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Was ist in jenen Sekunden in dem A-Klasse-Mercedes vorgefallen, der in den Hubertus-Schützenzug gerast ist? So gut wie gar nichts weiß man bislang darüber. Aber ganz offensichtlich hat die Ehefrau des Unglücksfahrers noch gerufen: „Jetzt brems’! Jetzt brems’!“ So sagte es am Dienstag eine Zeugin bei der Prozessfortsetzung aus.

Martin Kinz, der zweite Brudermeister der Hubertusschützen, kam in der Schützenuniform. „Vielleicht erinnert er sich ja wieder an das Unglück, wenn er die Uniform sieht.“ Tatsächlich lief der 80-jährige Angeklagte vor dem Gerichtssaal ganz nah an Kinz vorbei. Doch die Erinnerung hat es ganz offensichtlich nicht wieder hervorgebracht.

Die Lücken in seinem Gedächtnis, die der Angeklagte seit Prozessbeginn geltend macht, hatte er aber augenscheinlich bereits direkt nach dem Unfall. Das legen die Zeugenaussagen am vierten Prozesstag nahe. Es ging schwerpunktmäßig um die Minuten nach dem Unfall und das technische Gutachten.

Das technische Gutachten: Gutachter Markus Nickel hatte mit einem weiteren vereidigten Sachverständigen den A-Klasse-Mercedes samt dazugehöriger Elektronik intensiv untersucht. Besondere intensiv muss man wohl sagen. Denn, so Nickel, die Polizei habe ihm angesichts eines weit und breit nicht erkennbaren Grundes für die Unglücksfahrt mehrfach instruiert, nach einem technischen Fehler zu suchen. Aber das Auto war technisch völlig o.k..

Nickel konnte ausrechnen, wie schnell der Angeklagte auf der 175 Meter langen Strecke zwischen dem Ausscheren aus der Reihe der wartenden Autos und dem Aufprall auf das Polizeiauto war: Mit 65 bis 75 Stundenkilometern hatte er die Schützenoffiziere erfasst und sie durch die Luft geschleudert. Mit immer noch 55 bis 65 Stundenkilometern raste er in den Polizeiwagen.

Bremsspuren konnte Nickel nicht erkennen. Er ist sich aber sicher: Den engen Fahrkanal zwischen Schützenzug und dem zur Parade auf dem Bürgersteig aufgestellten Königspaar samt Hofstaat hätte der Angeklagte bei dem Tempo nie unfallfrei bewältigen können. Aber wollte er wirklich dadurch fahren? Ein 63-jähriger Zeuge, der ihn nach dem Ausscheren durch die Windschutzscheibe gesehen hatte, sagte aus: „Er sah entschlossen aus, die Fahrt anzutreten.“

Der Angeklagte nach dem Unfall: Ein 33-jähriger Diplom-Ingenieur war der erste, der zu dem Rentner geeilt war. Mit „einiger Gewalt“ habe er die Fahrertür aufgerissen. Der Angeklagte habe sich schon abgeschnallt, er sei aber zittrig gewesen und habe Hilfe beim Aussteigen benötigt. Nach seiner Frau habe er gefragt, aber nichts zum Grund für die Unglücksfahrt gesagt.

„Weiß ich nicht, weiß ich nicht.“

Das konnte auch der 51-jährige Betriebsschlosser bestätigen, der auf Bildern zu sehen ist, wie er neben dem Angeklagten auf der Mauer an der Ecke Stiftstraße/Auf der Haar sitzt. Er hatte sich um den Rentner gekümmert, ihn nach dem Unfallgrund gefragt: „Er hat immer nur gesagt: ‘Weiß ich nicht, weiß ich nicht’“. Auch einen anderen Satz des Angeklagten erinnerte er: „Womit werde ich bestraft, dass mir so etwas passiert?“

Eine ganze Zeit saßen beide auf der Mauer, später führte der Zeuge den wackelig gehenden Rentner in das inzwischen vor dem Kiosk Wette errichtete Sanitätszelt. Von dort aus kam er ins Krankenhaus nach Unna. Der dort diensthabenden Arzt sagte: Auch den Medizinern habe der Rentner gesagt, dass er sich an nichts erinnere. Körperliche Beeinträchtigungen oder gar einen Herzinfarkt oder Schlaganfall habe man nicht erkennen können.

Die Ehefrau nach dem Unfall: Eine 53-jährige Arzthelferin war nach dem Unglück zum Unglücksort geeilt, um zu helfen. In dem Sanitätszelt kümmerte sie sich um die Ehefrau des Fahrers, die noch aus dem Auto ausgestiegen, dann aber zusammengesackt war. „Ich habe sie gefragt, wie das passiert ist, ob ihrem Mann schlecht war“, so die Zeugin. Aber die Frau habe nicht geantwortet. Sie habe nachgehakt, irgendetwas müsse doch passiert sein, da habe die Frau gesagt: „Ich habe noch gerufen: Jetzt brems’! Jetzt brems’!“ Leid habe ihr die Frau getan. Sie habe sie mit den Worten trösten wollen, dass alles wieder gut werde. Doch die habe gesagt: „Nichts wird mehr gut, überhaupt nichts.“