Menden. 100 Impfgegner „spazieren“ unangemeldet durch Menden. Die Polizei spaziert mit. Es bleibt friedlich, doch ein Beamter wird heftig beschimpft.

Exakt 97 Erwachsene, drei Kinder und fünf Hunde haben sich nach Zählung des Mendener Ordnungsamtes als Gegner von Corona-Schutzmaßnahmen am Montagabend auf einen knapp einstündigen sogenannten „Spaziergang“ durch die Mendener Innenstadt gemacht. Einige tragen dabei brennende Kerzen. Der Aufzug verläuft ohne Parolen oder Transparente, aber in Begleitung durch Polizei, Ordnungs- und Sicherheitskräfte.

Die Versammlung, die mangels Leitung keine offizielle ist, geht friedlich und nahezu schweigsam vonstatten. Allerdings berichtet ein Polizeibeamter, dass eine Frau auf sein Auto zugetreten sei und gerufen habe: „Sie sind kein Freund und Helfer, Sie sind ein Faschist!“ Gegen Ende des Aufzuges, dessen Ausgangs- und Zielpunkt der Alte Rathausplatz ist, sagt ein Teilnehmer allerdings auch zu den Polizisten: „Danke, dass Sie hier waren.“

Immer mehr Menschen vernetzen sich mittlerweile über den Internet-Anbieter Telegram für „Spaziergänge“, mit denen sie gegen Corona-Maßnahmen und -Impfungen protestieren wollen, auch wenn davon offiziell keine Rede ist. Nachdem gut 70 Menschen am Wochenende um den Iserlohner Seilersee gezogen waren, soll es ähnliche Aktionen künftig offenbar regelmäßig geben – auch in Menden.

Vom Alten Rathausplatz aus geht es für den Aufzug auf die Kirchstraße. Die Mendener Polizei ist bei dem unangemeldeten „Spaziergang“ immer dabei.
Vom Alten Rathausplatz aus geht es für den Aufzug auf die Kirchstraße. Die Mendener Polizei ist bei dem unangemeldeten „Spaziergang“ immer dabei. © Westfalenpost | Andreas Dunker

Die „Spaziergänge“, zu denen sich Gegnerinnen und Gegner von Impfungen und Schutzmaßnahmen verabreden, sind damit auch im Märkischen Kreis angekommen. Die Entwicklung ist mutmaßlich von ähnlichen Aktionen in Sachsen befeuert worden. In einer Mendener Telegram-Gruppe sind seit gut einer Woche massive Zuwächse zu verzeichnen, die Diskussionen um die Corona-Maßnahmen haben sich seither verschärft.

Polizei schützt Gang durch die Stadt

Dabei ist „Spaziergang“ nur die Umschreibung für eine nicht angemeldete Demonstration. Laut dem Mendener Polizei-Wachenchef Friedhelm Reinwald wäre ein Versammlungsleiter wegen Nichtanmeldung zu belangen gewesen. So aber begleitet und schützt die Polizei zugleich den stillen Gang durch die Stadt. Er führt erst vom Rathaus über die Kirchstraße, den Neumarkt und die Bahnhofstraße, dann geht’s die Hauptstraße bis zur Kolpingstraße hinauf und von dort wieder zurück zur Vincenzkirche.

Bei Mendener Passanten erst Fragen, dann Kopfschütteln

Der Aufzug der Impfgegner sorgt bei Passanten in der Mendener Innenstadt für Fragen an Polizei und Presse.

Die Erklärung, dass es sich um einen „Spaziergang“ von Impfgegnern handelt, quittieren die meisten mit Kopfschütteln.

Ein Senior sagt: „Wie, jetzt haben wir die auch schon hier?“ Ein junger Mann, der aus Spaß aufs Foto wollte, geht rasch beiseite.

In den Telegram-Gruppen wurden zuvor Mittel und Wege diskutiert, um den Anschein eines zufälligen Zusammentreffens zu wahren: ,Vielleicht können wir den Kindern ja St.-Martinslaternen in die Hand drücken. Das gibt dann wunderschöne Bilder, die von der Presse schlecht als aggressiver Mob ausgelegt werden können“, schlägt eine Nutzerin vor. Und wenn man sich dann beim „Spazieren“ zufällig mit Gleichgesinnten trifft, „dann ist das halt so. Spazierengehen können sie uns nicht verbieten“. Gleichwohl raten andere Mitstreiter davon ab, Kinder bewusst einzubinden. „Weil es bekannterweise eher das Gegenteil bewirkt“, so die Befürchtung.

Um den Anschein des Zufallstreffens zu wahren, sollten Teilnehmer auf Plakate, Banner und Parolen verzichten, was sie auch taten. Dafür sollten sie Kerzen tragen oder auf die Taschenlampen-Funktion ihrer Smartphones zurückgreifen.

Strafbar wäre nur der Leiter

Doch so einfach ist das nicht, wie Polizeisprecherin Wibke Honselmann auf WP-Anfrage erklärt. „Es spricht nichts dagegen sich zu treffen. Nur muss es in dieser Hinsicht angemeldet werden.“ Die Polizei hat diese Treffen seit dem Iserlohner Spaziergang verstärkt im Blick. In jedem Fall würde dem Organisator eine Anzeige wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz drohen, die Teilnehmer selbst machen sich nicht strafbar. Allerdings gestalte sich das mitunter schwierig: Die Telegram-Gruppenadministratoren sind nicht zwangsläufig auch die Organisatoren der „Spaziergänge“.

Auf dem Alten Rathausplatz: Gegen 18 Uhr kommen hier die ersten „Spaziergänger“ zusammen. Die Polizei ist schon da.
Auf dem Alten Rathausplatz: Gegen 18 Uhr kommen hier die ersten „Spaziergänger“ zusammen. Die Polizei ist schon da. © Westfalenpost | Andreas Dunker

Bereits seit Wochen ist zu beobachten, dass der Ton über den Kurznachrichtendienst Telegram rauer wird (die WP berichtete). In einem Mendener Kanal sind inzwischen mehr als 140 Leute vernetzt. Berichte über organisierten Protest haben diese Zahl in den vergangenen zehn Tagen um gut 40 Prozent erhöht.

Dort wird nun über ein vermeintlich erhöhtes Aufkommen an Rettungswageneinsätzen fabuliert, die direkt in Verbindung mit möglichen „Impfnebenwirkungen“ stehen sollen. „Da zwingt sich die Frage doch echt auf, ob die uns alle umbringen wollen“, schreibt ein Nutzer. Dass das nur einem kleinen Teil der „aufgewachten“ Bevölkerung auffalle, sei einer „Gehirnwäsche im ganz großen Stil“ zuzuschreiben. Am Ende müssten sich dafür Politiker und Medienvertreter vor einem Kriegsgericht verantworten. Denn: Kriegsähnliche Zustände seien jetzt nicht mehr zu vermeiden.

Rechtsextreme Einschläge sind im MK bislang nicht auszumachen. Den meisten geht es vor allem um Protest gegen eine mögliche Impfpflicht und sonstige Corona-Maßnahmen.