Menden. Gedenktag mit App: Mendener Netzwerk „Augen auf“ lässt einst geschändetes und lange abgerissenes jüdisches Gotteshaus eindrucksvoll auferstehen.

Sie ist wieder da: Die Mendener Synagoge an der Hochstraße – 1821 erbaut, in der Reichspogromnacht am 9. November 1938 geschändet und 1952 abgerissen. Jetzt ist das Gebäude wieder zu besichtigen und zu begehen, von außen wie von innen, und das virtuell. Es ist ein nahezu originalgetreuer Wiederaufbau anhand alter Fotos und Pläne, den zahlreiche Mendener Schülerinnen und Schüler in Klassenprojekten für das Netzwerk „Augen auf – für Menden“ gegen Rassismus und Antisemitismus ins Werk gesetzt haben. Mit dem Frauenzimmer, in dem die Frauen beteten, dem Schulzimmer, in dem Hebräisch gelehrt wurde, und mit dem Betsaal und seiner hellblauen Kuppel. Mit den Stammbäumen und Schicksalen jüdischer Familien in Menden in der Nazizeit, aber auch mit den Rezepten dieser Familien, denn in der Synagoge wurde auch gekocht.

Schröder: „Unendlich dankbar, dass man die Synagoge wieder besuchen kann“

Rund 500 Menschen kamen zum Gedenktag an die Reichspogromnacht auf den Alten Rathausplatz.
Rund 500 Menschen kamen zum Gedenktag an die Reichspogromnacht auf den Alten Rathausplatz. © Westfalenpost | Andreas Dunker

„Ich bin unendlich dankbar, dass man die Synagoge wieder besuchen kann“, sagt Bürgermeister Dr. Roland Schröder an diesem Dienstagabend auf der Vincenztreppe vor rund 500 Bürgerinnen und Bürgern, darunter vielen jungen Leuten. Gerade haben die Hönne-Gymnasiasten Alina Baehr und Julius Lachmann als Moderatoren das zentrale Projekt des Netzwerks für dieses Jahr auf einer Leinwand vorgestellt. Sprecherinnen und Sprecher aller weiterführenden Schulen beschreiben kurz ihre Projekte, die sich als Verlinkungen auf dem Weg in die Synagoge öffnen lassen.

Dank an Rotary und Spender

Der Dank der Schülerinnen und Schüler galt an erster Stelle dem Rotary-Club Menden, der „Augen auf – für Menden“ von der ersten Stunde an begleitet hat und auch das Synagogen-Projekt ermöglichte.

Als Motor von „Augen auf“ beschrieb Sven Haja zur Eröffnung das vierköpfige Organisationsteam um Peter Hoppe (Mendener Stiftung Kultur und Denkmalschutz, Ursula Schulte-Pieper (Leiterin der Jugendbildungsstätte Kluse), Irina Rebbe (Schulsozialarbeiterin am Placida-Kolleg) und Thomas Zimmermann (Drobs Menden).

Der Dank galt auch allen Spendern des Crowdfundings im Vorfeld der Veranstaltung.

Die Zuschauer kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus, als Julius Lachmann auf der altehrwürdigen Vincenztreppe mit einer VR-Brille die virtuelle Realität des einstigen Gotteshauses zeigt, indem er einfach darin herumspaziert. Laut Stadtjugendpfleger Sven Haja lautet das Ziel des Netzwerks „berührende Momente zu schaffen“, und spätestens in diesem Augenblick ist das Ziel erreicht. Mit dem Freischalten der Augen-auf-fuer-menden-App, kann jetzt jede(r) mit dem Handy in das untergegangene jüdische Gotteshaus eintreten, sich frei darin bewegen und alle Klassenprojekte ansehen.

Am „Ort des Erinnerns“ 32 Namen von Mendener NS-Opfern verlesen

Alina Baehr und Julius Lachmann führen gekonnt durch das Programm.
Alina Baehr und Julius Lachmann führen gekonnt durch das Programm. © Westfalenpost | Andreas Dunker

So also sieht ein Gedenken im Jahr 2021 aus, wird sich mancher ältere Besucher gedacht haben. Doch es gibt auch die klassischen Formen noch: Der jüdische Friedhof am Nordwall ist an diesem Abend mit einer Installation aus 400 Lichtern illuminiert. Am „Ort des Erinnerns“ auf der Hochstraße legt Bürgermeister Schröder zum Abschluss einen Kranz nieder, während Schülerinnen und Schüler der Anne-Frank-Grundschule den Wert jedes einzelnen menschlichen Lebens betonen – und dann die Namen der 32 in der NS-Zeit verschleppten und ermordeten Mendener Jüdinnen und Juden verlesen.

Derweil klingen den Besuchern noch die abschließenden Worte des Bürgermeisters im Ohr. „Es ist falsch zu sagen: Das ist jetzt 83 Jahre her, lasst mich damit in Ruhe. Es ist richtig zu sagen: Nie wieder!“