Fröndenberg. Blöde Sprüche beim Bäcker, an der Tanke oder im Netz: Zwei Pflegekräfte aus dem Schmallenbach-Haus in Fröndenberg geben Einblick in ihren Alltag.

Thomas Szcendzina atmet tief durch, seine Stimme bebt leicht. "Ich kenne sie seit Jahren. Wir haben eng zusammengearbeitet. Sie war eine ganz liebe Frau." Er stockt, sammelt sich. "Das ist wirklich schlimm. Wenn ich daran denke, dann stehen mir wieder die Tränen in den Augen", sagt der 42-jährige Altenpfleger. Sie, das ist seine verstorbene Kollegin. Eine Frau, die sich wie er selbst immer mit Herzblut für das Schmallenbach-Haus eingesetzt hat, am Coronavirus erkrankte und plötzlich zuhause zusammenbrach. Die Mendenerin wurde nur 58 Jahre alt. Ein Schock für Angehörige, Kollegen, Bewohner.

Das Fröndenberger Schmallenbach-Haus leidet seit Wochen extrem unter dem Coronavirus. Es ist betroffen wie sonst nur wenige andere Einrichtungen in Deutschland. Die traurige Bilanz seit Beginn der Krise: Fünfzehn Bewohner und zwei Mitarbeiter sind tot. "Heute ist der Tag, an dem die Mitarbeiter beerdigt werden. Daher ist es aktuell im Haus wieder sehr bedrückend und traurig“, sagt Geschäftsführer Heinz Fleck am Mittwoch. "Ich erinnere mich an einen Tag besonders. Da standen sechs Rettungswagen und mehrere Notarztwagen vor der Tür - und hinterm Haus der Bestatter. Das kommt einer Katastrophe nahe. Das Ganze hat ein wahnsinniges Tempo entwickelt", sagt Silke Habekost. Ein Tempo, das alle Beteiligten überrannt habe. Auch Silke Habekost arbeitet im Schmallenbach-Haus. Unter Quarantäne, mit Vollschutz, am Limit und mit unermüdlichem Einsatz. Trotz negativer Kommentare in den sozialen Medien oder offenen Anfeindungen auf der Straße. Das Schmallenbach-Team steht zusammen.

Angst vor der Ansteckung

Vor allem Haus 1 entwickelt sich in den vergangenen Wochen zum Problemherd. Bewohner und Mitarbeiter erkranken, Leitungskräfte, ja sogar die Geschäftsführung fallen ganz oder teilweise aus. "Wir haben quasi Feuerwehrleute gespielt", sagt Thomas Szcendzina. Überall dort, wo Not am Mann war, sind er und seine Kollegen eingesprungen. Anstrengend. Der Altenpfleger wechselte von Haus 2 ins stark betroffene Haus 1. "Ich hatte Angst, mich zu infizieren." Als er Probleme mit dem Geruchssinn bekommt, wird er nervös und lässt sich durchchecken. Erleichterung: Er ist gesund. Aber das permanente Atmen durch die FFP2-Maske strengt ihn an. Die Arbeit ist anders. Irgendwie distanzierter aufgrund der Schutzkleidung.

Die Vermummung erschwert den Arbeitsalltag, sagt Silke Habekost, die jetzt ebenfalls im Haus 1 arbeitet. "Das Arbeiten ist wahnsinnig schwer mit den Masken. Gerade Demente brauchen Gestik und Mimik. Man sieht nur noch die Augen und kein Lächeln mehr." Viele hätten Schwierigkeiten, das Personal auseinander zu halten oder zu verstehen. "Auch die Stimme klingt anders. Außerdem merken wir jetzt, wie viele Leute von den Lippen lesen, weil sie nicht gut hören."

Arbeiten in der "Seuchen-Hochburg"

Teilweise fühle sie sich wie eine Krankenschwester, sagt Silke Habekost. Symptome abfragen, Einweisungen organisieren, Fieberkontrollen - mit ihrer eigentlichen und eher administrativen Funktion hat das gerade wenig zu tun. In Krisensitzungen diskutiere man auf Leitungsebene täglich, wie die Situation bewältigt werden kann. "Anfangs mussten wir alles neu sortieren." Mehr, als vielleicht auf den ersten Blick für Außenstehende sichtbar sei.

Nach Feierabend folgen Anfeindungen auf offener Straße. "Es gab einen Vorfall beim Bäcker, als die ersten Fälle aufgetreten sind im Haus", sagt Habekost. Sie habe sich an einem Samstagmorgen in die Schlange eingereiht und vor dem Laden gewartet. "Da hat sich die Dame vor mir umgedreht und gefragt: 'Sie arbeiten doch im Schmallenbach-Haus, oder?'" Die 48-Jährige Pflegedienstleitung aus dem Ambulanten Dienst denkt sich zunächst nichts dabei. Sie wird oft erkannt, meist fragen die Menschen nach freien Plätzen oder Angeboten der Einrichtung. "Dann hat sie die Hand hochgehalten und gesagt: 'Dann halten Sie Abstand!' Ich bin automatisch einen Schritt nach hinten gegangen." Erst Zuhause habe sie realisiert, was passiert ist. Und auch eine Kollegin wird an der Tanke beschimpft, weil sie in der "Seuchen-Hochburg" arbeite. Erschütternd.

Die schönen Momente

Doch es gibt auch Lichtblicke und viel Zuspruch. "Mehr als 80 Prozent des Feedbacks sind positiv", sagt Thomas Szcendzina. Bewohner seien unendlich dankbar, genau wie ihre Angehörigen. Sie würden Geschenke vorbeibringen, Nachrichten schreiben oder sogar mit Kreide Botschaften auf den Hof malen: "Haltet durch! Bleibt gesund" steht dann dort. "Das ist ein Ansporn, und die Anerkennung gibt Kraft", sagt Szcendzina. Er hofft, dass das auch nach der Krise so bleibt. "Ich wünsche mir, dass die Anerkennung für unseren Beruf da ist. Nicht jeder kann Altenpflege."

Die Situation im Schmallenbach-Haus entspannt sich derweil. Seit Mitte der Woche sind alle Bewohner erstmals negativ getestet. "Uns ist ein Stein vom Herzen gefallen. Ich dachte nur: Gott sei Dank!", sagt Silke Habekost. "Man hat nicht mehr das Gefühl, dass es immer so weitergeht und dass man immer mehr Bewohner verliert."