Menden/Hagen. . Als Flüchtlingsmädchen kam sie mit zwölf Jahren nach Menden. Am Montag kehrt sie als Wirtschaftswissenschaftlerin zurück.
Außergewöhnlicher Besuch zu einem außergewöhnlichen Thema stellt sich am Montagabend am Hönne-Gymnasium ein: „Mutig zu sich selbst finden: Wie man trotz aller Widerstände seinen eigenen Weg gehen kann“ – darüber referiert mit Dr. Solmaz Alevifard eine frühere Mendenerin, für die Widerstände von klein auf zum Leben gehört haben. Denn die promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin, die heute unter anderem als Businesscoach Bildungsprodukte entwickelt, kam 1996 im Alter von zwölf Jahren als Flüchtlingsmädchen nach Menden.
Als die Stadt Menden Solmaz mit ihren Eltern und ihrer jüngeren Schwester in der Flüchtlingsunterkunft an der Bischof-Henninghaus-Straße einquartierte, da sprach der Teenager kein Wort Deutsch – und ahnte noch nicht, dass dieses Heim mit Gemeinschaftsküche und -bad auf Jahre hinaus ihr Zuhause bleiben sollte. Ein Zuhause voller Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten, in dem ein intaktes Miteinander schon von daher kaum möglich war. So erinnert sie sich, dass ihre Familie fast jeden Morgen vom lauten Weinen der Nachbarstochter geweckt wurde.
Immer drohte die Abschiebung
Von diesem Zuhause aus ging sie jeden Morgen zur Ganztags-Hauptschule Am Gelben Morgen, wo sie parallel zum Deutschlernen auch am regulären Unterricht der Klasse 6 teilnehmen konnte – für eine rasche Integration ein guter Mix, wie sie heute findet. „Am Gelben Morgen habe ich auch erste Freunde gefunden, an denen ich sehr hing.“ So sehr, dass sie es ablehnte, vorzeitig auf die Realschule zu wechseln, wie es die Lehrer empfohlen hatten. „Meinen Eltern musste ich hoch und heilig versprechen, dass ich Abitur mache. Dafür durfte ich länger am Gelben Morgen bleiben“, schmunzelt sie. 2003 baute sie dann ihr Abi: Versprechen gehalten!
Doch alle Integrationsbemühungen, alle schulischen Erfolge halfen nichts, als es um ein sicheres Leben ging. Denn obwohl die Familie vor der Verfolgung durch das iranische Mullah-Regime geflohen war, blieben die Alevifards stets von Ausweisung bedroht. „Eine enorme psychische Belastung“, sagt sie heute, mit der sie auch noch während ihres Studiums in Bochum fertig werden musste. 2007 wurden die Asylanträge sogar endgültig abgelehnt, die Abschiebung erschien unabwendbar. Erst eine neue Regelung zum Bleiberecht verhinderte das Fiasko. Im letzten Jahr erhielt Dr. Solmaz Alevifard, die heute in Hagen lebt, den deutschen Pass – nach jahrelangem Kampf gegen die Bürokratie und die Tücken des Asylrechts.
Ihre Schulen sind nicht mehr da
Ihre beiden Mendener Schulen gibt es heute nicht mehr: Wo die Hauptschule Am Gelben Morgen war, ist heute die Gesamtschule Menden, und im Gebäude des HGG sitzt die Realschule. Doch das „Heilig Geist“ ist immerhin im neuen Gymnasium an der Hönne aufgegangen. Und dort will Dr. Alevifard vor allem eines erreichen: Ihren Zuhörern, vor allem den jungen, Mut machen für ein selbstbestimmtes Leben. Eine glaubwürdigere Zeugin für die enorme Wirkung der Resilienz, der Widerstandskraft, die sie wecken will, kann es wohl kaum geben.
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Gefragt, wo sie heute ihre Heimat sieht, erklärt Alevifard: „Heimat liegt für mich vor allem da, wo Menschen leben, die mir viel bedeuten.“ Aus diesem Grund sei ihr die Stadt Hagen, wo sie noch nicht lange wohnt, ebenfalls zur Heimat geworden. Und die herzlichen familiären Verbindungen, die sie immer noch hat, machten auch den Iran ungeachtet einer nahezu unveränderten politischen Lage für sie heute zu mehr als nur dem Herkunftsland.
Bei ihrer Rückkehr nach Menden will Dr. Alevifard am Montagabend beschreiben, was sie mit Resilienz als dem „seelisch-psychischen Immunsystem“ meint, was Resilienz gefährden und wie man sein seelisches Immunsystem stärken kann.
Ihr Vortrag ist der inzwischen fünfte im Rahmen des „Bildungsforums Schule am Gymnasium an der Hönne“. Das im Frühjahr 2018 gegründete Projekt „Bildungsforum Schule am Gymnasium an der Hönne, Menden“ geht aus einer Initiative der Arbeitsgemeinschaft Philosophie des Gymnaisums hervor. Zu vier Veranstaltungen pro Jahr werden Expertinnen und Experten aus verschiedenen Fachrichtungen und Berufsfeldern in die Schule eingeladen, um in der Aula in Vorträgen und Diskussionen aus ihrem Arbeits- oder Forschungsbereich sowie ihrem Erfahrungsschatz zu berichten.
Die vier Veranstaltungen im Gründungsjahr 2018 waren sehr gut besucht und stießen, über den schulischen Rahmen hinaus, auf großes Interesse. Die bisherigen Gäste waren Prof. Dr. Christoph Dartmann, Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Hamburg, Prof. Dr. Heinz Schirp, Forschungsbereich Neurodidaktik, Dr. Matthias Burchardt, Philosoph, Pädagoge und Publizist, Universität Köln, und Paul Ziemiak noch als Bundesvorsitzender der Jungen Union mit dem Mendener Unternehmer Ernst Schulte.
Eingeladen sind neben Schülern, Eltern und Lehrern ausdrücklich alle Mendener Bürger.- Die Veranstaltungen sind kostenlos.