Menden.

Wenn Martina Gruber ihre Geschichte im Rahmen unserer neuen Serie erzählt, vermeidet sie bewusst den Begriff „Auswandern“. „Auswandern bedeutet, dass man in ein Land geht, um dort zu bleiben“, so Martina Gruber. Das war aber keineswegs die Absicht der gebürtigen Mendenerin.

Inspiriert von einer Mitschülerin, die ihr Auslandssemester in den USA verbrachte, wollte auch sie unbedingt nach Amerika – in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

„Ich hatte schon von klein auf das Gefühl, nicht nach Deutschland zu gehören; Deutschlands Strukturen waren mir immer zu eng.“ Während ihres Sprachstudiums in Münster bekam sie dann tatsächlich, aufgrund ihrer Willensstärke sowie vieler glücklicher Zufälle, das Angebot, als deutsche Assistentin nach Kalifornien zu gehen, um dort am Scripps College in Claremont für ein Jahr zu arbeiten.

„Endlich hatte ich das Gefühl, gefunden zu haben, was mir in Deutschland immer gefehlt hatte. Als dieses Jahr zu Ende war, war ich von Kalifornien und den neu entdeckten, unbegrenzten Möglichkeiten sowie dem Gefühl der Freiheit immer noch begeistert. Deshalb entschied ich mich dazu, nur kurz nach Deutschland zu fliegen, um mir eine finanzielle Möglichkeit für den baldigen Rückflug zu schaffen.“ Auf einer internationalen Messe in Deutschland wurde Martina Gruber dann von einer amerikanischen Firma eine Stelle als International Sales Managerin angeboten. „So kehrte ich schon kurze Zeit später wieder nach Kalifornien zurück.“ Doch wie viele Firmen im schnelllebigen Amerika musste auch diese Firma aufgrund von Unterfinanzierung nach einem Jahr wieder ihre Türen schließen.

„Mein Traum war es ja immer gewesen, als Schriftstellerin zu arbeiten. Ich begann zu ‚jobben‘ und fand bald eine Stelle bei einem französischen Kunsthändler in Beverly Hills. Diese wiederum führte mich zu dem Gründer von Motown (Motown Record Company, Anm. d. Red.), dessen Plattenfirma durch Produktion und Vertrieb von Pop-Musik wie Michael Jackson oder Stevie Wonder zum Welterfolg wurde.“

Traum verwirklicht

Dort konnte Gruber dann tatsächlich ihren Traum verwirklichen, indem sie sechs Jahre lang an der Autobiografie des Gründers von Motown mit dem Titel „To Be Loved“ aktiv mitarbeitete. Diese wurde anschließend in englischer Sprache veröffentlicht. Martina Gruber lernte Hollywood und Popstars, Ruhm und Reichtum kennen sowie ihren Lebenspartner und bekam eine kleine Tochter, Yasmine. Trotzdem ist sie bis heute hin- und hergerissen zwischen Deutschland und den USA.

„Das Gefühl, nicht zu wissen, wo man hingehört, wird für mich jedes Jahr schlimmer. Ich liebe Amerikas lockeres und freies Lebensgefühl, aber das Sozialsystem sehe ich sehr kritisch: Wer in den Staaten nicht vorsorgt, arbeitet, bis er 80 ist – da haben wir hier einen klaren Vorteil.“

Doch es sind nicht nur die unterschiedlichen Mentalitäten und Gegebenheiten der Länder: Die Eltern in Menden werden älter, brauchen mehr Hilfe und werden unflexibler. „Meine Mutter ist aufgrund ihrer gesundheitlichen Verfassung nicht mehr in der Lage, die weite Reise anzutreten – ein Flug von Amerika nach Deutschland dauert immerhin an die zehn Stunden. Meine deutsche Familie steht auf der einen, mein amerikanischer Mann und meine Tochter auf der anderen Seite.“

So pendelt Martina Gruber jährlich für einige Wochen zwischen den Welten und fühlt sich als Weltbürgerin: „Die Fremde könnte die Heimat werden – aber die Heimat sollte niemals zur Fremde werden. Wo ich hingehöre, weiß ich selbst noch nicht. Derzeit verfasse ich die Biografie meines vor zehn Monaten verstorbenen, geliebten Vaters, die auf zahlreichen Interviews beruht und voraussichtlich 2012 veröffentlicht wird. Außerdem ist es mein Traum, dieses Buch über meine Kontakte in den USA verfilmen zu lassen.“

Thematisch setzt sich die Geschichte mit der Verführbarkeit der Jugend im Dritten Reich auseinander, mit Vorurteilen und dem grenzenlosen Schaden, den Propaganda anrichten kann. Martina Gruber spürt nämlich in ihrem internationalen Bekannten- und Freundeskreis häufig Unverständnis für andere ethnische Gruppen: „Dabei wächst die Welt doch immer mehr zusammen – es wird immer wichtiger, sich als Weltbürger zu fühlen und nicht nationale Differenzen in den Vordergrund zu stellen.“

Was für verheerende Folgen dies haben könne, habe ihr Vater am eigenen Leib erfahren: „Auch, wie schwer es war, sich als junger Mensch von der Hirnwäsche der Nazis zu befreien. Radikale Ideologien und Fanatismus sind heute aktueller denn je. An diesem Thema möchte ich dranbleiben. Die Hände in den Schoß zu legen, ist einfach nicht meine Art.“ Daran wird auch der Ozean zwischen ihren beiden Heimaten nichts ändern.