Menden. Im Interview redet Grünen-Bundestagskandidat Dr. Ingo Stuckmann im Märkischen Kreis über Autobahn, Argumente, Schlips und Regenjacke – mit Video!

Dr. Ingo Stuckmann will für die Grünen im Märkischen Kreis in den Bundestag einziehen. Im Interview mit WP-Redakteur Arne Poll beantwortet der 53-Jährige, warum er es gar nicht so schlimm fände, wenn die CDU von Parteigeheimnissen der Grünen Wind bekäme.

Die anderen Kandidaten (mit Videos!) im Überblick:

Sie haben neulich gesagt, dass in Plettenberg der Autobahnanschluss so hervorragend ist. Die Mendener Grünen kämpfen seit Jahren gegen die A 46. Was sagen die Mendener Grünen dazu, wenn ihr Bundestagskandidat Autobahnanschlüsse gut findet?

Das kommt immer drauf an, wovon wir reden. Reden wir über bestehende Autobahnen oder reden wir über den Bundesverkehrswegeplan und neue Autobahnen, die wir vielleicht nicht brauchen? Wie hier in Menden die A 46. Auch Menden hat ja Autobahnanschlüsse. Es kommt ja auch darauf an, wo man beruflich hin muss. In unserem Fall sind wir in der Planung von Erneuerbaren Energien. Wir haben relativ viele Projekte in Süddeutschland, aber auch in Ostdeutschland, so dass wir auf entsprechende Verkehrswege angewiesen sind. Da ist ein Verkehrsnetz wichtig. Ich habe auch lange Zeit mit einer Bahncard 100 meine ganzen Reisen gemacht, aber gerade im ländlichen Raum brauchen Sie das Auto. Das geht nicht anders. +++ Auch interessant: Zwei Kandidaten so gut wie sicher in Berlin +++

Wenn man sagt, dass man in Menden keine Autobahn will, ist dann die Alternative, dass einige Städte im Märkischen Kreis abgehängt werden? Mit der Bahncard 100 wird’s in Menden schwierig.

Wir haben ja ein bestehendes Straßen-Netz. Und es ist auch in Plettenberg nicht so, dass die Autobahn durch Plettenberg geht. Das wollen wir auch nicht. Wir müssen auch dort 15, 16 Kilometer fahren, bevor wir auf die bestehende Autobahn fahren können.

Wie stellen Sie sich den Nahverkehr in Menden vor, mal fünf bis zehn Jahre weiter?

Das ist eine sehr gute Frage. Wir sehen in vielen Städten, dass der Radverkehr zunimmt. Das macht ja auch Spaß. Es gibt ja die Direktive, dass der Radverkehr 25 Prozent ausmachen soll. Aber im ländlichen Raum sind wir davon noch weit weg. In anderen Städten wie in Kopenhagen sind wir bei 60, 70 Prozent Fahrradwegen. Der Nahverkehr braucht aber auch mehr Flexibilität. Es wäre sinnvoll auch Bedarfstaxis einzuführen. Die rufe ich halt. Die bringen mich nach Hause.

Sie wollen in den Bundestag. Wer sind für Sie die Akteure beim Nahverkehr?

Wir haben verschiedene Stellschrauben. Grundsätzlich sind ja die Verkehrsverbünde zuständig. Aber ich kann mir eine Bundesinitiative vorstellen. Ich kann mir vorstellen, den öffentlichen Nahverkehr bundesweit über eine Umlage zu finanzieren. Das sind etwa 15, 20 Euro im Monat. Wir reden über zwölf Milliarden Euro im Jahr. Das ist nicht viel. Das ist ein Bruchteil der Staatsausgaben, die wir in anderen Bereichen haben. Wir könnten kostenlos den öffentlichen Nahverkehr nutzen.

Aus der persönlichen Pleite in die Politik gegangen

Dr. Ingo Stuckmann stellt sich im Interview den Fragen von WP-Redakteur Arne Poll.
Dr. Ingo Stuckmann stellt sich im Interview den Fragen von WP-Redakteur Arne Poll. © Westfalenpost | Arne Poll

Sie sind selbst aus einer Unzufriedenheit in die Politik gegangen…

Wir haben uns vor 20 Jahren Gedanken gemacht: Was ist wichtig? Wir haben beschlossen, dass wir mit fünf Freunden ein Planungsbüro für erneuerbare Energien gründen, Wind und Solar. Das haben wir jahrelang gemacht. 2014 hat die Bundesregierung dann die Solarenergie, in der wir weltweit führend waren, eingebremst. Die Branche ist zusammengebrochen. 2017 das Gleiche mit der Windbranche. Das ist passiert als die Erneuerbaren gerade günstiger geworden sind als die fossilen Energien. Das habe ich nicht verstanden. Wir musste 18 von 21 Mitarbeitern entlassen. Ich selbst habe vorübergehend einen Job in den USA angenommen. Dort kann man Wind und Solar ohne die Schwierigkeiten, die wir in Deutschland haben, entwickeln. Als wir aus den USA wiedergekommen sind, bin ich sofort bei den Grünen eingetreten. Ich habe gesagt: Das muss ich selbst in die Hand nehmen. Ich komme aus der Wirtschaft. Wir haben die Technologieführerschaft verloren. Das darf doch wohl nicht wahr sein.

Sie waren im Klima-Camp von Al Gore. Wie darf man sich das vorstellen? Freie Liebe und kaltes Wasser?

Ganz anders und sehr professionell. Al Gore ist der ehemalige Vize-Präsident der USA und Friedensnobelpreisträger. Al Gore veranstaltet in den größten Kongresshallen Trainings für drei Tage. Wir waren 2000 Freiwillige, die sich gemeldet haben. Al Gore bespricht da mit Fachleuten, wie wir die Klimakrise lösen können. Mit diesen 2000 Freiwilligen dort haben wir eine richtige Ausbildung gekriegt. Al Gore hat einen Vortrag mit 600 Folien gehalten. Al Gore hat als Gegenleistung für diese kostenlose Veranstaltung gefordert, dass wir zehn Vorträge im Jahr halten, um die Message weiterzutragen: Wir haben ein Problem. Wir haben eine Lösung. Lasst uns diese Lösung jetzt umsetzen. Ich habe jetzt auch im Wahlprogramm der Grünen mitgeholfen, dass es so aussieht wie es jetzt aussieht.

Die anderen Kandidaten (mit Videos!) im Überblick:

Stuckmann war bei den Grünen nicht die erste Wahl

Zur Person: Dr. Ingo Stuckmann

Dr. Ingo Stuckmann hat seinen Hauptwohnsitz aktuell noch in Mülheim. Er wohnt aber parallel auch in Plettenberg. Dort hat er gemeinsam mit einigen Mitstreitern ein Unternehmen und berät zu erneuerbaren Energien. Stuckmann ist verheiratet und Vater von vier Kindern. Der 53-Jährige ist studierter Chemiker und Biochemiker. Er promovierte nach eigenen Angaben in Zellzyklus- und Krebsforschung in Heidelberg und Boston. Seit etwa 20 Jahren ist er beruflich rund um das Thema „Erneuerbare Energien“ aktiv. Stuckmann ist seit 2017 Mitglied bei den Grünen. Er bezeichnet sich als Klima-Aktivist.

Die Grünen im Märkischen Kreis hatten kein Mitglied aus den eigenen Reihen, das antreten wollte. Sie waren nicht die allererste Wahl. Ist das nicht ein blödes Gefühl?

Im Märkischen Kreis sind mir vor allem drei Themen wichtig. Das eine ist der Anschluss, der Anschluss an den ländlichen Raum. Das ist nicht nur die Mobilität. Dann geht es auch gerade um die Kinder. Kinder sind ja immer wieder in der politischen Diskussion nicht vertreten. Sie sehen es zum Beispiel an den Lüftungsanlagen für die Schulen. Wir hatten ein Jahr Zeit, die Schulen damit auszurüsten. Es ist nicht passiert. Dabei sind Lüftungsanlagen ein einfaches Thema. Sie können die an einem Tag einbauen. Das dritte Thema ist der Klimawandel. Da müssen wir dringend was tun. Es rechnet sich.

Sie rechnen viel, versuchen mit Zahlen und Argumenten zu überzeugen. Funktioniert der Bundestagswahlkampf denn heute so?

Das Wichtige ist, wenn Sie etwas ändern wollen, müssen Sie sich erst einmal drum kümmern. Wenn Sie den Kopf in den Sand stecken, den Status quo weiterlaufen lassen... Wir haben in der Coronakrise gesehen, wie holprig die Bundespolitik ist. Diese Flickschusterei, da kommen wir nicht weiter. Wir brauchen jetzt Veränderungen. Es ist doch gar nicht so schwer. Wir haben seit Jahren Lösungen entwickelt, die unser Leben einfacher und bequemer machen. Ich komme aus der Wirtschaft. Ich setze auch Sachen um.

Paul Ziemiak schreibt auf seiner Facebookseite, dass er Angst vor den Grünen und ihren Vorschriften hat und bekommt dafür Applaus. Zwei drei kurze Sätze...

Es wird nicht teurer. Klimaschutz rechnet sich. Es wird günstiger. Wir haben in Plettenberg das Albert-Schweitzer-Gymnasium, wo eine neue Heizung fällig wird. Wir haben in Frage gestellt, eine neue Gasheizung einzubauen und die Verwaltung gebeten, zu gucken, ob wir das Gebäude nicht dämmen können und eine Solaranlage aufs Dach setzen. Der Effekt ist: Das würde sich in zehn Jahren ungefähr rechnen. Und danach haben Sie in den folgenden zehn Jahren anderthalb Millionen, die Sie entweder verheizen oder im Stadtsäckel für andere sinnvolle Dinge ausgeben können.

Mit Regenjacke und Schlips im Wald – eine bewusste Modefrage?

Dr. Ingo Stuckmann ist Wissenschaftler. Er sehe sich aber ausdrücklich als Praktiker, der umsetzen kann.
Dr. Ingo Stuckmann ist Wissenschaftler. Er sehe sich aber ausdrücklich als Praktiker, der umsetzen kann. © Westfalenpost | Arne Poll

Lassen Sie uns mal über Mode reden. In einem Video stehen Sie in Regenjacke und Schlips im Wald. Ist das ein bewusst eingesetztes Mittel gewesen?

Wir brauchen natürlich, wenn wir die Themen im Kreis angehen, brauchen wir Konzepte, die funktionieren. Ich komme halt aus der Wirtschaft. Da trägt man Schlips und Kragen. Deshalb trage ich das auch. Interessanterweise hat das von uns Grünen selbst noch keiner kritisiert. Ich habe mich auch gefragt, ob das richtig ist oder nicht. Und die grüne Regenjacke ist natürlich grün, weil ich von den Grünen bin. Es war an dem Tag kühl. Da braucht man eine Jacke. Und natürlich ziehe ich eine grüne Jacke an, wenn ich von den Grünen bin. Das ist schon extra so gemacht.

Die Mendener CDU steht gerade vor einer Zerreißprobe. Landtagskandidat Matthias Eggers steht in der Kritik. Er ist mit Ihrer Wahlkampfleiterin Marjan Eggers verheiratet. Die CDU fürchtet, dass Parteigeheimnisse verraten werden könnten. Haben Sie diese Sorgen auch?

Eigentlich nicht. Ich sage mal so: Ich finde es sogar gut, wenn die CDU von unseren Konzepten lernt. Wir haben ja letzlich zukunfstfähige Konzepte. Wir haben 16 Jahre irgendwo festgefahrene Politik in Berlin, festgefahrene Strukturen. Wir haben neue Ideen. Die können wir bieten. Ich finde das gar nicht so schlecht, dass da auch mal einige Konzepte in die CDU reinrutschen. Insbesondere zum Klimawandel. Seit 2017 sind die erneuerbaren Energien günstiger. Aber die Bundesregierung verhindert den Ausbau der erneuerbaren Energien. Das macht überhaupt keinen Sinn. Die Bundesregierung schadet der Wirtschaft.

Sie sind nicht über die Liste abgesichert. Wenn Sie den Wahlkreis nicht gewinnen, kommen Sie nicht in den Bundestag. Wie sieht es für Sie nach der Wahl aus?

Ich bin noch relativ jung in der Grünen Partei. Ich habe deswegen keine Absicherung erreichen können. Ich möchte grundsätzlich für den Märkischen Kreis die Probleme angehen und die Lösungen, die wir haben, anbieten. Wir haben die Konzepte.

Ihr Traumergebnis für den Wahltag?

28 Prozent, für Annalena.

Ihr persönliches Wunschergebnis im Märkischen Kreis?

58.000 Stimmen müssten reichen (lacht). Das sind 30 Prozent.

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