Menden. .

Im Frühjahr erblüht die Natur, das Licht der Sonne erwärmt die Herzen, und die Lebensfreude steigt. Umso mehr erschreckt es, dass nach den Statistiken die Rate der Suizide in dieser schönen Jahreszeit am höchsten ist.

Warum sich das Klima scheinbar auf die auswirkt, die ihrem Leben ein Ende setzen wollen, darüber haben die Forscher noch keine eindeutigen Erkenntnisse gewinnen können. Die WP sprach mit der Trauerbegleiterin Mechthild Rosenthal über das Thema „Suizid und Trauer“.

Das Thema Freitod beschäftigt Mechthild Rosenthal, seit sie es in ihrer Abschlussarbeit einer Referentenausbildung zum Inhalt machte, die sie im Rahmen ihrer Tätigkeit über den Hospizkreis Menden absolvierte. „Suizid soll kein Tabuthema sein. Ich möchte Menschen sensibilisieren und vor allem den Angehörigen das Gefühl von Schuld nehmen“, sagt sie. Über die Region hinaus hält sie Vorträge, unter anderem als VHS-Dozentin, zu Trauer-Themen und spricht mit den Menschen. Die Trauer der Angehörigen, wenn sie jemanden durch Suizid verloren haben, dürfe nicht verleugnet werden, sagt Mechthild Rosenthal. Dann könne die Familie in der Trauer stecken bleiben und müsse mit einer Lebenslüge leben. Teilweise könne der Freitod eines Angehörigen sogar Folgesuizide auslösen. Häufig gebe es aber auch Nachahmer, so habe der Suizid des Torhüters Robert Enke im November 2009 im Vergleich zum Vorjahresmonat eine deutlich höhere Suizid-Rate nach sich gezogen. Einen ähnlichen Anstieg der Zahlen hatte es 1774 durch die Veröffentlichung des Goethe-Romans „Die Leiden des jungen Werther“ gegeben, in dem sich der Romanheld aus Liebeskummer erschoss.

Laut dem Statistischen Bundesamt versucht sich alle vier Minuten ein Mensch das Leben zu nehmen. Durchschnittlich alle 47 Minuten gelingt es. Im Jahr 2009 lag der Schnitt in Deutschland bei 10,6 Freitoden gerechnet auf 100 000 Einwohner. Nordrhein-Westfalen (8,5) liegt dabei in der Statistik der Bundesländer auf einem der hinteren Plätze. Angeführt wurde die Statistik 2009 von Bayern (12,9). Insgesamt hat die Zahl der Selbsttötungen im Laufe der vergangenen Jahre abgenommen. Im Märkischen Kreis setzten im Jahr 2008 43 Männer und Frauen ihrem Leben ein Ende. Aktuelle Zahlen liegen nicht vor. Suizide würden aus Pietätsgründen polizeilich nicht in der Kriminalstatistik erfasst, erklärt Dietmar Boronowski, Pressesprecher der Polizei im Märkischen Kreis, auf Anfrage.

„Offiziell 60 Prozent der Suizidenten leiden an Depressionen. Ich behaupte, die Zahl ist um vieles höher“, meint Mechthild Rosenthal. Es gebe jedoch kaum erkennbare Anzeichen. Den Suizidforschern zufolge werde von drei Phasen gesprochen. „In der ersten Phase macht man sich konkrete Gedanken dazu. Aber wenn ein Lichtblick kommt, kann man zurückkehren“, erläutert sie. „Jeder Mensch hat mal solche Gedanken in schwierigen Lebenssituationen. Doch hier ist die Rückkehr möglich.“ In der zweiten Phase werde der Selbsttötungswille zum Trieb, aber auch hier sei eine Rückkehr möglich. Erst in der dritten Phase, der finalen Entschlussphase, habe bereits die Flucht aus der Realität begonnen und es gebe fast kein Zurück mehr.

„Wie müssen sich Angehörige fühlen, wenn es heißt ‘Schau mal, da sind die Eltern von dem Selbstmörder’?“ Menschen, die sich das Leben nähmen, seien keine Mörder und schon gar keine Selbstmörder, betont Mechthild Rosenthal, die den Suizid in ihrem eigenen Sprachgebrauch mit „das Leben nehmen“ bezeichnet.

Für die Angehörigen sei der Freitod schwer zu verkraften und die Schuld sei ein großes Thema. Die Frage nach dem Warum bleibe offen. Man solle nicht fragen Warum, sondern besser sei die Frage danach, wie es weiter gehen könne, wo man Unterstützung finde und wer diese geben könne. Nur etwa jeder zehnte, der den Freitod sucht, würde Abschiedsbriefe hinterlegen. „Meistens sind die Briefe liebevoll und oft um Verzeihung bittend. Es tut den Angehörigen gut, wenn der Brief wohlwollend geschrieben ist“, berichtet die Trauerbegleiterin.

Besonders Frauen werde Schuld am Freitod eines Angehörigen zugewiesen. „Dies aber behaupten Menschen, die sich mit dem Thema nicht auseinandergesetzt haben“, betont die Trauerbegleiterin. Es sei wichtig für die Trauernden, dass sie auch Wut empfinden, um loslassen zu können. „Wenn ein Verstorbener zu viel Raum einnimmt, hat dies Auswirkungen auf neue Partnerschaften und Beziehungen. Trauer heißt auch, neue, eigene Lebenswege zu finden und die Freude wiederzuentdecken.“