Menden. Sprachtherapeutin Tanja Filthaut geht am bundesweiten Vorlesetag in die Kita, um Kindern Geschichten zu erzählen. Und sie weiß genau, warum.

Am bundesweiten Vorlesetag machen sich am Freitagmorgen auch in Menden wieder zahlreiche Menschen auf, um Kindern in Kitas und Grundschulen tolle Geschichten zu erzählen. Tanja Filthaut liest Menschen gerne vor – und, wie sie sagt, „besonders gerne kleinen Menschen“. Sie ist am Freitag in der Kita Heilig Kreuz zu Gast. Das Vorlesen schätzt Tanja Filthaut indes auch aus professioneller Sicht: Sie ist Diplom-Sprachtherapeutin.

Vorlesen schafft Nähe

Es gebe viele Aspekte, die Vorlesen wertvoll machen, sagt die Mendenerin. „Das fängt bei der körperlichen und emotionalen Nähe an, die ein Kind von Mama und Papa oder anderen lieben Menschen erfährt, wenn diese vorlesen.“ Der Alltag werde unterbrochen, und die Familie unternehme eine kleine Reise: „Das kann nur gut sein für alle Beteiligten.“ Auch wenn sich manche Eltern in der Vorleser-Rolle nicht wohl fühlten, weil sie selbst nicht gerne oder unsicher lesen: „Hier kann ich nur ermutigen, nicht zu streng mit sich zu sein: Kinder bevorzugen die Stimmen und Geschichten der Eltern. Außerdem können Eltern in der Regel instinktiv das eigene Sprachverhalten an die Bedürfnisse ihrer Kinder anpassen. Kurz gesagt: Sie können gar nicht viel falsch machen.“

Eltern können nur helfen

Wenn Kinder mit dem Lesen- und Schreibenlernen auf Kriegsfuß stehen, fragen sich Eltern oft, was sie falsch gemacht haben. Hier kann Tanja Filthaut sie beruhigen.

Eine Lesestörung ist in der Regel „dem Kind in die Wiege gelegt“ und Eltern tragen keine Schuld, sie sind auch keine Verursacher.

Als Bezugspersonen haben wir aber die Möglichkeit, negativ und eben auch positiv auf diese Teilleistungsstörung einzugehen. Hier kommt dem Vorlesen eine kompensierende Funktion zu. Denn gemeinsam zu lesen und vorzulesen: Das bildet!

Ein wichtiger Tipp: Vorleser sollten sich vorher mit der Geschichte oder dem Buch beschäftigen und selbst Freude beim Vortragen haben. Das lohnt sich: Für den Spracherwerb der Kinder sei das Vorlesen „sehr, sehr wichtig“, sagt Filthaut. Studien belegten, dass das Vorlesen vor allem den Wortschatz der Kinder deutlich erweitere. Die Hirnforschung erkläre das damit, dass Lesen keine angeborene Fähigkeit ist. Es strukturiere das Gehirn daher um, weil aus den Buchstaben als abstrakten Zeichen im Kopf Bilder entstehen müssen. Filthaut: „Dass ist ein kreativer und aktiver Vorgang, anders als beim Fernsehen das die Bilder gleich mitliefert.“

Mehr als nur Information

Rät Familien zum Vorlesen – und allen Eltern dabei zu Gelassenheit: die Diplom-Sprachtherapeutin Tanja Filthaut.
Rät Familien zum Vorlesen – und allen Eltern dabei zu Gelassenheit: die Diplom-Sprachtherapeutin Tanja Filthaut. © Privat

Das Lesen feuere das Gehirn regelrecht an, nicht nur zu konsumieren, sondern das Gelesene und Vorgelesene im Kopf in Bilder umzusetzen. Und gerade „analoges Lesen“ von Büchern oder Zeitungen fördere eine wirklich tiefe, kritisch-konstruktive Auseinandersetzung mit dem Inhalt. Lesen in sozialen Netzwerken verlange diese Leistung „eher nicht“, weil es meist nur darum gehe, Informationen zu sammeln oder auszutauschen. Vorlesen fördert laut Tanja Filthaut auch das Schreibenlernen.

Anschauliches Erzählen hilft

Und noch eine Besonderheit gibt es: Wenn das Sprachverständnis des Kindes noch eingeschränkt ist, ob aufgrund einer Sprachstörung oder von Zweisprachigkeit, „dann muss ich sehr anschaulich vorlesen, also formelle Sprache mit mündlicher Sprache und Bildern oder Figuren verknüpfen“. Für den Vorlesetag hat sich Tanja Filthaut daher eine Geschichte ausgesucht, in der sie die Haupt-Akteure des Textes als Figuren dabei hat, um die Geschichte anschaulich zu machen. „Damit mein kleines Publikum Kopfkino bekommt!“