Wie um alles in der Welt konnten der Missbrauch und die Misshandlungen über viele Jahre immer wieder passieren und vor allem: Wieso hat niemand etwas getan, um dem Mädchen zu helfen? Das sind die Fragen, die mir nach dem Lesen des Buches wieder und wieder durch den Kopf gehen. Als ich ein Kind war, hat Svenja Wagner – so das Pseudonym ihres Buches – ein Jahr in meiner Schulklasse gesessen.

Damals lebte ihre Mutter noch, doch die Spirale der Gewalt durch den Vater nahm auch nach der Scheidung ihrer Eltern kein Ende. Hatte ich den leisesten Verdacht, dass im Zuhause der Mitschülerin etwas gründlich falsch lief? Nein. Haben andere Mitschüler etwas gemerkt? Nein. Jahrzehnte später im Rückblick vielleicht? Nein.

Vielleicht kann man als Kind so etwas auch (noch) nicht merken. Aber als Erwachsener? Warum hat kein Nachbar geholfen? Warum nicht irgendjemand? Svenja Wagner schildert in ihrem Buch so viele Erlebnisse, bei denen man denkt: So, jetzt wird ihr endlich geholfen und das Martyrium wird beendet. Aber es kommt so, wie man es vom Klappentext des Buches her schon weiß: Niemand schaut hin, niemand hilft. Erst sie selbst kann sich helfen, als sie endlich volljährig ist.

Wenn das Buch, das den Leser mit einer tiefen Traurigkeit über die Abgründe des Menschen zurücklässt, etwas Gutes bewirken kann, dann dieses: Aufrütteln, wachsam machen für das Wohl der Schwächsten. Und nie wegschauen, wenn jemand Hilfe braucht.