Menden. Wie ein Netz durchziehen begehbare Wege und zugewachsene, nur noch angedeutete Pfade den Hügel rund um das Galbusch-Kreuz. Früher trugen sie Namen. Namen, die an berüchtigte Gefangenenlager erinnerten. Nach dem Ersten Weltkrieg waren das: Avignon, das berüchtigte Straflager in Frankreich; Totzkoje, ein Schreckenslager in Russland; Sipote, ein Lager in Rumänien, in dem von 500 Kameraden nur 87 die Heimat wiedersahen; Nowonikolajewsk, das Lager in Russland, in dem von 25 000 Kameraden 17 000 starben; ferner die Todeslager Taschkent, Turkestan, Nowo-Nikotajewski und Candor.
Heute lese ich auf der Holztafel auf dem Weg zum Kreuz, dass 150 000 Gefangene des 1. Weltkriegs nicht wieder nach Hause kamen. Von 800 000. „Sei ihnen fremde Erde leicht!“ heißt es dazu.
In den Schächtender Bergwerke gestorben
Nach dem 2. Weltkrieg haben die Wege zusätzliche Lagernamen erhalten, haben sich den Platz mit den Vorgängern teilen müssen: Remagen, wo tausende deutscher Kriegsgefangener nach Kriegsende auf Heimkehr wartend zugrunde gingen; Focsani, das Todeslager in Rumänien; Karaganda, ein Lager ostwärts des Ural; Stalino, ein Lager im Donezbecken. Dieser Name, so hieß es in einem Zusatz, gelte allen Kameraden, die in diesem Gebiet in den Schächten der Bergwerke den Tod fanden.
Auf der Hinweistafel am Wegesrand die erschreckende Zahl: 1,3 Millionen Gefangene kamen nach dem 2. Weltkrieg ums Leben.
Denkmal für alletoten Gefangenen
Heute sind die Wege-Namen nicht mehr zu finden. Ich zumindest habe rund ums Kreuz keinen Hinweis entdeckt. Verschwunden ist auch die Inschrift, die früher auf dem Weg zum Denkmal zu lesen war:
„Wanderer, verweile und entblöße in Ehrfurcht Dein Haupt.
Dies ragende Kreuz hält wach das Gedenken an tapfere Männer,
Die standhaft trugen das bittere Los der Gefangenen.
Sehnsucht nach Deutschland brach ihre trotzige Kraft!
Wenn auch wehrlos, starben sie doch als Helden.“
Für all diese umgekommenen Kriegsgefangenen steht das Galbusch-Kreuz, das 1932 zum ersten Mal errichtet und am 6. August 1932 eingeweiht wurde. Neun Jahr durfte es über Menden - nachts angestrahlt - an die Gefangenen des 1. Weltkrieges erinnern, dann fielen die ersten Bomben des 2. Weltkrieges auf die Hönnestadt und die Nazis verfügten: das Kreuz muss weg, es sei Wegweiser für feindliche Bomber und gefährde die Stadt. Bürgermeister Rau wehrte sich, wandte ein, es gebe genug andere markante Punkte in Menden, aber am 14. Januar 1941 dröhnten Sprengschüsse durch das Tal.
Das Kreuz zerbrach zwar nicht, aber es sank, in sich geschlossen bleibend, zu Boden. Der Sockel war nahezu unbeschädigt. Etwa zur selben Zeit und mit derselben Begründung wurde auf der Wilhelmshöhe das hoch aufragende Denkmal der Marine-Kameradschaft umgelegt. Fast möchte man sich glücklich schätzen, dass die Machthaber nicht auch den Turm der Vincenz-Kirche zerstörten.
1952 Galbusch-Kreuzerneut errichtet
Es zeugt von einer tief sitzenden Kameradschaft und Freundschaft, dass die Heimgekehrten dafür sorgten, dass das Galbusch-Kreuz wieder aufgerichtet und am 19. Oktober 1952 zum zweiten Mal eingeweiht werden konnte. Erneut strahlte es nachts weithin sichtbar über Menden. Bis 2010, als Vandalen auf dem Galbusch wüteten und die Beleuchtungskörper zerstörten. Die Elektrik hätte nur für viel Geld instand gesetzt und die Leuchtkörper ersetzt werden können. Es spricht nicht für Mendens Bevölkerung, dass es vier Jahre dauerte, bis, wie jetzt bekannt wurde, sich dankenswerter Weise mit dem Heimat- und Verkehrsverein offensichtlich ein Sponsor gefunden hat, der dafür sorgt, dass ab Volkstrauertag 2014 das Galbusch-Kreuz nachts wieder angestrahlt wird.
Das Kreuz sehen aber werden nicht viele Mendener, denn zur Stadt hin verwehren mächtig gewachsene Bäume die Sicht. Es steht zu befürchten, dass selbst von einem anderen Hügel der Stadt aus, dort, wo das Krankenhaus steht, das Kreuz nicht zu erblicken sein wird. Nur an einer Stelle im Wald besteht eine Schneise, die von Rinker- und Sollingstraße aus einen Blick auf das Kreuz zulässt. Alle anderen müssen auf die Zeit warten, wenn das Laub gefallen ist und der Lichterschein nach außen dringen kann. Nur weitere Schneisen können Abhilfe schaffen.
Schlichter Sockel Kreuz 15,5 Meter hoch
Wer heute zum Galbusch-Kreuz marschiert, findet eine durchaus gepflegte Anlage mit Ruhebänken vor. Sie ist eine Gedenkstätte, so das Hinweisschild am Wegesrand, „für alle hinter Stacheldraht verstorbenen und vermissten Deutschen beider Weltkriege“.
Der Sockel ist schlicht gehalten, fünf Meter lang und 3,50 Meter breit, etwa eineinhalb Meter tief im Erdboden verankert. Das Betonkreuz ragt 15,5 Meter hoch, der Kreuzarm misst sechs Meter. Von einer mehr als mannshohen Hecke eingefasst lässt sich nur an zwei schmalen Öffnungen nachlesen, was auf den Tafeln am Sockel steht. An der einen:
„Ehemalige Kriegsgefangene beider Weltkriege erbauten dieses Ehrenmal für alle hinter Stacheldraht verstorbenen Kameraden. Den Toten zur Ehr – den Lebenden zur Mahnung“.
Auf der zweiten Tafel heißt es:
„Ob in Sibiriens Steppe,
Marokkos Wüstensand,
Der Tod dahin Euch raffte,
Ihr starbt für´s Vaterland“.
Holzkreuz warder letzte Gruß
Als die „Reichsvereinigung ehemaliger Kriegsgefangener“ (REK) den Wunsch äußerte, ein Ehrenmal für die Gefangenen zu bauen, gab es in der Stadtverordneten-Sitzung am 31. März 1932 noch Bedenken. „Warum gerade ein Kreuz als Ehrenmal?“ In der Geschichte des Galbusch-Kreuzes beeindruckt mich die wunderbar treffende Antwort von Wilhelm Pferdekämper: „Gerade das Kreuz ist unser Symbol. Denn ein schlichtes Holzkreuz war der letzte Gruß, den wir unseren verstorbenen Kameraden mitgeben konnten.“ Diese Begründung passte auch bei der Wiedererrichtung nach dem 2. Weltkrieg: „Blieb uns auch in den russischen Gefangenlägern des Zweiten Weltkriegs selbst dieser Gruß versagt, so möge nunmehr das Kreuz für alle namenlosen, unbekannten und ungepflegten Gräber stehen.“
Architekt des Denkmals war J. Hüttermann. Wilhelm Pferdekämper und Bürgermeister Rau verschafften 1932 mit Hilfe der Bürger die finanziellen Voraussetzungen. Viele ehemalige Kriegsgefangene fassten mit an beim Bau. Unentgeltlich. Der Berg war an seiner Spitze eingeebnet worden. Feldbahngleise wurden verlegt, auf Loren 22 Waggons Material nach oben geschafft.
Enthüllung unterBöllerschüssen
Am Einweihungstag pilgerten mehr als 3000 Bürger zum Denkmal. Der Rundfunk übertrug die Feier. Nach der Enthüllung unter Böllerschüssen übernahm Bürgermeister Rau das Ehrenmal in Obhut und Pflege der Stadt. Das Kreuz auf dem Sockel diente auch der Völkerversöhnung und der Frontkameradschaft. 1935 kamen englische Frontkämpfer nach Menden und suchten das Galbusch-Kreuz auf.
Im Zweiten Weltkrieg war das Galbusch-Kreuz zwar gesprengt worden, doch bereits 1950 forderten Heimkehrer, die sich zum Verband zusammengeschlossen hatten, das Kreuz wieder zu errichten. Erneut schaffte es Wilhelm Pferdekämper, der schon beim ersten Kreuz seinen Durchsetzungswillen gezeigt hatte, Mendens Männer zu freiwilliger Mitarbeit zu animieren. Er sorgte auch wieder für die Finanzen.
Josef Heinrichsmit Hammer und Meißel
Es ist ergreifend: Bevor mit der Abbruch- Arbeit begonnen wurde, hatte sich der erwerbslose Heimkehrer Josef Heinrichs schon still daran gemacht, das gesprengte Kreuz mit Hammer und Meißel zu zerkleinern und abzuräumen. Später mit Sprengpatronen ging das zwar schneller, aber Josef Heinrich war das Beispiel für die innere Anteilnahme vieler am Schicksal der Gefangenen. War der geplante Wiederaufbau des Kreuzes noch im April 1952 eher nur ein Gerücht in der Stadt, so stand das Denkmal im August desselben Jahres bereits in alter Schönheit aufgerichtet.
Bürgermeister Beierle, Schirmherr des Heimkehrer-Stadtverbandes Menden, deutete die Errichtung des Gedenkkreuzes als die Erfüllung des Versprechens „Wir vergessen Euch nicht“, das die Heimkehrer ihren zwangsweise zurückgebliebenen Kameraden gegeben hatten. Mendens Heimkehrer hätten schon nach dem 1. Weltkrieg ihre Pflicht erfüllt und blieben sich auch nach dem 2. Weltkrieg treu. „Dieses Kreuz ist ein Wahrzeichen der Stadt Menden und soll sowohl an die stillen Dulder hinter Stacheldraht erinnern als auch das Weltgewissen aufrütteln.“
Niemals vergessen:Elsa Brandström
Es klingt wie eine Predigt, wenn die ehemaligen Soldaten und Kriegsgefangenen mahnten: „Niemals vergessen die Lager des Schreckens und Leidens. Aber auch niemals die vergessen, die Liebe und Sonne in trostloses Leid brachte: Elsa Brandström. Und niemals vergessen die Männer, die den Toten schufen dieses Mal.“
Elsa Brandström (1888-1948) reiste 1915 für das Schwedische Rote Kreuz nach Sibirien und kümmerte sich um die deutschen Kriegsgefangenen. Sie wurde zum „Engel der Gefangenen“. Unterhalb des Galbusch-Kreuzes trägt ein breiter Spazierweg ihren Namen: Der Elsa-Brandström-Weg,