Meschede. . Der Tierarzt ist zunehmend auch als Ernährungsberater gefragt. 60 Prozent der Tiere seien zu dick, warnt Dr. Stefan Gabriel aus Meschede.
Zu viele unserer Haustiere sind zu dick. "Ich kenne eigentlich kaum ein Tier, dass unterernährt ist", sagt der Mescheder Tierarzt Dr. Stefan Gabriel. Er gehört dem Kreisstellenvorstand der Tierärztekammer HSK als stellvertretender Vorsitzender an. Tierärzte bieten inzwischen auch eine Ernährungsberatung an.
Ist Ernährungsberatung nur eine neue Geldquelle für Tierärzte – oder besteht dafür eine echte Notwendigkeit?
Dr. Stefan Gabriel: Dafür gibt es eine absolute Notwendigkeit. Die Kenntnisse über die Tierernährung sind bei vielen Tierhaltern gleich Null. Früher gab es zum Beispiel noch den "Pferde-Opa", der wusste, wie ein Pferd gefüttert wird. Diese Opas sind gestorben. Heute werden die Pferde mit Leckerchen, Kraftfutter und Pulver gefüttert – und viele Pferde haben ständig Koliken und Verdauungsstörungen, weil ihre Organe das nicht mitmachen.
Und bei Hund und Katze?
Dr. Gabriel: Zu der Unsicherheit der Tierhalter kommt eine geradezu aggressive Fehlinformation von Seiten der Futtermittelindustrie und des Handels: Die sagen, kauft unsere Produkte und du hast keine Sorgen. Das stimmt aber nicht. Der Tierhalter kann doch nicht wissen, ob bei seinem Tier zum Beispiel der Haarausfall normal oder saisonal ist – oder eben mangelbedingt. Tiere wissen nicht, was gut für sie ist. Ihre Futterprägung ist stark: Was der Besitzer vorgibt, dass fressen die Tiere auch meistens. Tierärzte haben Tierernährung und Diätetik studiert. Sie können produktneutral beraten und haben genaue Bedarfswerte, mit denen sich der Nährstoffbedarf eines Hundes oder einer Katze genau berechnen lässt. Damit kann man auch das Futter kontrollieren.
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Was machen Tierbesitzer falsch bei der Ernährung ihrer Tiere? Wie ist die Erfahrung aus der Praxis?
Dr. Gabriel: Tierbesitzer geben fast immer zu viel, sowohl bei Hunden als auch bei Katzen. Deshalb ist Übergewicht ja das Problem Nummer eins. 60 Prozent der Tiere sind zu dick. Das ist ein Zivilisationsproblem: Zu gutes Essen, zu wenig Bewegung.
Was lässt sich denn durch eine gezielte Ernährung verbessern?
Dr. Gabriel: Wir können heute viele Krankheiten durch die gezielte Ernährung mit speziellen Diäten wesentlich verbessern oder gar kompensieren. Diabetes zum Beispiel lässt sich gut mit einem erhöhten Fasergehalt kompensieren, Patienten mit Niereninsuffizienz leben länger durch die richtige Eiweiß- und Mineralstoffzusammensetzung im Futter. Hunde fressen meistens alle Diäten, die Sie ihnen in den Napf tun. Deshalb kann man nach Tabellen vorgehen und den Hund auf das Milligramm genau richtig ernähren.
Also lassen sich Tiere eigentlich auf den Punkt genau ernähren?
Dr. Gabriel: Das ist so. Das Wachstum eines Tieres verläuft so, wie sein Futterangebot ist. Das heißt, eiweiß- und kalorienreiches Futter führen dazu, dass Jungtiere schneller wachsen. Wenn ich denen ein paar Gramm zu viel gebe, dann kann das dazu führen, dass sie zu schnell wachsen. Dann sind sie zu schnell zu schwer. Die Knochenreife hält damit aber nicht Schritt. Dann läuft eine wachsende Dogge zum Beispiel ein halbes Jahr auf nicht fertig ausgewachsenen Gelenken herum. Dann sind die kaputt, wenn sie erwachsen sind. Es ist übrigens ein Anfängerfehler, nicht an das Umfeld zu denken: Da werden Katzen immer dicker und dicker, trotz Diät – weil sie vom Nachbarn ein Schälchen hingestellt bekommen.
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Kann man Tiere vegan ernähren?
Dr. Gabriel: Für Hunde kann man vegetarische Diäten berechnen, sie haben sich in ihrer Evolution der menschlichen Nahrung angenähert und können z. B. Kohlenhydrate besser verwerten als Wölfe. Katzen dagegen sind Fleischfresser und müssen mit tierischen Eiweißen ernährt werden.
Sollte ein extra Stückchen Wurst für den Hund denn sein?
Dr. Gabriel: Das muss nicht sein. Was immer wieder passiert, dass Leute, die einen optimal ernährten Junghund oder Welpen führen, auf der Straße, von Nachbarn oder Arbeitskollegen angesprochen werden: "Hör mal, du musst mal deinen Hund richtig füttern!" Offensichtlich haben gerade Leute, die gar nichts von Hunden verstehen, den Drang, Hunde dick zu füttern. Es würde sich doch keiner trauen, seinem Nachbarn zu sagen, "Dein Kind ist mächtig dick". Das verbietet die Höflichkeit. Aber Besitzer von tierärztlich optimal ernährten Hunden werden angepöbelt, sie müssten die Tiere besser füttern, "die hätten ja nichts auf den Rippen". Wir Menschen haben das Bild vom dicken, runden Hund. Das ist sicherlich auch einer der Gründe, warum im Moment die Möpse so geliebt werden. Manche Leute scheinen Hunde zu brauchen, um sie zu mästen.
Was unterscheidet die tierärztliche Beratung von der durch Futterverkäufer oder geschulte Laien?
Dr. Gabriel: Der Tierarzt kennt den genauen Gesundheitszustand des Tieres und hat die ernährungsphysiologischen Zusammenhänge studiert. Empfiehlt er zum Beispiel eine Nierendiät, dann kennt er die wissenschaftlichen Studien dazu und kann per Blutanalyse die Auswirkungen auf die Krankheitsentwicklung messen und beurteilen. Ein Futterverkäufer kann das nicht und hat zudem eher vordergründige Motive bei der Beratung…
Nämlich?
Dr. Gabriel: Er muss verkaufen!