Menden. Als die Mauer fiel, war der Mendener Gerhardt Schmidt weit weg – und als Begleiter von Helmut Kohl auf dessen Polenreise doch denkbar nah dran.
Als in Berlin die Mauer fiel, war der Mendener Gerhardt Schmidt weit weg – und doch so nah dran, wie es nur vorstellbar ist. Denn Schmidt, 1989 Studioleiter des erst im Jahr zuvor gegründeten Senders RIAS TV, war am Tag der Tage als Journalist mit Bundeskanzler Helmut Kohl auf dessen Staatsbesuch in Polen. „Ich habe Kohl noch zehn Jahre später begleitet, aber so irritiert wie damals in unserem Warschauer Hotel habe ich ihn weder vorher noch nachher jemals wieder gesehen“, erinnert er sich.
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Schuld daran sei eine Nachrichtenlage gewesen, die auch für den späteren „Kanzler der Einheit“ so verworren war, wie man es sich heute nicht mehr vorstellen könne. Schmidt, selbst Jahrgang 1951: „Es gab keine Handys und keine Telefonverbindungen nach Deutschland. Im Hotel-TV war nur ein deutscher Sender zu empfangen: RTL. Die boten damals aber noch keine Nachrichten an. Für uns alle gab es also keine Chance, die Nachrichten aus Deutschland über die Öffnung der Mauer zu bekommen.“
Erst später hätten sie erfahren, dass die Tagesschau die Meldung über Schabowskis legendäre Pressekonferenz um 20 Uhr gebracht hatte. Und anders als an sonstigen Abenden, an denen Politiker und Journalisten auf Auslandsreisen in lockerer Runde zum Hintergrundgespräch zusammensaßen, sei es dann hektisch geworden. „Um 20.15 Uhr wurde es sehr unruhig im Raum, als Kohls persönlicher Referent Dr. Eduard Ackermann immer wieder hin und her lief und Kohl etwas zuflüsterte.“
Und RTL zeigt „Tutti Frutti“
Die gut 20 Journalisten erreichte dann als erstes die Meldung, dass im Bundestag alle Abgeordneten die Nationalhymne angestimmt hätten. „Da war es 21.10 Uhr.“ Wieder wurde RTL eingeschaltet – „und da lief die Nackedei-Show Tutti Frutti“, erinnert sich Schmidt kopfschüttelnd. Nun versuchten alle Journalisten, an Nachrichten zu kommen.
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Doch nach und nach habe sich die Presse wieder bei Ackermann eingefunden, der über Regierungskanäle und per Fernschreiber erfahren hatte, dass die Berliner Mauer offen war. Mit der polnischen Regierung sei bereits vereinbart, den Staatsbesuch abzubrechen und nachzuholen, hieß es. „Um 23 Uhr erfuhren wir dann, dass sich in Ost-Berlin tausende Menschen auf den Weg zu den Grenzübergängen gemacht hatten. Aber die Nachrichtenlage blieb weiter sehr dünn.“ Kurz vor Mitternacht sei Helmut Kohl dann zu den Journalisten zurückgekehrt. Was er damals genau sagte, weiß Schmidt nicht mehr. Aber: „Er, der doch so locker sein konnte, wenn keine Kamera lief, zeigte sich so beeindruckt, wie ich ihn nie zuvor erlebt hatte.“
Praktikant Hans-Josef Vogel dabei
Auf der denkwürdigen Reise begleitet wurde Schmidt von seinem Team, einem Kameramann samt Assistenten – und dem Praktikanten Hans-Josef Vogel. „Der hatte sein Jurastudium abgeschlossen und wollte ein vierwöchiges Praktikum bei einem TV-Sender absolvieren.“ Offenbar hat Vogel einiges gelernt: Der spätere Bürgermeister der Stadt Arnsberg ist heute dort Regierungspräsident.
Am Vormittag des 10. November flogen alle wieder zurück nach Bonn oder Berlin. Der Rest ist Geschichte – eine ganz große.