Menden/Velbert. Trotz eines eingestandenen Taxiraubs muss der vorbestrafte Täter nicht ins Gefängnis: Ein Deal beendet in Menden ein langes Verfahren.
Es ist so etwas wie seine allerletzte Chance: Weil ein heute 32-jähriger Mann aus Brühl in Menden vor knapp zwei Jahren einen Taxifahrer beraubt hat, ist er vom Schöffengericht seiner Heimatstadt Menden zu einem Jahr Haft verurteilt worden – auf Bewährung. Seinen mitangeklagten jüngeren Bruder, der in jener Sonntagnacht im Oktober 2019 mit ihm im Taxi aus einem Saunaclub in Velbert nach Hause gefahren und nach der Tat ebenfalls geflüchtet war, sprach das Gericht frei.
Reue, gute Prognose und Therapien bescheren Angeklagtem die Bewährung
Es sind mehrere Gründe, die dem mehrfach vorbestraften Ex-Mendener, der heute zweifacher Vater und von Beruf Techniker ist, diese wohl ultimative Bewährungsmöglichkeit einbrachten. Seine bald 20-jährige kleinkriminelle Karriere fußt auf einer erst 2018 nachgewiesenen „posttraumatischen Belastungsstörung“ mit Panikattacken. Dieses Ergebnis einer Kindheit und Jugend mit offenbar schlimmen Erlebnissen habe er mit Alkohol zu verdrängen versucht, heißt es in einem Gutachten. Doch das schier uferlose Saufen sorgt schon ab 16 regelmäßig für Kontrollverluste, die in Körperverletzungen oder Diebstähle münden, in Alkohol am Steuer und viele kleinere Delikte mehr. Dafür wird er schon als Heranwachsender fortan ebenso regelmäßig verurteilt, auch zu Jugendarrest, später einmal mit einer kurzen Haftzeit.
Von sich aus in therapeutische Behandlung begeben
Heute lebt er seit einiger Zeit mit einer neuen Partnerin zusammen, das Paar wohnt im Rheinland, hat ein gemeinsames Kind, er seine feste Arbeitsstelle als Maschinenführer. Und: Aus eigenem Antrieb hat er eine Sucht- und eine Psychotherapie angetreten. „Als ich erkannt habe, was mit mir los ist, habe ich mir Hilfe gesucht. Ich wollte das alles so nicht mehr“, berichtet der eher schmächtige Mann der Mendener Richterin und den beiden Schöffen.
Taxi-Tour aus Saunaclub in Velbert ohne Geld „schwachsinnige Schnapsidee“
Die Taxi-Tat hat er gestanden, nennt die Tour in den Club nach Velbert selbst „schwachsinnig“ und „eine Schnapsidee“. Den Taxifahrer haben die Brüder mittlerweile gemeinsam mit ihrer Schwester in Velbert besucht, ihn um Entschuldigung gebeten und die Fahrt bezahlt. Mit fünf Euro Trinkgeld. Das immer noch fehlende Geld aus dem Portemonnaie wäre bei richtiger IBAN-Angabe des Fahrers auch längst überwiesen, sagen die Brüder.
Raub als doppelter Diebstahl: Zeche geprellt und Fahrer-Portemonnaie geklaut
Der Taxiraub selbst entpuppt sich vor Gericht zudem eher als eine Art doppelter Diebstahl. Der Fahrer aus Velbert, heute 66 und Rentner, schildert als Zeuge, wie der ältere Bruder in jener Nacht um 3.20 Uhr nach der Ankunft an der Körnerstraße in Menden seine Prepaid-Bankkarte zückt, die der Chauffeur dann ins Lesegerät schiebt. Als er nach der Geheimzahl fragt, sagt der Fahrgast, er habe sie vergessen. Tatsächlich, so erklärt der Beschuldigte jetzt im Prozess, habe er die Kosten der Fahrt von fast 300 Euro unterschätzt. Dass sie, obwohl knapp bei Kasse, überhaupt eine solche Rückfahrt im Taxi angetreten hätten, sei dem vielen Alkohol zuzuschreiben gewesen. Jedenfalls habe er so viel Geld nicht mehr auf der Prepaid-Karte gehabt – die man als Bankkunde übrigens erhält, wenn die reguläre EC-Karte mangels Masse eingezogen worden ist.
Mendener Polizei greift flüchtiges Brüderpaar kurz nach der Tat auf
Drei Jahre lang Auflagen zu erfüllen
Wenn sich die Bewährungsstrafe nicht doch noch in Haft umwandeln soll, muss der Verurteilte drei Jahre lang alle Auflagen erfüllen. Hierzu wird ihm ein Bewährungshelfer zur Seite gestellt.Zu den Auflagen des Urteils zählt, dass es keine weiteren Straffälligkeiten mehr geben darf, hinzu kommt die Verpflichtung, die begonnenen Therapien gegen die Alkoholsucht und die psychischen Probleme fortzuführen.Der Verurteilte darf diese Behandlungen auch nicht gegen den Einwand der Therapeuten abbrechen.
Als der Taxifahrer wissen will, was denn jetzt mit seinem Geld ist, sagt der ältere Bruder, er rufe mal eben zuhause an, da kenne man die Geheimzahl. Alle drei sind da bereits ausgestiegen. Der Droschker steht zu diesem Zeitpunkt unmittelbar neben dem Wagen quasi in der geöffneten Fahrertür – da erblickt der hinter ihm stehende Täter das Wechselgeld-Portemonnaie in der Tür-Ablage. Kurzentschlossen greift er zu, stößt den Fahrer dabei nach vorne. Dieser Stoß wird später als minder schwere Gewaltanwendung ausgelegt. Mit der Geldbörse rennt er weg, der Bruder folgt ihm. Der schockierte Fahrer ruft die Polizei, und die greift das Brüderpaar kurz darauf im Bereich Fröndenberger- und Grimmestraße auf.
Taxifahrer schildert Todesangst, aber er hat den Brüdern verziehen
Vor Gericht meint es der Velberter Fahrer gut mit den Brüdern. Zwar belastet er den älteren mit der Schilderung des Raubes, berichtet auf Nachfrage der Staatsanwältin auch von seiner Todesangst während des Überfalls und den psychischen Folgen danach. Doch nach dem Besuch der Geschwister und eines „freundlichen Gesprächs“ habe er ihnen verziehen und könne mittlerweile auch wieder gut schlafen. „Die sind eben jung.“
Daten im Taxi-Lesegerät als Beweis für die Täterschaft
Der Beweis, dass die Brüder tatsächlich die Taxiräuber von der Körnerstraße sind, könnte indes auch ohne die Aussage unabweisbar geführt werden: Die Daten im Taxi-Lesegerät stammen eindeutig von der Prepaid-Karte des älteren Bruders. Beide kommen unmittelbar nach ihrer Festnahme ins vorläufige Gewahrsam nach Iserlohn.
Am Ende ein Deal: Langes Verfahren wegen coronabedingter Zwangspausen
Auch wegen coronabedingter Zwangspausen hat dieses Verfahren fast zwei Jahre gedauert – selbst für die bekannt langsam mahlenden Mühlen der Justiz ist das extrem lang. Am Ende aber steht nach zwei Rechtsgesprächen des Gerichts mit den Anwälten und der Staatsanwältin ein Deal, um das Ganze zu beenden. Als letzte Chance.