbt von der offensichtlichen Machtlosigkeit des Rechtsstaats, ihn vor seiner Stalkerin zu schützen. Denn sollte die 1. kleine Strafkammer dem Gutachten des bekannten Psychiaters Norbert Leygraf folgen, kann sie die Rentnerin wegen Schuldunfähigkeit keine Haftstrafe aufbrummen oder in den Maßregelvollzug schicken - weil sie dem Sachverständigen zufolge keine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt. „Das wäre ein Freibrief für die Frau, mich weiter zu belästigen“, sagt Hammerschmidt.
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Wie oft wurde dem Pfarrer der St.-Nikolaus-Gemeinde Freienohl von Beobachtern empfohlen, den Arbeits- und Wohnort zu verlegen. „Ich kann den Satz nicht mehr hören“, sagt der 61-Jährige in einer Verhandlungspause. „Man löst keine Probleme, wenn man wegläuft.“ Zumal die Angeklagte auch bei der Berufungsverhandlung durchscheinen lässt, dass mit einem Wegzug das Thema nicht erledigt ist: „Wenn möglich, würde sie hinterherziehen.“
Über ihren Anwalt Michael Babilon räumt die 72-Jährige die Vorwürfe des Nachstellens ein - dass sie bis heute SMS, E-Mails und Briefe mit anzüglichem Inhalt an den Pfarrer schickt, dass sie den Garten des Pfarrhauses mit roten Rosen oder phallusähnlichen Produkten wie Gurken und Möhren „dekoriert“, dass sie sich dort freizügig gezeigt hat oder dass sie ihm Worte an den Kopf geworfen hat, die alles andere als von einer klösterlichen Erziehung zeugen. „Ich mache ihm eine Freude damit“, sagt sie. Wohl eher sich selbst: „Es ist ein Gefühl, das ich nie gehabt habe. Es zwingt mich, dieses zu tun“, sagt die Frau mit dem großen, schwarzen Hut auf dem Kopf.
Pfarrer will Schutz vor Stalkerin
Für den Marsberger Psychiater Markus Müller-Küppers steht hinter dem Verhalten eine Persönlichkeitsstörung, die nicht mit einer aufgehobenen Steuerungsfähigkeit und damit nicht mit einer Schuldunfähigkeit einhergeht.
Anwalt Babilon: "Sie ist krank"
Dieser Sichtweise war das Amtsgericht Meschede in erster Instanz gefolgt und hatte die Frau zu einer 14-monatigen Haftstrafe verurteilt. Psychiater Leygraf - wie auch sein Düsseldorfer Kollege Sven-Uwe Kutscher - attestierten der Angeklagten dagegen eine wahnhafte Störung und damit Schuldunfähigkeit. Das sieht Anwalt Babilon ähnlich: „Sie ist krank“, sagt der Arnsberger Jurist. „In Deutschland kann nur bestraft werden, wer schuldfähig ist.“
Am kommenden Mittwoch, 16. Dezember 2015, soll das Urteil gesprochen werden.
Rolf Hansmann