Menden. Der Impfbus des Märkischen Kreises macht Halt in Menden – und der Andrang ist groß. Wer sind die Menschen, die jetzt eine Impfung wollen?

Es ist der gesellschaftliche Druck, der ein junges Paar aus Hemer heute nach Lendringsen geführt hat. Lange haben sie Nein gesagt zur Impfung gegen Covid-19. Nicht, weil sie Verschwörungstheoretiker oder irgendwie komisch sind. Sondern, weil ihnen bei dem Gedanken an den Impfstoff nicht wohl ist, sie erst einmal abwarten wollten. Und doch stehen sie jetzt hier, mitten in der Schlange vor dem Impfbus des Märkischen Kreises.

Der Andrang auf dem Parkplatz der Firma Fischer Hydroforming ist am Dienstagmittag groß. Die Schlange wird immer länger und zieht sich über den gesamten Parkplatz. Dr. Rainer Struck impft im Akkord. immer hochkonzentriert. „Ich bin sehr froh, dass wir die Menschen mit diesem Angebot erreichen“, sagt er. „Es ist eine Ausnahmesituation hier, man muss sich sehr konzentrieren und die Sorgen der Menschen ernst nehmen.“ Hier gibt es Biontech oder Johnson & Johnson.

Unwohl bei dem Gedanken an die Spritze

Richtig wohl ist einer der 28-jährigen Hemeranerin, die aus Angst vor Anfeindungen lieber anonym bleiben möchte, auch nicht bei dem Gedanken an die Spritze. „Man versucht, es sich schön zu reden. Sich einzureden, dass es sicher sein muss“, sagt sie. Die strengen Corona-Regeln haben sie dazu gebracht, sich dennoch immunisieren zu lassen. Man dürfe zwar eigentlich frei entscheiden, ob man eine Impfung möchte oder nicht. Durch die Beschränkungen wie die 3G- (Genesen, Geimpft, Getestet) oder 2G-Regeln (Genesen, Geimpft), kostenpflichtige Tests oder den Wegfall von Lohnfortzahlungen im Quarantänefall für Ungeimpfte fühlen sie und ihr Mann (28) sich aber dazu gezwungen, die Impfung wahrzunehmen.

Der Impfbus des Märkischen Kreises macht Halt auf dem Gelände der Firma Fischer Hydroforming. Der Andrang ist groß, bereits am Mittag zieht sich die Schlange über den gesamten Parkplatz.
Der Impfbus des Märkischen Kreises macht Halt auf dem Gelände der Firma Fischer Hydroforming. Der Andrang ist groß, bereits am Mittag zieht sich die Schlange über den gesamten Parkplatz. © WP | Jennifer Wirth

„Irgendwie ist es wie Gruppenzwang. Ich bin ja eigentlich kein anderer Mensch, wenn ich ungeimpft bin. Und auch kein besserer Mensch, wenn ich geimpft bin“, sagt sie und ergänzt: „Es ist ein Streitthema. Natürlich möchte man nicht an Corona erkranken. Aber ich denke, wir sind junge gesunde Menschen“, erklärt die Frau, die Impfungen generell eher kritisch gegenüber steht.

Mann empfindet Druck als ungerecht

Ihr Mann ist überzeugt, dass viele Menschen, die den Weg zum Impfbus auf sich genommen haben, weil sie wieder am gesellschaftlichen Leben teilnehmen möchten. „Ich verurteile niemanden“, sagt er. Weder die Geimpften, noch die Ungeimpften. Jeder solle die Entscheidung für sich selbst treffen. Die vergangenen Monate hätten er und seine Frau so gut wie nichts unternommen, Menschenansammlungen bewusst gemieden. Kein Kino, kein Club, kein Restaurant. „Wenn ich nicht geimpft bin, dann fahre ich eben nicht weg“, sagt er. Stattdessen gab es viel frische Luft und Spaziergänge.

Zum zweiten Mal bei Firma Fischer Hydroforming

Initiator der Aktion auf dem Hof der Firma Fischer Hydroforming ist Frank Adelberger. Er hat gemeinsam mit seinem Kollegen Uwe Weingarten dafür gesorgt, dass der Bus nun schon zum zweiten Mal Halt auf dem Firmengelände macht. Dass der Andrang so groß ist, macht Frank Adelberger glücklich. Bereits beim ersten Mal seien 138 Menschen geimpft worden. „Das dürften heute deutlich mehr werden“, schätzt Frank Adelberger am Mittag. Eigentlich sollte der Bus von 12 bis 15 Uhr dort stehen. „Aber er bleibt so lange, wie noch Impfwillige da sind.“ Er hält das Angebot für richtig und wichtig, „gerade jetzt, wo die Zahlen wieder hoch gehen“. Es überrasche ihn, woher die Menschen anreisen würden. Das zeige aber auch, dass der Bedarf nach wie vor da sei.

Ihn stört, dass Geimpfte kaum noch getestet würden und dass die Hemmschwelle, so seine Beobachtung, oft falle nach einer Impfung. „Die Leute denken, dass ihnen nichts passiert, wenn sie geimpft sind – und gehen dann auf Partys.“ Und das sei gesellschaftlich akzeptiert, wohingegen er als Ungeimpfter, der bewusst den Kontakt zu anderen meide, dem Druck von außen ausgesetzt sei. Fair sei das nicht. „Im Endeffekt kann man es sowieso nicht ändern“, sagt der junge Mann. Er lasse sich jetzt impfen, aber: „Es ist scheiße, sich einen Impfstoff zu spritzen, der so schnell zugelassen wurde.“

An guten Tagen 200 Impfungen im Bus

Geimpft wird schneller als in der Praxis, viel mehr Menschen sind vor Ort. Kathleen Lohölter von der koordinierenden Corona-Impfstoff-Einheit des Märkischen Kreises geht dem Mediziner zur Hand und kümmert sich um die Impfunterlagen. „An guten Tagen“, sagt sie mit Blick durch die Busfenster, „impfen wir knapp 200 Menschen. So ein Tag könnte heute sein.“ Und die Beweggründe der Patienten sind ganz unterschiedlich. So ist die 31-jährige Jana aus Hemer heute für ihre Drittimpfung da. Sie arbeitet im Rettungsdienst und findet das mobile Angebot toll.

Frank Adelberger und Uwe Weingarten (von rechts) von der Firma Fischer Hydroforming vor dem Impfbus.
Frank Adelberger und Uwe Weingarten (von rechts) von der Firma Fischer Hydroforming vor dem Impfbus. © WP | Jennifer Wirth

Eine 27-Jährige ist extra aus Arnsberg angereist, um nach ihrer ersten Impfung mit Johnson & Johnson eine Auffrischung zu bekommen. Und auch Edith Küch ist sehr froh über die Möglichkeit. „Ich konnte mich lange nicht impfen lassen, weil ich im Krankenhaus war“, sagt die 84-Jährige. Mittlerweile ist sie wieder fit und holt sich ihre zweite Spritze ab. „Mein Hausarzt impft nicht.“ Und bei anderen Ärzten hätte die Seniorin aus Lendringsen keine Chance auf eine Impfung gehabt, sagt sie. „Nach Lüdenscheid hätte ich es nicht geschafft“, das Impfzentrum sei für sie unerreichbar gewesen. Umso dankbarer ist sie für das Angebot.

Arzt versucht Patienten die Angst zu nehmen

Doch nicht selten haben die Patienten, die sich zum Bus begeben, Angst. „Sie haben sich durchgerungen und sind dann nervös“, sagt Rainer Struck. Als Arzt müsse man auf die Patienten eingehen und ihnen zur Seite stehen. So geht es am Dienstagmittag auch einer 62-jährigen Frau aus Lendringsen. Lange habe sie mit sich gerungen: Die Angst vor der Impfung auf der einen Seite, die Angst vor einer Infektion auf der anderen. Ihre Familie hat sie ermutigt, den Schritt zu wagen. „Ich habe mich immer zweimal die Woche getestet für die Arbeit. Ich arbeite im Hotel“, erklärt sie. Auf Dauer sei das jetzt ziemlich teuer. Kurzerhand sei sie hergekommen. „Ich habe das alleine für mich entschieden“, sagt sie entschlossen und verlässt den Bus mit ihrem neuen Impfausweis.

* Anmerkung der Redaktion: Viele Menschen, mit denen ich vor Ort gesprochen habe, möchten anonym bleiben. Zu groß sei die Angst, von der Gesellschaft für die eigene Denkweise verurteilt zu werden. Der Druck von außen sei hoch, das Thema polarisiert.