Menden. Am 16. Mai ist Welt-Zöliakie-Tag. Auch Malin (12) und Merle (11) aus Menden dürfen kein Gluten essen. So gehen sie damit um.
Mal eben nach der Schule beim Bäcker ein Brötchen holen oder mit den Freundinnen in die Pommes-Bude gehen – für Malin und Merle nicht möglich. Die Mendener Mädchen haben Zöliakie. Heilbar ist die erbliche Erkrankung nicht, doch die beiden haben einen Wunsch: Sie möchten Zöliakie gerne bekannter machen.
Zöliakie: Malin und Merle schreiben Politikern
Zöliakie ist „eine chronische Erkrankung, die sich nicht nur auf den Darm beschränkt, sondern die verschiedensten Organsysteme betreffen kann“, erklären Malin und Merle in ihrem Schreiben an den Landtagsabgeordneten Matthias Eggers, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach und NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann. „Daher wird sie auch als Systemerkrankung bezeichnet. Dies hat zur Folge, dass wir kein Gluten essen dürfen. Das Klebereiweiß aus Getreide ist in Weizen, Dinkel, Roggen, Bulgur, Couscous, Emmer, Saitan und vielen anderen Getreidesorten enthalten.“
Malin und Merle schreiben: „Wir finden es nicht gerecht, dass von Zöliakie betroffene Kinder in der Schulmensa nicht essen können, da es dort meistens nur glutenhaltiges Essen gibt wie zum Beispiel bei warmem Essen: Nudeln, Pizza, Schnitzelbrötchen und vieles mehr.“ Wenn es mal glutenfreies Essen gebe, „müssen wir darauf achten, dass es auch bei der Zubereitung nicht kontaminiert wurde. Außerdem finden wir es nicht regelkonform, dass wir beispielsweise auf Klassenfahrten unser eigenes Essen mitnehmen müssen. Wir haben diese unerfreuliche Erfahrung leider schon gemacht.“
„Ich habe selbst eine Verwandte, die an Zöliakie erkrankt ist, daher kenne ich mich schon ein wenig mit dem Thema aus. Wie vielfältig und einschneidend die Herausforderungen, vor denen auch und gerade Kinder stehen, sind, hat mich sehr betroffen gemacht“, sagt Matthias Eggers. Um Malin und Merle die Gelegenheit zu geben, weiteren Politikern über das Leben mit Zöliakie zu berichten, lud er die Mädchen und ihre Mütter zu einem Besuch in den Landtag ein. In Düsseldorf soll dann auch ein Gespräch mit Gesundheitspolitikern der CDU stattfinden.
Malin Venus (12) und Merle Kicinski (11) kennen sich schon seit dem Kindergarten, gehen mittlerweile auf das Gymnasium an der Hönne. Bei den Freundinnen wurde die Zöliakie bereits im Kleinkind-Alter festgestellt, blicken ihre Mütter Julia Venus und Jessica Weber zurück. Zuvor hatten Merle und Malin immer wieder starke Magen-Darm-Beschwerden. „Ich hatte damals Bauchschmerzen, war komplett schlapp und mir ging es richtig schlecht“, weiß Malin noch. Die Krankheit sei „wie ein Chamäleon“, erklärt Merles Mutter Jessica Weber. „Es gibt manche, die bekommen davon Migräne.“ Nach einer Blutuntersuchung und einer Biopsie während einer Darmspiegelung stand die Diagnose Zöliakie schließlich fest.
„Wenn wir Gluten essen, geht unser Darm kaputt“, sagt Malin. „Die Zotten bauen sich ab.“ Die Darmzotten sind dafür da, die Nährstoffe aufzunehmen, „und sie können sich auch wieder aufbauen, wenn man eine entsprechende Diät einhält“, erläutert Jessica Weber. Die andere - glutenfreie - Ernährung müsse nicht nur für eine bestimmte Zeit eingehalten werden, sondern ein Leben lang.
Die durchgestrichene Ähre ist das Zeichen für glutenfreie Lebensmittel
Und das tun Merle und Malin: Sie halten sich streng an die Vorgaben, was sie essen dürfen und was nicht. Beim Einkaufen verpackter Lebensmittel, das wissen die Freundinnen, achten sie auf eine durchgestrichene Ähre – das Zeichen für glutenfreie Lebensmittel. So können Malin und Merle glutenfreie Brötchen, Brot und auch Müsliriegel essen. Beide wurden von ihren Familien beim Einkaufen „sehr früh mit einbezogen im Supermarkt, so dass sie wissen, worauf sie achten müssen“, erzählen ihre Mütter.
Manchmal allerdings sind Malin und Merle so richtig genervt. Bevor sie nur einen einzigen Bissen irgendwo essen können, müssen sie genau wissen, ob glutenhaltiges Getreide enthalten sein könnte. Immer müssen sie fragen, erklären – und im Zweifel verzichten. Da reicht es schon, wenn in der Eisdiele die Waffelhörnchen so aufgestellt sind, dass sie ins Eis krümeln könnten. Pommes können die beiden eigentlich problemlos essen, wenn aber in der Fritteuse vorher ein paniertes Schnitzel gebruzzelt wurde, ist das Fett „verseucht“, wie Malin und Merle es ausdrücken – außer es wird glutenfreies Paniermehl benutzt. Und selbst wenn in der Fritteuse nur Pommes zubereitet werden, müssen die beiden wissen, ob in dem Gewürz Gluten enthalten ist.
„Es reicht eine halbe Haferflocke, dann reagiert der Körper“, verdeutlicht Malins Mutter Julia Venus, warum die beiden so penibel darauf achten müssen, was sie zu sich nehmen. So muss beispielsweise das – erlaubte – Reismehl oder das Maismehl in einer glutenfreien Mühle gemahlen sein. Bei einer Klassenfahrt, erzählt Malin, „musste ich jeden Morgen in die Küche in der Jugendherberge für mein Essen, das war mir schon irgendwie peinlich“. Aber auch, dass das Essen für ein paar Tage komplett von zu Hause mitgebracht werden muss, weil die Jugendherbergen nicht darauf eingestellt seien, sei schon vorgekommen.
„Viele wissen gar nicht, was Zöliakie ist“, haben Merle und Malin mit ihren Familien im Laufe der vergangenen Jahre festgestellt. Immerhin gebe es einige wenige Restaurants in Menden, in denen sie glutenfrei essen können. Doch das sei alles andere als selbstverständlich.
Glutenfreies Essen ist teurer als normales Essen
Hinzu komme, dass glutenfreies Essen teurer sei. So koste beispielsweise Schokoladen-Müsli in der glutenfreien Variante doppelt so viel wie das normale Müsli. Auch Geräte wie beispielsweise ein Toaster oder Schneidbrettchen müssen mehrfach vorhanden sein, um glutenfreien Toast oder Brötchen nicht versehentlich mit Gluten in Kontakt zu bringen. Das Gleiche gelte für einen Küchen-Handmixer: „Hier kann Mehl in den Entlüfter gezogen werden“, erklärt Julia Venus. „Ich habe eigentlich zwei Haushalte.“ So hat Malin in der Küche auch einen eigenen Bereich, wo ausschließlich glutenfreie Lebensmittel zubereitet werden.
Wunsch nach mehr Verständnis für Zöliakie-Erkrankung
Malin und Merle wünschen sich, dass ihre Erkrankung bekannter wird und auf mehr Verständnis stößt. Als Merle vor einer Zeit auf dem Weg zur Schule einfiel, dass sie ihr glutenfreies Frühstück zu Hause vergessen hatte, war die Not groß. „Jedes andere Kind wäre mal eben zum Bäcker gegangen. Wir haben dann auf dem Markt Obst gekauft und dann schnell noch eine Packung Kekse im Supermarkt“, erzählt ihre Mutter Jessica Weber.
Hoffnung auf finanzielle Entlastung
Wer an einer Zöliakie leidet, könne sich einen Behinderungsgrad von 20 Prozent eintragen lassen, was steuerliche Vergünstigungen zur Folge habe, erläutert Julia Venus: „Aber das sind Peanuts, wenn man sich die Zahlen mal anguckt, was es an Mehrkosten gibt.“ Sie würde sich wünschen, dass die Politik hier für eine finanzielle Entlastung betroffener Familien sorgt.
Mädchen werden selbst aktiv
Als Malin und Merle vor einiger Zeit in einer Fachzeitschrift von einer Befragung von Politikerinnen und Politikern auf Bundes- und Landesebene sowie der entsprechenden Ministerien lasen, waren sie enttäuscht: Nur zwölf Prozent hatten überhaupt geantwortet. Deshalb schrieben die beiden Mendenerinnen kurzerhand selbst – und zwar an den Mendener Landtagsabgeordneten Matthias Eggers (CDU), Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach und NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann – und formulierten ihren Eindruck, „dass wir der Politik egal sind“. Auch hier war der Rücklauf eher enttäuschend: Einzig Matthias Eggers habe sich gemeldet, erzählen die beiden.
Der Mendener Matthias Eggers traf Merle und Malin und lud die Freundinnen und ihre Mütter für Ende Februar zu einem Besuch in den Düsseldorfer Landtag ein. Dort fand dann auch ein Gespräch mit den Gesundheitspolitikern der CDU statt.