Menden. .

Man muss es unseren Altvorderen lassen: Sie verstanden zu feiern und zu zelebrieren. Eindrucksvolles Beispiel ist die Einweihung des Rathauses 1912, damals noch das neue, heute bereits das Alte Rathaus. Weil es erneut ein neues Rathaus gibt. Man kann die Nase rümpfen über all die schwülstigen Worte bei der Übergabe des Gebäudes, aber zugeben kann man es leichten Herzens: Es ist damals wie heute ein Prachtbau, der der Innenstadt gut tut und seinen Nachfolger weit in den Schatten stellt.

Sammelpunktder Mendener Gesellschaft

Aber warum müssen für neue Bauten ständig alte fallen? Als das Rathaus vor mehr als 100 Jahren in der Innenstadt gebaut wurde, musste dafür ein historisches Gemäuer weichen. Eines, das damals als „althistorisches Wahrzeichen unserer Heimatstadt mit seiner ganzen denkwürdigen Vergangenheit“ geadelt wurde: Das Beiderlind’sche Hotel (Hotel zum Adler). Das war in früheren Zeiten Sammelpunkt der Mendener Gesellschaft. Dort wurden, so steht es geschrieben, „entscheidende Fragen der Heimat beraten“.

Bombastisch die Begründung: „Es musste den Platz räumen, um einem großen, zeitgemäßen Neubau seinen Stand anzubieten.“ Bürgermeister Dr. Overhues hoffte wohl, den Bürgern einen gewissen Stachel ziehen zu können, als er sagte: „Sieht auch der Bürger manche liebe Erinnerung, manche altehrwürdige Ecke aus dem Bilde der emporstrebenden Stadt vielleicht mit Bedauern schwinden, so muss ihn doch der Anblick alles dessen, was geschaffen wurde, mit Freude und Genugtuung erfüllen.“ Das war auch die Begründung für den Abriss mancher alter Gebäude in der Innenstadt Menden in den 80er Jahren.

Zur Einweihung des Rathauses am Donnerstag, 24. Oktober 1912, läuteten feierlich die Glocken und im genau so feierlichen Gottesdienst wurde „der Segen für den Neubau von dem Höchsten erflehet“, berichten die Chronisten. Am Bahnhof spielte die Kapelle Dornsaft auf, die geladenen Gäste und viele Bürger fanden sich ein, Schulkinder säumten die Bahnhofstraße, standen Spalier, und dann marschierten Musik und Gäste in das neue Rathaus vor der Vincenz-Kirche. Zumindest die Verantwortlichen beschlich wohl das hehre Gefühl, dass „dieser gewaltige Bau der rührigen Stadt Menden weite und glänzende Perspektiven für eine gedeihliche Zukunft“ eröffnen werde. Keiner ahnte, dass schon zwei Jahre später der Erste Weltkrieg ausbrechen würde.

Decken mit Stuckund Wandbespannung

Zur Feier des Tages hatte Bürgermeister Dr. Ernst Overhues eine „Festschrift zur Einweihung des neuen Rathauses zu Menden in Westfalen“ zusammengestellt. Mit einer Auflage von 700 Exemplaren ist sie heute ein begehrtes Sammelobjekt. Der Stolz ist Dr. Overhues anzumerken, wenn er „sein“ neues Zuhause als Bürgermeister beschreibt: „Das Gebäude ist vollständig massiv und feuersicher ausgeführt. Alle Fenster sind in Pitchpineholz mit guter Verglasung ausgeführt. Die Sitzungssaal- sowie die Treppenhausfenster erhielten künstlerisch durchgeführte Bleiverglasung.“ Dazu in einigen Zimmern Decken mit Stuck, im Bürgermeisterzimmer zusätzlich eine Wandbespannung in Stoff.

Zwei Feststellungen im Festakt ließen aufhorchen. Zumindest mit den Ohren von heute: Der Kölner Regierungsbaumeister Carl Moritz bedankte sich, dass er den Auftrag, das Rathaus zu bauen, erhalten habe, ohne dass er Wettbewerbsdruck (also keine Konkurrenz) bekommen habe. Heute nicht denkbar. Beim ansonsten für Städte unangenehmen Thema Geld hatte der Bürgermeister „das erhebende Bewusstsein, dass die Stadt sich so etwas (den Neubau) leisten kann, ohne den Stand ihrer Finanzen auch nur im geringsten ins Wanken geraten sehen zu müssen“. Heute ein Traum.

„Gedeih und wachsan allen Enden“

In den Jahren bis 1912 hatte sich einiges getan in Menden. Die Hönne­stadt war inzwischen unter die Städte mit mehr als 10 000 Einwohner aufgerückt. Anno 1816 hatte Menden nur 1806 Einwohner gezählt. Dr. Overhues erinnerte in seiner Aufzählung an Schwerpunkte:

1843 Gründung der Städtischen Sparkasse,

1861 Bau der Gasanstalt,

1872 Eisenbahnverbindung Menden-Fröndenberg,

1893 Bau des Schlachthauses,

1900 Bau einer das gesamte Stadtgebiet überspannenden künstlichen Wasserleitung,

1910 elektrischer Strom in Menden,

1912 Städtisches Realprogymnasium, Eisenbahnlinie Menden-Balve und Übergabe Rathaus.

Angedacht war da schon die Kanalisation von Menden, die dann ab 1926 erfolgte.

Vorher schon eröffnete das längst projektierte, aber erst 1919 zu Ende gebrachte Städtische Warmwasserbad an der Walramstraße.

Verinnerlicht man diese Höhepunkte im Leben einer Stadt, nehmen die Worte von Dr. Overhues in seiner Festrede nicht Wunder: „Schmucke Privat- und Geschäftsbauten erheben sich, die industriellen Werke machen dauernd Erweiterungen erforderlich, neue Stadtviertel werden angelegt, die alten Wälle reguliert, saubere Bürgersteige und schöne Straßenzüge durchziehen neben gärtnerischen Anlagen die Stadt.“ Und dann zitierte er aus einer alten Chronik :

„Eja, es floriere Menden,

Gedeih’ und wachs an allen Enden.“

Einzug der Gästeauf der Wartburg

Menden war gewachsen, enorm sogar. Regierungspräsident von Bake betonte denn auch, es sei endlich Zeit gewesen, neue große (Rathaus-)Räume zu schaffen, denn die alten waren, das werde ohne weiteres anerkannt, längst viel zu klein. Vom Bürgermeister bis hinab zum letzten Beamten möge sich jeder der Pflicht bewusst sein, für das Wohl der Gemeinde als auch für das Wohl des Königshauses einzustehen, daß sie erstarken mögen, im Sinne der Sicht Seiner Majestät unseres allergnädigsten Königs, das Recht und das Wohl jedes einzelnen zu fördern.“

Es hätte was gefehlt ohne das festliche Bankett auf der Kaiser-Wilhelm-Höhe: Und es passte auch in den leicht überspannt anmutenden Gesamtrahmen, dass die Kapelle Dornsaft Richard Wagner bemühte und für die 270 Personen, die sich nach anstrengenden Eröffnungsstunden erholen und laben mussten, den „Einzug der Gäste auf der Wartburg“ aus der Oper „Tannhäuser“ spielte.

Becker-Wunsch:Sich nicht zerfleischen

Überall an den Tischen wurde geprostet, ließ man das Rathaus und seine Erbauer hochleben. Den weisesten Spruch aber gab Fabrikbesitzer Becker von sich. Sein Wunsch: „…, dass im neuen Rathaus Einigkeit herrschen und sich die Parteien gegenseitig nicht zerfleischen möchten, denn nur, wenn alles einig sei, könne zum gemeinsamen Wohle gedeihliche Arbeit geschaffen werden.“ Wann das gesagt wurde? 1912, nicht gestern. Menden hatte eine ganze Reihe von Rathäusern. Von 1864 bis 1886 befand sich das Rathaus in der alten Rektoratsschule unweit der Vincenz-Kirche. 1886 bis 1912 zog das Rathaus nach nebenan in die heutigen Räume des Jugendzentrums am Kirchplatz.

Rathaus erst1928 vollendet

1912 Umzug in den Neubau, der allerdings erst 16 Jahre später in seiner ganzen Schönheit zu bewundern war. Denn von 1912 bis 1928 hat den Bereich des beherrschenden Balkons das Haus der Witwe Egon Kissing unterbrochen. Sie hatte lebenslanges Wohnungsrecht.

Erst 1928 konnte das „Geschwür“ abgerissen und das Rathaus als vollendet gelten. Seit 1982 arbeitet die Stadtverwaltung im neuen Rathaus an der Bahnhofstraße und hat erneut zu wenig Platz.