Menden/Los Angeles. Jim Boeven lebt seit 17 Jahren in Amerika. Der Schauspieler mit Mendener Wurzeln fürchtet im Falle von Trumps Wahlsieg weitere Unruhen.
Seit gut 17 Jahren lebt der gebürtige Mendener Schauspieler Jim Boeven bereits im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Vor der US-Präsidentschaftswahl blickt er mit Sorge auf den Showdown zwischen Donald Trump und Joe Biden, erzählt, warum die Stadt der Engel in Kalifornien derzeit nicht lebenswert ist und zeichnet ein düsteres Bild der amerikanischen Gesellschaft.
Polizeibrutalität ist allgegenwärtig
„In LA kann man gerade nicht leben“, sagt Jim Boeven, der sich derzeit in Deutschland aufhält. Er ist regelrecht geflüchtet. Vor den Unruhen, den Waldbränden und der Gewalt, die derzeit große Teile der USA beherrschen. Corona, sagt er, habe die Lage zusätzlich nicht wirklich besser gemacht. Im Gegenteil.
Seit Mitte August brennt es in ganz Kalifornien. Zwischenzeitlich zählten die Behörden über 8000 Brände im ganzen Bundesstaat. Und das wirkt sich auch auf das Klima im sogenannten Sunshine-State aus. „Die Luftqualität ist nicht so toll“, beschreibt es Boeven. Der Schauspieler, der seit gut 17 Jahren in Los Angeles lebt, habe die Feuer teilweise von seinem Balkon aus sehen können – bis es „ungemütlich“ wurde.
Doch das ist längst nicht das einzige Problem, wie der gebürtige Mendener sagt. In LA – wie auch in anderen Großstädten – nimmt die Obdachlosigkeit und Kriminalität seit Jahren stark zu. Rund 70.000 „homeless people“, wie Boeven sagt, ziehen durch die Straßen und schließen sich unter den Autobahn-Brücken in Zeltstädten zusammen. Die Polizei sei machtlos, dürfe diese Zeltstädte nicht räumen. Corona habe die Lage noch schlimmer gemacht. Denn anders als in Deutschland fehlt es vielen Amerikanern an sozialer Absicherung; ein erhöhtes Arbeitslosengeld war zuletzt an der Uneinigkeit von Demokraten und Republikanern gescheitert. Bei immer weiter steigenden Mieten und Lebenshaltungskosten wird das für viele zum Problem. In der Folge steige auch die Kriminalität. „Ich habe mich eigentlich immer recht sicher gefühlt, aber vor kurzem habe auch ich mir eine schusssichere Weste zugelegt“, sagt der 52-Jährige.
Schüsse in der Nachbarschaft
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Die anstehende Präsidentschaftswahl, soziale Unruhen nach dem Tod von George Floyd und zunehmende Polizeibrutalität zeichnen ein nicht ganz so rosiges Bild des Landes der unbegrenzten Möglichkeiten. So kam es auch im eher noblen Stadtteil Beverly Hills zu Ausschreitungen, Geschäfte werden wie vor einem Hurrikan mit Spanplatten zugenagelt, um nicht geplündert zu werden. „Es gibt immer neue Unruhen, weil Leute erschossen werden. Die Polizeibrutalität ist allgegenwärtig“, erklärt Boeven. Das habe inzwischen solche Ausmaße angenommen, dass namhafte Schauspielkollegen LA reihenweise den Rücken kehren. „Das Land der Träume und großen Möglichkeiten ist Amerika schon lange nicht mehr.“ Daran ändern auch Versprechungen des amtierenden Präsidenten Donald Trump nichts.
Ob ein neuer Präsident die Lage beruhigen kann, kann sich Jim Boeven daher auch nur schwer vorstellen. Denn die „Links-Rechts-Denkweise“, gut gegen böse, habe die USA gespalten. „Das Parteiensystem kann so nicht mehr funktionieren“, ist sich Boeven sicher. Es zeichne sich – je nach Wahlausgang am 3. November – ab, dass es „eine absolute Shitshow“, also ein Desaster, werden könnte: Proteste und weitere soziale Unruhen aus seiner Sicht nicht ausgeschlossen. „Die Grundaggressivität ist extrem hoch“, sagt Jim Boeven. Das spüre man beim Einkaufen, beim Gang durch den Park oder aber wenn regelmäßig der Polizeihubschrauber über der Wohnung kreise und in der Nachbarschaft Schüsse fallen.
Rückkehr in die Wahlheimat
Deshalb hat auch Jim Boeven die Flucht angetreten. Zurück nach Deutschland, zumindest vorübergehend. In Menden hat er im Oktober den Geburtstag seiner Mutter gefeiert, sonst hält er es wie viele Menschen auf der ganzen Welt derzeit: Arbeiten aus dem Homeoffice. Als Synchronsprecher für deutsche und englische Produktionen könne sich der 52-Jährige über zu wenig Aufträge derzeit nicht beschweren.
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Sein mobiles Tonstudio hat er immer mit dabei. Dass er den Menschen hierzulande eher weniger bekannt, dafür aber mit Hollywood-Größen wie Bruce Willis oder den Drehbuchautoren von „Taxi Driver“ zusammengearbeitet hat, liege vor allem daran, dass man ihm zu Beginn seiner Karriere immer wieder „Steine in den Weg gelegt hat“. Der Beruf Schauspieler werde hierzulande viel zu häufig nur belächelt, vor allem, wenn man nicht zur ersten Riege der deutschen Darsteller zähle. Gleichzeitig fehle es an sozialer Absicherung und gewerkschaftlicher Organisation.
Zurück in die Wahlheimat will Jim Boeven aber auf jeden Fall. Für ihn gilt, was viele Auswanderer berichten: Wer einmal die amerikanische Lebensweise erlebt hat, könne sich – trotz aller gesellschaftlicher Herausforderungen – nur schwer vorstellen, dauerhaft wieder nach Europa zurückzukehren. Wann es wieder in die USA geht, hängt von den nächsten Castings für ein Videospiel ab, vermutlich Ende November. Dann könnte es auch einen neuen Präsidenten geben – und das Land der unbegrenzten Möglichkeiten vielleicht endlich wieder zur Ruhe kommen.
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